Ein Genuss der besonderen Art: Federrosé

Der fertige Vorgänger des diesjährigen „Federrosé“

Kurz vor der diesjährigen Weinlese Mitte September hatten wir entschieden in der Bodega Los Barrancos wieder einen Roséwein zu keltern. Daher haben wir die ersten, vollreifen, entrapptenTempranillo-Trauben in der pneumatischen Presse bei sehr niedrigem Druck kurz angepresst und anschliessend knappe drei Stunden mit den Schalen in der Presse in Kontakt gelassen. Dann wurde der trübe Most in einen Edelstahltank gefüllt und auf 16 °C heruntergekühlt. Jetzt begann die Wartezeit: nach etwa drei Tagen hörte man ein ganz leises Knistern bzw. Blubbern im Tank, als Zeichen, dass die Gärung begonnen hatte. Die allererste Probe des neuen Weins fand eine Woche nach Beginn der Aktion statt. Der kühle Trunk war eher penetrant süß als wirklich genussvoll. Etwa eine weitere Woche später sah es schon ganz anders aus: aus der süßen Plörre war richtiger, perlender, trüber Wein (ca. 8 – 10 Vol.-% Alkohol) geworden, eine überwältigende Frucht von roten Beeren und Apfelnoten, zarte Hintergrundsüße und würzige Hefetöne gaben dem Getränk im Glas einen unwiderstehlichen, jugendlichen Charme. Ein Wein im status nascendi, voll Lebendigkeit und Frische! Am liebsten hätte ich ihn sofort als „Naturwein“ (auch häufiger „Orange Wine“  genannt) in Flaschen gefüllt, aber das hätten weder der Wein noch die Flaschen überlebt. Nach dem bekannten Motto des römischen Dichters Horaz „Carpe diem“ habe ich mir statt dessen ein zweites Glas aus dem Tank geholt in dem vollen Bewusstsein, dass ich diesen Wein genauso wie er jetzt war nie wieder trinken werden könne. Was für ein schönes Erlebnis an diesen Tag, in dieser Stunde!

Wenn es um ganz neuen Wein geht spricht man beim Weißwein häufig vom „Federweißen“ und beim Rotwein vom „Federroten“. Ein zukünftiger Rosé müsste dann entsprechend „Federrosé“ heissen. Die Vorsilbe „Feder-“ bezieht sich auf das Aussehen des Getränks in dem die federweißen Einzelteilchen oder Klümpchen von Hefe schweben. Bei Weinfreunden hat der Federweiße, bzw. seine andersfarbigen Pendants, einen ausgesprochen schlechten Ruf. Das hat nicht unbedingt etwas mit seinen profunden Effekten auf den Verdauungsapparat mancher Geniesser dieser Flüssigkeit zu tun, sondern vor allem mit der schlechten Qualität der Grundweine. Kommerzialisierter Federweißer in unverschlossenen Flaschen ist fast immer aus dem Abfall oder einem unbrauchbaren Rest der Lese gemacht. Das ist aus der Sicht der Winzer auch verständlich, denn vollständig vinifizierter Rot- oder Weißwein bringt deutlich mehr Gewinn (für Federweißen zahlt der Endverbraucher im Supermarkt meist unter 3,50 Euro pro Liter). Federweißer/-roter/-rosé ist ein kurzlebiges Zwischenprodukt, so zu sagen der „Wein dazwischen“, den es eigentlich gar nicht geben darf! Trotzdem kann es auch zu deftigen Speisen wie einer Lothringer Quiche, einem Pfälzer Zwiebelkuchen, einer französischen Salami oder einer spanischen Chorizo zu Geschmackserlebnissen der ganz besonderen Art mit diesen jungen, nicht fertig vergorenen, Weinen kommen. Aber es müssen unbedingt solche aus den besten Mosten der jeweiligen Kellerei sein!

Ich glaube, dass man Federweißen ab und zu einfach trinken muss, denn in ihm verrät sich viel von dem Geheimnis des späteren Weins. Je nach Kulturkreis nennt man die Federweißen ja auch sehr malerisch Sturm, Sauser, Bitzler oder Rauscher, kann man ihre Wirkung schöner ausdrücken? Selten wird so deutlich, dass Süße den Alkohol fast völlig kaschieren kann, denn eh man sich versieht (Sturm, Sauser) hat man von dem kohlensäurehaltigen Getränk (Bitzler) so viel getrunken, dass die Fahrtüchtigkeit nicht mehr gewährleistet ist (Rauscher). Die tägliche Probe während des Gärvorganges zeigte, wie die Süße langsam verschwand und mit ihr die Kohlensäure immer weniger und der Alkohol immer mehr wurde. Wenn der Roséwein durchgegoren ist, schmeckt er so lange nicht übermäßig gut bis er sich geklärt hat, das ist dann wie ein grandioser Sonnenaufgang an einem Sommermorgen: die Frucht ist wieder da, das Säurespiel mit den Extrakten und dem im Rosé ganz hintergründig vorhandenen Tannin beginnt. Kurzum, der perfekte Sommerwein ist dann geboren und kann abgefüllt werden. Bei Rot- und Weißweinen muss natürlich noch eine mehr oder weniger lange Flaschenreifung erfolgen, bevor man ihn mit Recht und Fug einen Wein nennen darf; dies ist beim Rosé naturgemäß nicht erforderlich und wir, d. h. jene, die an seiner Entstehung mitgewirkt haben, sind sehr gespannt auf das hoffentlich in ein paar Monaten fertige, rosafarbene Endprodukt!

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