Wie ich vor vielen Jahren an dieser Stelle schon bekannt habe, war ich ein großer Verehrer des Philosophen Karl Popper, den ich noch selbst in einer Vorlesung in London sehen und hören durfte. Das Postulat, dass die Möglichkeit der Falsifikation immer die Voraussetzung einer wissenschaftlichen Hypothese sein müsse, faszinierte mich, weil es u.a. auf eine einfache Weise den Unterschied von Wissenschaft zu Pseudo-Wissenschaft bzw. Glauben erklären konnte. Gerade in der Medizin habe ich während meiner Tätigkeit das Phänomen der Falsifikation in der Realität immer wieder erlebt: was einst gesichertes Wissen war, wurde gleichsam über Nacht zum Irrtum. Ein sehr zeitnahes Beispiel dafür ist die Erkenntnis, dass Butter in der Nahrung des Menschen nicht annähernd so gefährlich ist, wie uns jahrzehntelang eine von der Margarine-Industrie beherrschte Ernährungswissenschaft glauben machte. Dabei hätte jeder aufmerksame Beobachter erkennen können, dass die Margarine in der Hochzeit ihres Konsums in der letzten Hälfte des 20. Jahrhunderts mitnichten die Häufigkeit von Herz-Kreislauferkrankungen senkte, sondern genau das Gegenteil bewirkte. Mittlerweile gibt es auch wissenschaftliche Erkenntnisse, die dieses Phänomen erklären können. Damit ist dem Menschen nicht nur Angst genommen sondern auch erneut immenser Genuss beschert worden!
Es gibt viele historische Hinweise dafür, dass die die französische Küche die Mutter der europäischen Hochküche ist. Marie-Antoine Carême (1784 bis 1833) gehörte zu deren Begründern, Jean Anthelme Brillat–Savarin (1755 – Paris), Georges Auguste Escoffier (1846 – 1935) und Paul Bocuse (1926-2018) sind nur einige der vielen Protagonisten der „Haute Cuisine“. Ein weiterer von ihnen, Joël Robuchon (geb. 1945) präparierte 1982 in seinem Pariser Restaurant ein Kartoffelpüree aus gleichen Gewichtsanteilen Butter und Kartoffeln. Jeder der das Privileg hatte sich dies einmal bestellen zu können geriet ins Schwärmen über Geschmack und Konsistenz dieses „grandiosen Kartoffelbreis“. Dabei beherzigte das Rezept eigentlich nur eine alte französische Küchenweisheit: die drei Geheimnisse der guten Küche sind Butter, Butter und Butter. Aus kalorischen Gründen hat Meister Robuchons Liebe zum Milchfett nur bedingt Schule gemacht. Aber es war ein sehr klares Statement an dem sich die Liga der weltweit tätigen Sterne-Köche orientieren konnte! Gerade wir Weinfreunde sollten glücklich sein, das Joch der Diätberater bei diesem Thema abgeschüttelt zu haben, denn Butter ist, in ihrer natürlichen Form, mit der schönste Ausdruck von „terroir“ eines Lebensmittels – was wir im Wein ja auch so lieben. Im Übrigen gehören bekanntermaßen die buttrigen Töne in einem Chardonnay zu den begehrten Geschmacks- und Duftnuancen bei diesen Weinen!
Obwohl Ziegen und Schafe schon lange vor dem Rind domestiziert wurden, ist heute zwar entsprechender Käse relativ weit verbreitet, aber Schafs- oder Ziegenbutter extrem selten. Die gegenwärtige Standard-Butter aus Kuhmilch liegt immer appetitlich gelb gefärbt und gut verpackt in den Kühltheken unserer Supermärkte oder Delikatessen-Läden. Die Farbe ist leider nicht mehr die der Xanthophylle aus den Blüten der sommerlichen Weiden sondern die des während der Herstellung zugefügten beta-Carotins aus Ludwigshafen oder Leverkusen. Aber es gibt sie noch, die sog. Heumilch, die von Kühen stammt, die jahreszeitengemäß frisches Gras oder unfermentiertes Heu fressen. Wer das schmecken möchte, versuche sich einmal bei einer Verkostung von handwerklich hergestellter Süßrahm-, Sauerrahm-, pasteurisierter und Rohmilchbutter ein differenziertes Bild von den charaktervollen und recht unterschiedlichen Geschmäckern zu machen. Das Zufügen von Salz intensiviert den Geschmack erheblich. Die feinste Art gesalzene Butter herzustellen ist, sie in schon beinahe fester Form mit Fleur-de-Sel-Kristallen zu vermischen, die dann knusprige Aromaexplosionen auf der Zunge verursachen. Auch frisch zubereitete „Kräuterbutter“ (Thymian, Estragon, Brunennkresse, Pimpernelle, Kerbel, Knoblauch, Schnittlauch und Petersilie, wahlweise oder kombiniert ), kann eine große Delikatesse z. B. zum fettarmen Fleisch oder auch zu Weinbergschnecken sein. Eine kulinarisch famose Angelegenheit ist auch die „Nussbutter“, die natürlich nur wegen ihrer Farbe so heißt. Ihr Geheimnis besteht darin, dass geklärte Butter weiter erhitzt wird bis sie haselnussbraun ist und ein mildes Röstaroma angenommen hat. Für manchen Koch ist dies geschmacklich das Beste was aus Butter werden kann!
Aus dem bisher Gesagten deutet sich an, dass Butter, wie übrigens jedes Fett, ein außerordentlicher Geschmacksträger sein kann was den Nachteil in sich birgt, dass sie sogar Gerüche aus der Umgebung sehr intensiv aufnimmt. Daher ist es für einen ungetrübten Buttergenuss dringend erforderlich sie gut vor Umweltgerüchen (z. B. im Kühlschrank) zu schützen. Ist mit der Renaissance der Butter die vom Olivenöl dominierte mediterrane Diät passé? Nein, ganz und gar nicht, denn Kartoffelpüree á la Robuchon und andere butterhaltigen Speisen sind immer Kalorienbomben. Zwar bietet Olivenöl kalorisch keine Vorteile und enthält, wie die Butter, pro 100 Gramm zwischen 750 und 900 kcal. Nicht die Fettreduzierung sondern die ausgewogene Vielfalt der Nahrungsmittel in der Kombination mit Wein macht die Seele der mediterranen Küche aus. Sie kann, in Maßen selbstverständlich, auch Butter enthalten. Das Potential für eine Gewichtszunahme des Konsumenten ist allerdings für die Butter deutlich größer als für das Olivenöl (12.6.16), was wohl an den unterschiedlichen Verstoffwechselungen der beiden Fette liegt. Rund um das Mittelmeer breitet sich zunehmend die gleichzeitige Verwendung von Öl und Butter in Speisen aus, was zu einer größeren geschmacklichen Komplexität beim Kochen und Braten führen kann.