Als passionierter Weingenießer und Öko-Winzer über Gentechnik zu schreiben scheint ein intellektueller und emotionaler Fauxpas sondergleichen zu sein. Trotzdem gibt es gute Gründe die Scheuklappen kurz abzulegen und sich wieder einmal mit der Thematik „Gentechnik und Wein“ ernsthaft auseinanderzusetzen. Bei genauem Hinsehen reduziert sich die wohlbekannte Kritik an der Gentechnik auf die Bereiche, in denen gentechnisch veränderte Organismen (gvO) in die Umwelt gelangen (z.B. der Freilandanbau von genetechnisch manipulierten Nutzpflanzen wie Soja, Tomaten, Mais, Raps etc. = „grüne Gentechnik“). Dem gegenüber steht die „weiße Gentechnik“, die vorwiegend gentechnisch veränderte Pilze oder Bakterien zur industriellen Produktion von Wirkstoffen für die Medizin und Pharmazie nutzt und dabei keine gvO in Bereiche außerhalb der jeweiligen Produktionsstätten bringt. Im diesem Fall sind die gvO Mittel zum Zweck, ein Beispiel dafür ist das von Diabetikern dringend benötigte Humaninsulin. Im Falle der grünen Gentechnik sind die gvO selbst der Zweck, d.h. optimierte Pflanzen, die der Ernährung des Menschen diesen. Es gibt noch deutlich mehr Bereiche in denen der Gentechnik eine große Zukunft vorausgesagt wird („graue und rote Gentechnik“), die ich aber in diesem Zusammenhang nicht erwähnen möchte.
Beim Versuch das Für und Wider der jeweiligen Gentechnik-Sparten aufzuzeigen, stellt sich das ganze Dilemma der unterschiedlichen Betrachtungsweisen dar. Sieht man zunächst einmal nur den Nutzen der „weißen und der „grünen“ Gentechnik, liegt er für die Medizin – wie erwähnt – auf der Hand. Neue, gentechnisch erzeugte Arzneistoffe können Menschenleben retten, ohne die Umwelt mit genetisch veränderten Organismen zu belasten. Optimierte Lebensmittel dagegen dienen offensichtlich primär der Gewinnmaximierung der Saatguthersteller oder der Nahrungsmittelindustrie, können aber, z. B. helfen Ernährungsengpässe in der Versorgung der dritten Welt zu vermeiden. Grüne Gentechnik ist immer ein Eingriff in ein natürliches Ökosystem, mit Langzeit-Konsequenzen, die heute in ihrer Gänze noch gar nicht absehbar sind. Die Versuchung neue wissenschaftliche Erkenntnisse in der Praxis schnell umzusetzen hat nicht immer nur zu guten Resultaten für die Menschheit geführt. Die Atomkraft mit Hiroshima und Tschernobyl im Hintergrund ist eines von den vielen abschreckenden Beispielen.
Dieses Wissen sollten wir uns immer vor Augen halten, auch wenn wir auf die gentechnischen Arbeiten rund um den Rebbau und das Weinmachen sehen. Da der hauptsächliche Zweck des Weins sein guter Duft und Geschmack ist, ist es nicht verwunderlich, dass sich hedonistisch veranlagte Forscher die Verbesserung („Optimierung“) dieser beiden Parameter zum Ziel genommen haben. Ich möchte die Ergebnisse dieser Anstrengungen deshalb auch etwas provokativ „hedonistische Gentechnik“ nennen. Den Geschmack des Weines durch technische Hilfsmittel zu verändern ist ja völlig legitim, man denke an Barriques, Holzspäne oder Mikrooxydation, alles weitgehend etablierte, geschmacksverändernde Kellertechniken. Für den Wissenschaftler ist es am einfachsten, und sichersten, bei der Weinhefe (Saccharomyces cerevisiae) anzusetzen. Da sie sich in wenigen Stunden vermehren, lässt sich der Erfolg von gentechnischen Eingriffen sehr viel schneller erkennen als bei der gentechnischen Manipulation von Rebstöcken. Da die Weinhefe seit langem schon als Modellsystem gentechnischer Forschung existiert und daher ihre komplette Gensequenz bekannt ist, ist sie ein idealer Organismus für gentechnische Manipulationen. Dies habe ich bereits vor einigen Jahren an dieser Stelle in einem Blog-Beitrag angedeutet.
Die Programmierung der Hefezellen durch Einschleusung entsprechender Fremdgene, bestimmte Säuren, Farbstoffe und Geschmacksnuancen zu produzieren ist eines der vielen Tätigkeitsfelder der Weinbiotechnologie. Die Vermeidung der Bildung von Kopfweh-verursachenden Histamin-Analoga während der Gärung oder die Steigerung der Produktion bestimmter Antioxydatien, wie z. B. des Resveratrols, sind andere Bereiche. Diese, genannten Aktivitäten fallen alle unter den Begriff der„weißen Gentechnik“, da die gvO nicht im Wein erscheinen. Weltweit sind alle herkömmlichen Rebsorten außerordentlich anfällig für Schädlinge, daher kommen nur Öko-Winzer unter größten Mühen ohne die chemische Keule aus. Grüne Gentechnik könnte dieses Problem umgehen. Nur ein paar wenige genveränderte Pflanzen sind bislang für die Kultivierung im Freiland zugelassen und das Risiko einer Kontamination der Umwelt wird dabei von der Politik ganz bewusst eingegangen. Für die Anwendung der Gentechnik im Rebbau würde nichts anderes gelten. Dagegen formiert sich in allen Weinbauregionen massive Kritik und Widerstand. Es ist ja ganz offensichtlich, dass so gut wie alle über den Globus verteilten Weintrinker zufrieden mit den Status quo sind. Sie haben sich mit dem terroir ihrer Lieblingsweine angefreundet und vermissen eigentlich nichts beim Weingenuss, dessen Erlebnis für sie ein geliebtes Mysterium ist. Da es auch in absehbarer Zeit keine Versorgungsprobleme mit Wein geben wird, eine Steigerung der Welt-.Produktion also nicht erforderlich ist, ist die Akzeptanz der grünen Gentechnik in der Weinwirtschaft sehr gering. Die Angst der Bevölkerung vor gentechnischen Eingriffen in Nahrungsmittel hat vermutlich zwei einfache Gründe: Mangel an Informationen durch vertrauenswürdige Institutionen einerseits und unglaubwürdige Verharmlosungen durch Gen-Forscher und ihre Lobby andererseits. Da macht die Weinbranche keine Ausnahme!
Bleiben Sie stets neugierig …und durstig!