Wie passen beim Wein regionale Typizität und Innovation zusammen?

Die Typik eines Weines ist nur sensorisch möglich und erfordert eine gründliche Probe

Alle Kontrollbehörden der europäischen Herkunftsbezeichnungen für Qualitätsweine verfügen über ein Panel von Weintestern, die dem jeweils eingereichten Wein u.a. auch seine regionale Typizität bescheinigen müssen. Manchmal ist dies eine einfache Angelegenheit, z.B. wenn ein Botrytiston wie beim Sauternes, Tokay oder der Beerenauslese, das typische Hauptmerkmal der Probe ist. Manchmal ist es aber schwieriger, nämlich, dann wenn Geruch und Geschmack eines spezifischen Terroirs ausschlaggebend sind. Je exklusiver und entsprechend teuer ein Wein ist, desto strikter wird die Forderung nach Gebietstypizität erhoben. An billige Massenware, die selbstverständlich als Konsumweine auch ihre Berechtigung hat, werden deutlich geringere Ansprüche an Typizität gestellt, sie müssen nur nach Farbe, Geruch und Geschmack ein bestimmtes Mindestmaß an Qualität erfüllen. Die Frage, die viele Weinfreunde beschäftigt ist nun, wie lassen sich Typizität und Innovation beim Wein unter einen Hut bringen?

Auch die Rebsorten geben für die jeweilige Typizität selbstverständlich immer bestimmte Standards vor: so muss ein junger Gamay, der als Beaujolais Nouveau in den Markt kommen soll, über die charakteristische Frucht und Trink-Leichtigkeit verfügen, die vom Konsumenten erwartet wird. Nicht anders geht es z.B. dem Sauvignon Blanc, der aus dem gleichem Grunde grasige und exotische Noten enthalten sollte. Man könnte die Aufzählung der Rebsorten-typischen Eigenschaften und der damit verbundenen Geruchs- bzw. Geschmacks-Erwartungen noch beliebig fortsetzen, gerät aber immer dann an Grenzen, wenn Winzer großartige Weine in einer Region produzieren, die nicht mehr den Forderungen nach Gebietstypizität entsprechen. Zwei Beispiele um die im jeweiligen Gebiet nicht „gebietstypische“ Sorte Cabernet Sauvignon sollen dies erläutern:

Vor etlichen Jahren ist in der Toscana mit den „Supertoskanern“ ein völlig neuer Weg beschritten worden, der mit den in Italien damals nicht zugelassenen Sorten Cabernet Sauvignon, Cabernet Franc und Merlot zu großartigen Weinen führte. Obwohl diese in vieler Hinsicht „nur“ ein Plagiat des Bordeaux waren, fanden sie, selbst unter der Klssifizierung als Tafelwein (Vino da Tavola) schnell internationale Anerkennung. Bald erhielten sie unter der geografischen Bezeichnung Bolgheri ihre eigene Herkunftsbezeichnung, die „Indicazione Geografica Tipica (IGT)“. Jetzt stehen in der Preishierarchie diese ehemaligen Tafel- und heutigen IGT-Weine weit über den toskanischen DOCG-Weinen wie dem Brunello di Montalcino oder dem Chianti Classico. „Ein absolutes Unding!“ sagen viele Winzer in der Region und nennen die neuen Weine verächtlich „Imitate der Neuen Welt“.

Auch in der Rioja ist man so einen ähnlichen Weg gegangen. Offiziell ist die Sorte Cabernet Sauvignon bis heute auch dort nicht zugelassen, aber man hat sich mittels EU-Recht ganz elegant aus der Affäre gezogen. Nach einer EU-Verordnung kann nämlich jeder Wein bis zu 15 % Moste von anderen Rebsorten enthalten ohne, dass die Pflicht des Herstellers besteht diese zu deklarieren. 15 % eines Zusatzes von Cabernet Sauvignon können aber durchaus ausreichen den Charakter der Kreszenzen aus den klassischen Rebsorten der Rioja erheblich zu verändern. Da die Produzenten von hohen Qualitäten bzw. von den neuen sog. „Autorenweinen“ gerne den kompletten Rebsortenspiegel ihrer Weine auf dem Rückenetikett vermerken, findet man dort gelegentlich die Angabe „ x % otras“ (x % andere). Das sind dann meist die Anteile Cabernet Sauvignon, dessen Stöcke mittlerweile in fast allen Rebgärten des Weinbaugebietes in kleiner Anzahl stehen. Die meist Cabernet-haltigen „Vinos de Alta Expresión“ erreichen, wie die „Supertoskaner“ höchste Punktzahlen bei den internationalen Vorkostern, ohne allerdings die typischen Eigenschaften eines klassischen Rioja-Weins zu besitzen.

Überall auf der Welt ist die Rückbesinnung auf die Tradition eine andere Herangehensweise „neue“, interessante Weine zu erschaffen . Man sucht alte, autochthone Rebsorten oder klassische Ausbaumethoden wie die Gärung in großen Betonbehältern, bei Weißweinen gelegentlich auch auf der Maische (wie bei den „Orange Wines“) sowie die Reifung in Tonamphoren. Gelegentlich wird auch vor der Flaschenabfüllung auf das Schönen oder Filtern der Weine verzichtet. Was häufig wie eine Zuwendung zur Puristik alter Tage aussieht bewirkt als Konsequenz oft genug die Abwendung von der etablierten, und mit den Sinnesorganen fassbaren, regionalen Typizität. Ein Weinkritiker oder Sommelier könnte solche Weine tatsächlich als untypisch abtun aber dabei übersehen, dass im Gegenzug vielleicht ein ganz neues Verständnis für die sensorische Charakteristik der Region entstehen könnte.

Aber nicht nur die Region verleiht dem Wein Typizität, auch der Winzer oder Weinmacher prägt ihn wesentlich. Seine ganz individuelle Einsicht in die Geheimnisse und Ökologie des Rebbaus und der Vinifikation, sowie seine praktischen Erfahrungen, erzeugen eine vom Menschen gesteuerte Typizität, die jenseits des geografisch Regionalen liegt. Auch ihr Rechnung zu tragen ist eine der spannendsten Herausforderungen beim Beurteilen eines Weines. Die Forderung nach Typizität im Wein schließt das Experimentieren im Rebgarten und im Keller nicht aus. Das Beschreiten neuer Wege ist auch bei Herstellung von Wein die unabdingbare Voraussetzung für Innovation und ohne diese wird der Weingenuss über kurz oder lang eintönig.

 

 

 

 

 

 

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