
Die blaue Blume: Symbol der Romantik (Foto: Pixabay
In meinen hier vorliegenden Beiträgen nahm ich immer wieder Bezug auf die Epoche der Romantik, wenn ich von Bildern oder von Musik sprach. In der Kulturgeschichte stand der Begriff der Romantik für eine Lebenseinstellung, die den subjektiven Emotionen des Individuums und seinen Fantasiewelten, insbesondere dem Mystischen, einen hohen Stellenwert einräumten. Gleichzeitig kritisierten die Romantiker ihre damalige Gesellschaft und begingen häufig eine Art Weltflucht, in der sie sich wieder der Natur annäherten und die gleichzeitig in einer fatalen, nationalen Utopie mündete. Dies war, wie wir es heute sehen, eine Reaktion auf das vorausgegangene Zeitalter der Aufklärung, deren Ideale auf Vernunft und ihrer Anwendung in Politik und Gesellschaft basierte. Einzig der Verstand sollte die Richtschnur des Lebens sein. Sie sollte endlich zur Mündigkeit des Menschen führen, der, wie Immanuel Kant (1724 – 1804) es formulierte, nur „den bestirnten Himmel über sich und das moralische Gesetz in sich“ als ethischen Leitfaden benötigte.Was sich Ende des 18. Jahrhunderts am Beginn der Romantik im geistigen und kulturellen Leben, insbesondere in Deutschland, ereignete, erschien den Damaligen wie eine Befreiung aus den Fesseln der ständig eingeforderten Rationalität. Das wiederum führte zu einem Kulturwandel von dem wir zum großen Teil heute noch leben. Ja, die Romantik erwacht gegenwärtig wieder zum Leben. Joseph von Eichendorff, Caspar David Friedrich, Franz Schubert, E.T.A. Hoffmann, Robert Schumann oder Felix Mendelssohn-Bartholdy ziehen unverändert Millionen von Literatur- und Kunstfreunde in ihren Bann. Warum ist das so? Was hat es mit der Faszination von dieser „Retro-Romantik“ auf sich? Ich bin sicher, dass es auf diese Fragen eine Vielzahl von wissenschaftlich fundierten Antworten gibt, von denen ich nichts weiß. Ich sehe aber keine sehr großen Ähnlichkeiten von unserer Gegenwart mit der Zeit am Beginn des 19. Jahrhunderts. Die heutige Sehnsucht nach Emotionalität und Verzauberung entspringt einem Wunsch, der Wirklichkeit zu entfliehen. Der Grund dafür ist leicht zu finden: seit den verheerenden Kriegen und Massenmorden im Europa des 20. Jahrhunderts befindet sich die Welt in einer dauerhaften Untergangsstimmung, in der nur gelegentlich kurzzeitige Lichtmomente aufblitzen, die aber das allgemeine Gefühl vor einer veritablen Apokalypse zu stehen, nicht abmildern können. Menschengemachter Klimawandel, untergräbt und verändert unsere Lebensbedingungen nachhaltig, Kriege ringsum in der Welt verändern das wirtschaftliche Gefüge und verursachen unkontrollierbare Flüchtlingsströme in unseren Kontinent und schließlich schafft die künstliche Intelligenz völlig neue und unbekannte Realitäten, mit denen wir erst lernen müssen zu leben.
Kein Wunder, dass sich die Menschen Rettungsbojen suchen, an denen sie ihre davon schwimmenden Wünsche und Träume festmachen können. Der Eskapismus unserer Zeit sucht sich vielleicht, mangels eigener Kreativität, die Lösungen in der Vergangenheit und findet sie im vermeintlichen Zauber der Romantik des 19. Jahrhunderts. Einst bedeutete die Romantik eine kulturelle Revolution, heute ist sie zu einem Vorwand zur Beendigung einer kollektiven Angst degeneriert und dazu dient vordergründig ein neuer Nationalismus, mit den Zügen von völkischem Chauvinismus. Im Slogan „Make America Great Again“, der in amerikanischen Wahlkämpfen sehr erfolgreich für Stimmen warb und mittlerweile in vielen Ländern, entsprechend abgewandelt, ebenfalls benutzt wird, liegt ganz eindeutig die Aufforderung, sich wieder der Vergangenheit zuzuwenden. Es ist nicht mehr das in der Romantik verehrte Mittelalter, sondern die jüngere Geschichte, die heute besungen wird. Gleichzeitig wird in unserem Land ein urdeutscher Maler, nämlich Caspar David Friedrich mit seinen leeren und melancholischen Landschaften, zu einem Favoriten der Massen. Die großen Festivals klassischer Musik, bei denen den romantischen Tonkünstlern gehuldigt wird, sind überlaufen. Schriftsteller, die Bücher über die Romantiker schreiben, werden zu Bestseller-Autoren.
Eine wissenschaftlich exakte Analyse der Gegenwart steht mir nicht an, denn mir fehlen die dazu erforderlichen Hintergrundkenntnisse, aber ich spüre die tiefe Ablehnung unserer Gesellschaft bei einem Teil derselben. Verschwörungstheorien haben Hochkonjunktur, vermutlich weil sie einfache Antworten auf sehr komplexe Fragen bieten. Von sog. Populisten verschiedenster Couleur werden sie erfolgreich übernommen und politisch umgesetzt. Wer da nicht mitmachen möchte, wendet sich der Rückseite der gleichen, stark romantisch gefärbten Medaille zu: Sehnsucht nach Liebe und Geborgenheit, Realitätsflucht mit Rückbesinnung auf die Natur und ihre dauerhafte Rettung sowie die Verklärung der eigenen und kollektiven Vergangenheit, sind die Anker der aufgewühlten Geister des 21. Jahrhunderts. Es sieht so aus als hätte die Epoche der Romantik in unserer Zeit tatsächlich ihre Fortsetzung gefunden. Ihr Symbol ist allerdings nicht mehr die blaue Blume, sondern der Atompilz von Hiroshima.
Zugegebenermaßen verehre ich den Geist und die Kultur des 18. und 19. Jahrhunderts sehr. Neben der Romantik wünschte ich mir allerdings auch etwas vom Geiste der Aufklärung zurück. Die Verbindung von Gefühl mit Vernunft könnte zur Lösung vieler individueller und sozialer Probleme unserer Zeit beitragen. Romantische Kunst öffnete mir schon oft die Augen für die Schönheit des Lebens, einschränkend muss ich aber auch zugeben, dass mich die nationalistische Seite der Romantiker eher abstößt. Damit meine ich natürlich nicht den echten und emotional gefestigten Patriotismus, der unsere Gemeinschaft weiterhin zusammenhält.
Bleiben Sie stets neugierig …und genussvoll durstig!



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