Auf dem Paseo del General Martínez Campos, 37, mitten unter ziemlich hässlichen und hohen Wohnblocks im Madrider Chamberí-Viertel, steht ein wahres Juwel: das kleine Stadtpalais des spanischen Malers Joaquín Sorolla y Bastida (1863 – 1923). Durch ein schmiedeeisernes Tor betritt man den kleinen, vom Künstler selbst entworfenen Garten. Er ist eine Oase der Ruhe und Besinnlichkeit inmitten des Getümmels der Großstadt. Zwischen plätschernden Brunnen, blühenden Sträuchern und marmornen Skulpturen, umweht vom Duft nach Buchsbaum und Moos spürt man schnell, dass sich hier ein kreativer Geist ein Paradies im Diesseits geschaffen hat und ist von der Intensität der sinnlichen Eindrücke wie berauscht. Im Haus selbst ist alles noch so wie zu den Zeiten als Sorolla mit seiner Frau Clotilde García del Castillo hier gelebt haben. Sie hat das Anwesen und viele darin enthaltene Bilder und Kunstgegenstände nach seinem Tod dem spanischen Staat vermacht.
Sorollas Bilder sind außerordentlich suggestiv, sie vermitteln ein sehr starkes Gefühl von Farbe, Licht und Schatten. Kunsthistorisch wird seine Malerei dem Impressionismus zugerechnet und von den dargestellten Motiven her gehört er soziologisch offensichtlich zur gehobenen spanischen Mittelschicht. Die am gleißenden Strand getragenen, weißen Kleider und Anzüge vermitteln den Eindruck von gewisser Noblesse und einem liberalen, freien Lebensstil der Protagonisten. Über allem der südliche Himmel mit seinem intensiven aber transparenten und flimmernden Licht, welches die Farben aufleuchten lässt und sich an den Smaragd- bis Lindgrünen Zweigen und Blättern der Bäume und Büsche bricht. Ich muss unweigerlich an den vor Kurzem durchquerten Garten vor dem Haus denken. Auch das Wasser des Meeres, an dessen Rand nackte Kinder spielen oder schwimmen, reflektiert die Sonne während die Schaumkronen der Wellen aufleuchten. Die Bilder verbreiten den Duft eines ewigen Sommers und ungebändigten Positivismus; sie enthalten Musik, deren zarte Töne sich wie das Summen der Bienen oder das Zwitschern der Vögel über einer Sommerwiese anhört. Es verwundert nicht, dass sich Manuel de Falla (1876-1946) durch Sorollas Bilder zu seiner wunderbaren Komposition „Noches en los jardines de España“ (Nächte in spanischen Gärten) inspirieren ließ. In dieser emotionalen Beziehung eines Musikers zu den Bildern eines Malers kommen wir vielleicht dem Geheimnis der Synästhesie in der Musik näher. War de Falla auch ein Synästhet, d.h. ein „Farbenhörer“ (siehe auch hier)?
In all seinen Bildern, die in seiner einstigen Madrider Villa ausgestellt sind, schwingt eine enorme, von Lebenslust getragene Poesie. Nichts ist zu spüren von der Tragik der Kindheit, als er im zarten Alter von zwei Jahren beide Eltern während einer Cholera-Epidemie verlor. Onkel und Tante, die ihn adoptiert hatten, erkannten schon sehr früh sein ungewöhnliches künstlerisches Talent und so kam es schließlich, dass er bereits als Teenager zur „ Exposición Nacional de Bellas Artes“ in Madrid beitragen durfte. 1881 wurde er in die Akademie der Schönen Künste in Valencia aufgenommen; sieben Jahre später heiratete er Clotilde und beide ließen sich in der spanischen Hauptstadt nieder. Die Bedeutung dieser Frau für die künstlerische Entwicklung Sorollas ist wohl kaum zu überschätzen: sie war nicht nur seine Muse sondern auch das Subjekt sehr vieler seiner schönsten Portraits. In den erhaltenen Briefen des Künstlers an seine Frau wird seine Leidenschaft für die schöne Clotilde deutlich: „Du bist mein Körper, mein Leben, meine Seele und mein immerwährendes Idealbild.“ Sorolla sollte bald der Maler-Stern am spanischen Himmel werden. Aufträge und viel Anerkennung aus der ganzen Welt ließen die Preise seiner Werke in die Höhe schießen. Die Einrichtung und Ausstattung des kleinen Madrider Palastes bezeugt sehr eindrucksvoll den Wohlstand, den er mit dem Pinsel erreicht hatte. Neben seinem kleinen Paradies in Madrid ist seine Liebe und Zuneigung zu seiner Heimat Valencia nie verloren gegangen. Er liebte das intensive Licht und das Meer sowie die Küstenlandschaft der Levante. Hier entstanden die, teilweise überdimensionierten, Ölbilder, auf denen die Sonne des Mittelmeeres auch das Herz des Betrachters zu erwärmen scheint. Dem großen Maler zu Ehren hat Valencia seinen Hauptbahnhof „Joaquín Sorolla“ benannt.
Obwohl am Beginn des 20. Jahrhunderts Sorolla zu den weltweit bekanntesten Künstlern zählte, ist er heute dem kunstinteressierten Publikum fast unbekannt. Nicht so in Spanien! Dort ist er immer noch der verehrte Held der Farben und des mediterranen Lichtes. Würden nicht von Zeit zu Zeit beherzte Kuratoren die Bilder von Sorolla ins Ausland holen, so geschehen kürzlich 2019 in London (The National Gallery) oder 2016 in München (Hypo-Kunsthalle), bliebe seinen Bewunderern nur ein Besuch spanischer Museen übrig. Ich persönlich bin ein glühender Verehrer dieses Malers und habe vor nicht langer Zeit in London in der Ausstellung „Sorolla – Spanish Master of Light“ meine große Freude an seinen Portraits, Landschaften und Aktionsbildern – sowie deren großartiger Licht-Darstellung, gehabt.
Bleiben Sie stets neugierig… und durstig!