Das berühmteste Weingefäss: der heilige Gral

Der Kelch der Doña Urraca in der Basilica San Isidro in León, Spanien

Es ist schon ein paar Jahre her, dass endlich Klarheit herrscht, wie das Gefäß aus dem Christus beim Abendmahl getrunken hat, aussieht und wo es sich zur Zeit befindet: Der Heilige Gral steht, wie spanische Historiker behaupten, als Reliquie in der Nordspanischen Stadt León in der dortigen romanischen Basilica San Isidro. Es ist ein pompöser Kelch aus Achat, der mit Gold und wertvollen Edelsteinen besetzt ist. Der unvoreingenommene Besucher dieser stimmungsvollen Kirche aus den frühen Tagen der Christenheit, kommt angesichts dieses großen Kunstwerkes schnell ins Grübeln: Wo hatte die Gesellschaft um den armen, zum Tode verurteilten Zimmermann namens Jesus  von Nazareth so ein teures Trinkgefäß her? Bei der meditativen Betrachtung des Kelches beginnt es einem zu dämmern: der Heilige Gral war und ist nur eine populäre Legende unserer christlichen Kultur. Schon die berühmte Tafelrunde der Ritter um König Artus hatte im Mittelalter von ihm geträumt und jeder Einzelne der Ritter wollte ihn aufspüren. Im Falle des Kelchs von León verhielt es sich aber, gemäß der spanischen Wissenschaftler, etwas anders denn sein Ursprung ist nachvollziehbar. Er kam von Jerusalem nach Kairo und von dort als Geschenk eines Emirs an einen Taifa-Fürsten nach al Andalus, und dann weiter nach Kastilien. Seine Präsens auf iberischem Boden wird bekanntlich auch in Wagners „Lohengrin“ besungen (Monsalvat ist ein Synonym für den Berg Montserrat in Katalonien, wo sich die Gralsburg befand):

In fernem Land, unnahbar euren Schritten,
liegt eine Burg, die Monsalvat genannt;
ein lichter Tempel stehet dort inmitten,
so kostbar als auf Erden nichts bekannt;

drin ein Gefäß von wundertät’gem Segen
wird dort als höchstes Heiligtum bewacht.
Es ward, dass sein der Menschen reinste pflegen,
herab von einer Engelschar gebracht.

Es ist gut vorstellbar, dass das Geschenk aus dem Umfeld des Religionsstifters erst viel später teuer verziert wurde um dem spirituellen Wert noch einen materiellen hinzuzufügen. Der Beschenkte war König Ferdinand I. (Fernando el Magno; 1016 – 1065), der Begründer Kastiliens und ein passionierter Reliquiensammler. Er hatte bereits die Gebeine des Heiligen Isidors von Sevilla nach León bringen und die gleichnamige Basilika für ihn bauen lassen, in der er selbst seine Grabstätte fand. Nach seinem Tode wurde das Reich unter seinen fünf Kindern aufgeteilt. Dem Sohn Sancho II. hat der legendäre Rodrigo Díaz de Vivar („El Cid“) als Söldnerführer gedient. Im Epos seines Lebens spielt auch die älteste Tochter von Ferdinand I., die berüchtigte Urraca von Zamora (1033 – 1103) eine Rolle. Ihr Vater hatte ihr den Gral geschenkt („Kelch der Doña Urraca“) und mit ihrem Leichnam ist er später endgültig in die Basilica San Isidro gekommen, wo der König und seine Tochter begraben sind.

Die Vorstellung des Grals als Kelch für den Wein der Jünger und ihres Herren beim letzten Abendmahl verband das Gefäß für immer mit der Feier der Eucharistie „Das ist mein Blut…“ hatte Jesus angesichts des Weins zu seiner kleinen Gemeinde gesagt. Später kam noch die in die Apokryphen dargelegte Legende hinzu, dass auch das Blut aus dem Lanzenstich, der dem Gekreuzigten zugefügt wurde, im gleichen Kelch aufgefangen wurde. Die Wunderwelt des Grals haben Dichter in den mittelalterlichen Mythen in der Zeit des Chrétien de Troyes (1130 – 1191) und Wolfram von Eschenbach (1170 – 1220) vielfach besungen.

Etwas launiger ging es auf den britischen Inseln in den vielen Legenden um die Suche nach dem Heiligen Gral und die ritterliche Tafelrunde des König Artus zu. Dahinter stand die groß angelegte Fahndung der Ritter nach dem verlorenen Paradies. Die Erwartung seiner Entdeckung gab den Menschen im dunklen Mittelalter Hoffnung und Überlebenswillen. Ob Camelot, sein König und die Ritter um den runden Tisch tatsächlich existiert haben ist dabei eigentlich zweitrangig: sie waren über Jahrhunderte ein Stimulus für Künstler aller Genres. Der Gral wurde zum Symbol des Glückes und des Wohlstandes, denn er war auch ein magisches Füllhorn aus dem Wein und Speisen für die Armen der ganzen Welt sprudelten, also jenes „Gefäß von wundertät’gem Segen“ von dem auch Lohengrin sang. Den Kern traf Jean Cocteau (1889 – 1963) in seinem Drama „Die Ritter der Tafelrunde“ als er Galahad ausrufen ließ: „Der Gral ist in eurem Innern. Man sieht ihn, sobald man eins mit sich selbst ist“.

Legenden müssen nicht unbedingt religiöse Inhalte haben, sie können sich auch weltlicher Themen bedienen, wie die hier zitierte Legende von Avalon (König Artus) zeigt. Der Ursprung des Wortes „Legende“ ist das lateinische „legenda“, was übersetzt etwa „was zu lesen ist“ bedeutet und darauf hinweist, dass es sich ursprünglich wohl um schriftlich überlieferte Stoffe handelte. Dem gegenüber gibt es die Sagen, deren Bezeichnung vom alt-skandinavischen „saga“, „ das Gesagte“ stammt. Sagen wurden in früheren Zeiten immer erzählt. Wie die Legende  vom Gral aus der Basilika von San Isidro in León zeigt, ist nicht auszuschließen, dass in den fiktiven Geschichten, seien sie Legenden oder Sagen, nicht doch ein Kern von historischer Wahrheit steckt.

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