Der Rohstoff, der am Anfang der Weinbereitung steht, ist bekanntlich die Traube. Sie wird im Rebgarten vom Winzer, ggf. mit Unterstützung der Önologin oder des Önologen, über viele Monate bis zu ihrer Lese gehegt und gepflegt. Danach kommen die Trauben ins Kelterhaus, wo der erste Schritt die Entrappung ist, gefolgt von der„Entsaftung“ der Früchte. Bei Weißweinen findet dies vor der Gärung, bei Rotweinen erst nach der Gärung statt. Für die naturnahe Kellerwirtschaft ist das Abpressen des Mostes bzw. des Jungweins einer der ganz wesentlichen Vorgänge, denn die vielen Substanzen in der Schale oder in den Kernen der Trauben, die als Bitterstoffe oder andere Fehlaromen den Wein verderben würden möchte man eigentlich möglichst an ihrem angestammten Ort belassen. Daraus ergibt sich, dass der Technik der Pressung große Bedeutung zukommt. Den „Brei“ aus gepressten Beerenschalen und Kernen nennt man übrigens beim Weißwein ebenso wie beim Rotwein die „Maische“.
In den frühen Zeiten der Weinkultur, wie z.B. in der hellenischen Antike, war das Maischen der Trauben mit den bloßen Füßen die Methode der Wahl. Die Weinbergsarbeiter haben die Trauben in Weidenkörbe gefüllt, die in Holztrögen standen und anschliessend mit den eigenen Füßen gestampft. Vom Holztrog floss der Most direkt zu den in die Erde eingelassenen Tongefäßen.Die Analyse dieser sehr einfachen Methodik legt nahe, dass die altertümlichen Weine eher Weiß- bzw. Orange-Weine waren. Da auch die meisten roten Sorten weißes Fruchtfleisch hatten, gab es aus den Mischsätzen vielfach roséfarbige Weine, wie sie noch auf den entsprechenden Stillebengemälde aus den 16. Und 17. Jahrhundert gut zu erkennen sind. Nicht selten wurde früher das Maischen mit anschließender Gärung im Tongefäß direkt in den Rebgärten durchgeführt, dadurch wurden die Wege kurz gehalten, was geringere Infektionsgefahr oder weniger Oxydation des Mostes – also Qualitätsverbesserung – bedeutete. Im Übrigen hat der menschliche Fuß mit dem an ihm befindlichen Gewicht ausreichend Druck die Trauben zu zerquetschen, aber gleichzeitig ist er weich und nachgiebig genug um nicht die Traubenkerne zum Platzen zu bringen. Das schaffen selbst moderne Pressen nicht immer so vollständig. Ob dabei Korbpressen oder pneumatische Pressen verwendet werden spielt keine Rolle, die Moste der Fußpressung sind immer extraktreicher, konzentrierter, fruchtiger und insgesamt ausgewogener.
Um das barfüßige Maischen haben sich in vielen Weinregionen rund um die Welt gewisse Riten und Legenden ausgebildet. Seit jeher verband der Fuß den Menschen mit der Mutter Erde, deren Kraft durch die Füße auf den Menschen überging. Die Frau war das menschliche Abbild der Leben spendenden Erde; die Fruchtbarkeit der Urmutter Erde war auf sie übergegangen. Dabei war der Fuß das Organ, das diese Fruchtbarkeit übertrug. So wurde zunächst der Fuß der Frau, aber später auch der des Mannes, zum Symbol für den Segen und die Fruchtbarkeit der Götter. Das Treten der Trauben war also gleichsam ein geheiligter Akt und diese Tätigkeit wurde von denen, die sie ausführten, auch als besonderes Privileg angesehen. Die Vorstellung, dass durch den physischen Kontakt mit den Füssen etwas vom Charakter und der Kraft der Personen, die die Trauben „stampft“, in den Most übertritt und später im Wein wiederzufinden ist, war weit verbreitet. Aus diesem Grunde war es z.B. in Sardinien üblich, dass nur Jungfrauen das Stampfen übernehmen durften. Die vermeintliche Reinheit dieser jungen Frauen konnte keine Fehltöne in den Wein bringen! Außerdem waren die stampfenden Bewegungen der Mädchen mit erotischen Assoziationen verbunden und galten als starkes Aphrodisiakum für die Weinbäuerinnen, was die Männern beim nächtlichen Weinlese-Fest vermutlich beglückte. Aus dem gleichen Grund sollten in anderen Gegenden, wo das Fußtreten Männersache war, die Erntehelferinnen zur Musik vor ihren männlichen Kollegen tanzen und diese dadurch erfreuen, was später dem Wein zu Gute kommen würde.
Erwähnenswert ist in diesem Zusammenhang, dass den Füßen in der Mythologie vieler Völker eine bedeutende Rolle zukommt: jemandem die Füße küssen oder waschen bedeutete Unterwerfung oder Verehrung. Auch wichtige sexuelle Zuschreibungen betrafen den Fuß. Er gilt vielerorts als erogene Zone und bis ins letzte Jahrhundert hinein war es in hohem Maße unschicklich, seine nackten Füße zu zeigen. Als die große amerikanische Tänzerin Isadora Duncan 1905 in Berlin auftrat, verbot die Polizei die Aufführungen ihres Teams zunächst, weil sie und ihre Begleiterinnen barfuß auf der Bühne tanzten! Wir können uns also gut vorstellen, dass das barfüßige Maischen des Weins dem viktorianisch geprägten Betrachter eine hervorragende Gelegenheit zum Voyeurismus bot. Wie sich die Zeiten doch ändern: eine regelrechte Renaissance des „Stampfens“ wäre wegen des Weins wohl sehr wünschenswert, aber die vermeintliche Erotik der stampfenden Füße erregt heute vermutlich weder einen Weinfreund noch sonst jemanden mehr!
Bleiben Sie stets neugierig …und durstig!