Der Peleponnes – eine Zeitreise rückwärts

Dorischer Tempel in Alt-Korinth

Seit der epochalen Einsicht Albert Einsteins ist es für jedermann klar: Raum und Zeit sind eine Einheit. Der Haken dabei ist allerdings, dass dieses Naturgesetz ausschließlich in der Zukunft gilt, d.h., dass wirkliche Zeitreisen eines Tages nur in einen zukünftigen Raum möglich sein werden. Die Vergangenheit bleibt unserer physikalischen Wahrnehmung und Überprüfbarkeit verschlossen, so jedenfalls ergibt es sich aus der speziellen Relativitätstheorie. Um zu verstehen was war und warum Dinge so sind wie sie sind, benötigt man, gleichsam als „intellektuellen Gegenpol“ zu den Physikern, die Archäologen und Historiker. Wir, die wir diese akademischen Disziplinen nicht studiert haben, müssen uns Attribute der Vergangenheit suchen und sie in unserer Phantasie zu Denkmälern bzw. Monumenten, die wir verehren oder bewundern können, hochstilisieren. In diesem Prozess der persönlichen Erkenntnis unserer Geschichte spielt das Reisen eine ganz wichtige Rolle. An anderen Orten der Welt sehen wir Analogien oder Alternativen zu unserem eigenen Lebensbereich, die wir in unser Weltbild integrieren können um es entsprechend zu erweitern. Dies ist weiterhin eines meiner Motive immer wieder nach neuen Zielen zu suchen.

Das Löwentor in Mykene

In der Geschichte des europäischen Raumes spielt das Mittelmeer eine entscheidende Rolle für die Ausbildung unserer Kultur. Die Ägäis und das antike Griechenland waren für lange Zeit der  geistige Mittelpunkt, um den herum unsere Zivilisation entstanden ist. Zeugen dieser Epoche nachzuspüren ist eines der spannendsten Forschungsthemen der Archäologie und ein lohnendes Ziel auch für den interessierten Reisenden. So kam es, dass ich mich auf den Weg zu den Hellenen machte. In der mykenischen Zeit, die etwa vom 16. bis ins 11. Jahrhundert vor Christus dauerte, entstand die erste Hochkultur Europas auf der Halbinsel Peloponnes. Die Ruinen der alten Stadt Mykene liegen auf einem Hügel im Norden der Ebene von Argos. Von hier aus konnten die einstigen Bewohner die Handelsstraße zwischen dem Süden der Halbinsel und dem Isthmus von Korinth überblicken und kontrollieren. Heute ist Mykene mit Recht UNESCO-Weltkulturerbe und ein Ort an dem man etwas vom Leben und der Kunst der antiken Vergangenheit erfährt und zu der Erkenntnis kommen muss, dass auch unsere Geschichte eine Raumzeit ist, die man durchschreiten und die einem, angesichts der zwei sich gegenüberstehende Löwen über dem mykenischen „Löwentor“, metaphysische Schauer bereiten kann. Staunend stellt man fest: das ist drei Jahrtausende alte Wahrheit, erzählt von Menschen wie wir heute!

Meine Reise ging weiter nach Sparta durch den Verwaltungsbezirk namens Arkadien. Hierher wurde einst das Sehnsuchtsland unendlich vieler Generationen von „bukolischen“ (ländliche Einfachheit beschwörenden) Dichtern projiziert. Von Hirten-Idylle ist in der Gegenwart auf den Hügeln oder Tälern des Landes nichts mehr zu spüren, aber ich konnte mich angesichts der harmonischen Berglandschaft mühelos nach Arkadien, Vergils Land des Glücks, des Friedens und der Seligkeit, versetzen. Das alte Sparta liegt im Schutze  der Taygetos-Berge in einem fruchtbaren Flusstal. Viel übrig ist von der einst wohlhabenden Kommune nicht: ein paar Monolithen und Reste von Säulen und Fundamenten erinnern an die Baumeister von früher. Genau hier an diesem Ort existierte in der Antike der erste militärisch organisierte Staat Europas und wie die Einstellung der Soldaten und ihrer Befehlshaber war, lässt Friedrich Schillers Übersetzung der Inschrift am fernen Thermophylen-Denkmal, welches an die Gefallenen der ersten Perserkriege erinnert, erahnen:

„Wanderer, kommst du nach Sparta, verkündige dorten, du habest
uns hier liegen gesehn, wie das Gesetz es befahl.“

Sterben fürs Vaterland als Ideologie kommt uns, den heutigen Generationen nach dem Zweiten Weltkrieg, leider allzu bekannt vor und kann keinerlei Begeisterung mehr erzeugen!

Eingang zum Sport-Stadion in Olympia

Letzter, archäologischer Höhepunkt meiner kleinen Zeitreise durch den Peleponnes war der Besuch Olympias. Olympia ist keine normale Sehenswürdigkeit, die man auf einer Besuchsliste einfach abhaken kann. Olympia ist ein geistiger Zustand in den man sich versetzen muss um zu verstehen, was dieser magische Ort wirklich war. Das antike dem Götter-Vater Zeus gewidmete Heiligtum, in dessen zentralem Bereich sich der Heilige Hain von Olympia, befand, wurde im 11. Jahrhundert v. Chr. errichtet. Regelmäßige Sportveranstaltungen und -wettkämpfe fanden seit dem 7. Jahrhundert v. Chr. statt. An dieser Stelle ist die olympische Idee geboren worden und seit 1936 entzündet man am antiken Altar des hiesigen Hera-Tempels das olympische Feuer, welches alle vier Jahre an der jeweiligen Ort der Welt, wo die Spiele abgehalten werden, gebracht wird.

Ein Versuch der Beschreibung all des Sehenswerten im antiken Olympia und dem dazugehörenden Museum würde jeden Rahmen sprengen. Unbedingt erwähnenswert ist aber die Ästhetik der gesamten Anlage am Fuße des Kronos-Hügels. Eine weihevolle Stille herrscht über dem Ort und es hat den Anschein als klinge die zarte Leier des Ibikus aus den beschatteten Steinblöcken ferner Zeiten zu uns herüber.  Der „Hermes des Praxiteles“ mit dem kleinen Dionysos auf dem Arm ist von seinem Sockel im benachbarten Museum getreten und schlendert vor mir her zu den Nymphen, die den Kleinen in Obhut nehmen sollen. In seiner erhobenen rechten Hand hält er ein Traubenbündel, mit dem er auf die spätere Bedeutung des jungen Dionysos hinweist und mich erinnert an den weißen, großartig strukturieren und mineralischen „Assyrtiko“ von der griechischen Vulkaninsel Santorini in der Ägäis, den ich ein paar Tage zuvor in Athen genossen hatte.

Bleiben Sie stets neugierig und… durstig!

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