Vor Jahren war ich zusammen mit einigen anderen deutschen Weinjournalisten zu einer Weinreise in ein bekanntes spanisches Weinbaugebiet eingeladen. Im besten Restaurant eines Dorfes, in dem sich ein paar Kellereien befanden, sollte eine Weinprobe mit Kreszenzen verschiedener ortsansässiger Bodegas stattfinden. Als wir ankamen, war das Personal noch damit beschäftigt den Raum herzurichten und versprühte als krönenden Abschluss seiner Tätigkeit reichlich Duftkonzentrat aus einer Spraydose. Zwei meiner Kollegen begannen sofort ein fürchterliches Gezeter, man soll doch mit diesem Unsinn aufhören, denn sie könnten, umgeben von diesem künstlichen Geruch, keinen Wein verkosten. Die Fenster mussten geöffnet werden und der Beginn der Veranstaltung verzögerte sich um mehr als 20 Minuten.
Dieses Ereignis hat nach der Probe für viel Diskussionsstoff zwischen uns Journalisten und den Gastgebern gesorgt. Zwar hat man sehr wohl verstanden, dass Gerüche das Geschmackserlebnis beeinflussen können, aber warum war ein Wohlgeruch aus der Dose schlimmer als der ranzig-kalte Duft von Öl in dem Pommes frites und Fisch gebraten wurde? Eine berechtigte Frage schien mir da auf eine schlüssige Antwort zu warten. Ich erinnere mich nicht mehr an das Ergebnis des Gesprächs, aber die Intensität und auch die Emotionalität, mit der es auf beiden Seiten geführt wurde, blieben mir bis heute in Erinnerung. Die Spanier haben ein ganz besonderes Verhältnis zu Düften: das kann man schon an der Dichte der Parfümläden in größeren und kleineren Städten erkennen. Als Geschenke zu allen Gelegenheiten spielen Kölnisch Wasser, Eau de Toilette und After-shave eine überragende Rolle; selbst auf dem abendlichen Paseo im Dorf duftet es intensiv und nur in Spanien sind im Supermerkt verkaufte Müllbeutel parfümiert. Man könnte noch viele derartige Exempel aufzählen um die These von Spaniens innigem Verhältnis zu Düften zu untermau ern. Über einige meiner persönlichen Dufterlebnisse in Spanien habe ich in dem Büchlein „Spanische Leidenschaften“ (Verlag Winfried Jenior, Kassel 2005) schon vor langer Zeit geschrieben.
Nachdem ich die beiden Bücher von Georg Bossong zur spanischen Geschichte gelesen und hier darüber berichtet hatte, kam mir ein drittes von ihm in die Hände mit dem Titel „Das Wunder von al-Andalus – Die schönsten Gedichte aus dem Maurischen Spanien“ (Verlag C.H. Beck, München 2005). Darin entdeckte ich die mögliche Erklärung für das oben geschilderte Phänomen. Immer wieder werden Düfte besungen, sowohl in den arabisch wie auch in den hebräisch geschriebenen Texten – beide übrigens kongenial vom Sprachforscher Bessong selbst übersetzt – ist die Sinnlichkeit vorwiegend über die Nase und das Auge vermittelt. So beschreibt Al-Rusafi (1140-1177) seine Heimat u.a. so:
Was für ein Land! Ein Moschusteppich hingebreitet –
die Satteltaschen füllt mit Duft der Morgenwind.
Der große Ibn Zaydun (1003-1070) huldigt direkt dem Parfüm:
Oh duftender Myrtenstrauß
der alle Gebrechen heilt!
Dem Atem entfaltet sich frei
der köstliche Hauch des Parfüms
Abu Dja´far Ibn Sa´id (1130-1163) schrieb an seine Geliebte nach einer Liebesnacht im Pappelhain:
Gott hütete die Nacht, es schrak kein Tadler;
sie barg uns im erwünschten Pappelhain.
Der Zephyr schauerte von Wohlgeruch
und breitete den Duft der Nelken aus
Auch in der hebräisch geschriebenen Literatur von al-Andalus finden sich sehr viele Referenzen zu den Düften des Landes, so z.B. im bekannten Hochzeitslied des Moshe Ibn Ezra (1055-1135):
Hat Myrrhenhauch die ganze Welt erfaßt?
Des Windes Atem wiegt die Myrtenzweige,
Von Zimt und Würzrohr steigt ein Duftgewölk,
und in den Kelchen blitzt der junge Most.
Es ließen sich aus dem erwähnten Buch noch viele Beispiele der obigen Art aufzeigen. In der Poesie des maurischen Spanien ist Duft fast immer irgendwo vorhanden und bezeugt damit auch die immense Bedeutung dieses Sinnes für die Wahrnehmung der Welt durch die maurische Gesellschaft. An diese Erkenntnis muss sich eine Art „Philosophie der Nase“ anschließen, die in jedem Kulturkreis traditionell wieder andere Wurzeln und Schwerpunkte hat. Grundsätzlich glaube ich allerdings, dass es Völker gibt, deren kulturelle Tradition sie entweder zu „geruchsfreundlichen“ oder zu „geruchsfeindlichen“ Gesellschaften machen. Die eingangs zitierte Kontroverse bei der Vorbereitung einer Weinprobe mag ein Beispiel dafür sein. Der intensive Küchenmief hat die deutschen Teilnehmer offenbar erheblich weniger gestört als der Parfümduft einer Spraydose, bei den Spaniern war es genau umgekehrt. Kann es nicht sein, dass das maurische Erbe bei der Geruchempfindung heute in Spanien noch ein wenig weiterlebt? Andrerseits haben wir Deutsche eine größere Tradition des „Zurück-zur-Natur“, die ja gelegentlich zu einer beinahe militanten Ablehnung von Parfüms und zur Verehrung des Duftes von Kernseife und Schweiss führen kann. Vielleicht wäre es aber für den Menschen das Allerschlimmste, wenn es in der Zukunft überhaupt keine Gerüche mehr gäbe. Eine desodorierte Welt ist ganz sicher eine sterile Welt, in der man vermutlich nicht gerne leben würde.