Unter Weinfreunden wird kaum ein Wort zur Beschreibung des Charakters eines Weines so viel benutzt wie „Terroir“. Ein bestimmter Wein sei maßgeblich von Terroir geprägt, hört man gelegentlich mit Erstaunen und fragt sich „ja wie schmeckt er denn dann?“. Ich persönlich habe häufiger das Gefühl, dass vieles an Gerüchen und Geschmäckern, was nicht sofort zuordenbar ist, als „Terroir“ klassifiziert wird. Das kann so weit gehen, dass ein regelrechter Böckser dem Terroir zugeschrieben wird – was natürlich Unfug ist. Darüber kann man dann nur noch humorvoll hinwegsehen. Spätestens seit der Mosel-Winzer Reinhard Heymann-Löwenstein seine Streitschrift „Terroir: Weinkultur und Weingenuss in einer globalen Welt“ (2006) veröffentlichte, weiß die teutonische Genießerwelt, dass Terroir der Gegensatz zu „industriell-gefertigt“ und Massen-Abfüllung bedeuten kann oder soll. Manch einer mag sich an den Latein-Unterricht erinnern, wenn er meint terroir sei die direkte französische Übersetzung von „terra“ (Erde) und nach erdigen Tönen im Wein sucht. Das kann, muss aber nicht sein. Was Terroir in einer globalisierten Welt wirklich bedeutet habe ich vor über einem Jahrzehnt hier an gleicher Stelle schon einmal versucht zu beschreiben. Eine Schrift von Reinhard Löwenstein war auch damals einer der Aufhänger meiner Gedanken.
Die Magie eines Weins wird ganz wesentlich von seiner Individualität und deren Interaktion mit der Emotionalität des Konsumenten bestimmt. Zu einer Liebes-Beziehung – und wer würde diese zwischen einem besonderen Wein und seinem Genießer leugnen wollen? – kommt es auf die Harmonie der beiden Partner an. Die „Chemie muss stimmen“. Dabei spielt die geografische und kulturelle Herkunft beider natürlich eine ganz wichtige Rolle. Ohne dies für den Konsumenten an dieser Stelle definieren zu wollen, ist es für den Wein natürlich ganz essentiell zu wissen wo genau er herkommt. Sogar die jeweilige Parzelle auf der die Trauben des Weins gewachsen sind, kann von Bedeutung sein und den Hype mit sog. „Parzellen-Weinen“ erklären. Ungeachtet der Frage ob so eine kleinteilige Herkunftsbezeichnung sinnvoll , d.h. ob sie sensorisch überhaupt erfassbar ist, ist sie vermutlich der Ausdruck unseres Traumes von der Individualität in der Massengesellschaft, der wir alle nicht entkommen können.
Die Parzelle ist die kleinste Einheit in der ein bestimmtes Terroir vorherrschen kann. Ich habe bei Bodega Los Barrancos einmal festgestellt, dass tatsächlich innerhalb eines Rebgartens zwei unterschiedliche Terroirs vorkommen können, die am Ende auch schmeckbar sind. Nur in solchen Fällen kann es m. M. gerechtfertigt sein, die Weine Parzellen-weise auszubauen. Je mehr Erfahrung und technische Möglichkeiten ein Winzer hat, desto eher wird er in der Lage sein ein eigenes Terroir aus einer Lage heraus zu kitzeln. Weine, in deren Charakter die spezielle Parzelle nicht zum Ausdruck kommt sollten lieber in Lagen-Cuvées verarbeitet werden, dagegen ist überhaupt nichts einzuwenden. Außerhalb Deutschlands ist die Entscheidung ob ein Parzellen-Wein abgefüllt wird oder nicht meist eine reine Marketing-Angelegenheit: wenn es verkaufsfördernd ist wird es gemacht, ganz unabhängig davon ob es am Gaumen oder in der Nase nachvollziehbar ist oder nicht. Mariano García, die einstige, spanische Weinmacher-Legende von Vega Sicilia, hat einmal gesagt: „ein Parzellenwein macht nur Sinn, wenn die Parzelle auch wirklich etwas auszusagen hat“ (www.wein-aus-spanien.org). Dem kann ich nur beipflichten.
Die Konsumenten-Suche nach Individualität und Originalität beim Wein ist angesichts der heutigen, internationalen Überproduktion durchaus verständlich. Die Weinhandlungen sind voll von Abfüllungen aus aller Herren Länder. Es ist ein ganz allgemeiner Wunsch der Gesellschaft, auch politisch, Gegengewichte zur alles beherrschenden Globalisierung zu setzen. Der Mensch möchte wieder eine überschaubare Heimat haben, in der er sich zuhause fühlt und die ihn vor den gefühlten Bedrohungen der großen, weiten Welt abschirmt. Schon längst hat diese unbestimmte Sehnsucht eine politische Dimension bekommen: die Globalisierung hat bekanntlich zu einem subjektiv mehr oder weniger stark empfundenen kulturellen Identitätsverlust geführt und bewirkt gleichzeitig häufig die Ablehnung herrschender Machtstrukturen, die man dafür mit verantwortlich macht. Das Ergebnis ist in vielen westlichen Ländern ein politischer Populismus mit vermeintlich einfachen Lösungen für die komplexen Probleme der ungeliebten Globalisierung. Gleichzeitig geht der an der Gesellschaft zweifelnde Mensch zurück in die kleine Wohlfühl-Einheit namens Heimat und bevorzugt lokale Produkte, die er neu entdeckt und in denen er sich und seine Herkunft wiederfindet. Das gilt für den Weinfreund und sein geliebtes Konsumgut in gleichem Maße. Die überschaubare Parzelle im Rebgarten oder Weinberg wird gleichsam zur heimatlichen Scholle auf der der Landwirt oder Winzer im Schweiße seines Angesichts für unser leibliches Wohl arbeitet. Da muss einfach Terroir im Geschmack sein – und wenn nicht, wird es herbeigeredet oder auf den Etiketten grafisch vorgegaukelt!
Bleiben Sie stets neugierig… und durstig!