German Angst

So sah und empfand Francisco de Goya (1746 – 1828) vermutlich die Angst

In meinem frühen Leben war die Vernunft männlich und stand auf zwei Beinen. Sie war mein Vater, unter dessen Wahlsprüchen sich  u.a. „Vorsicht ist die Mutter der Porzellankiste“ befand.  Da sich meine Hände in der Kindheit vielfach sehr ungeschickt verhalten haben, wusste ich welche Tiraden der schieren Verzweiflung ein auf dem Fußboden zerbrochener Porzellanteller bei meiner Mutter auslösen konnte. Der Hinweis meines Vaters auf die Porzellankiste war für mich seinerzeit also sehr nachvollziehbar! Als ich während meiner Arbeit in England einmal auf Englisch den Hinweis auf den Umgang mit der Porzellankiste anbrachte, haben sich meine Kollegen schiefgelacht und mich verspottet: „That is typical of the German Angst“! Zugegeben, ich hatte bis dato noch nie etwas über eine spezifisch deutsche Angst gehört. Im Laufe der Zeit wurde mir aber das Fünkchen Wahrheit hinter dieser Aussage bewusst. Das Verhalten der deutschen Regierung in der Corona-Krise war zum Beispiel geprägt von eben jener „German Angst“. Während Regierungen und Bürger der meisten europäischen Länder viel entspannter als Deutschland mit ihren Infektionszahlen umgingen, bekamen die Mahnungen zur Vorsicht in unserem Land laute Stimmen. Wer schmunzelte nicht, wenn Karl Lauterbach in einer der vielen Talk-Shows seine rheinisch gefärbten Aufforderungen zur Vorsicht an die Verantwortlichen  Funktionäre formulierte? Ich glaube , dass Lauterbach und seine  vielen im Geiste Verbündeten in Politik, Medizin und Wissenschaft die Illusion hatten, dass eine effektive staatliche Kontrolle der Pandemie die sichere Apokalypse verhindern könne. Dieses Missverständnis gab es schon vielfach in der deutschen Politik.

Historisch gesehen hat die urdeutsche Angst jenes Sicherheitsdenken geboren, welches Deutschland zu dem Land mit dem pro Kopf höchsten Anteil von Staatsbeamten und -angestellten gemacht hat; die Besetzung unseres Parlaments ist ein trauriger Spiegel dieser Verhältnisse . Der Mangel an Risikofreude findet sich nicht nur in der Berufswahl sondern überall in unserer Gesellschaft, ob es der Widerwille gegen Aktienspekulationen oder die zögerliche Gründung neuer Firmen ist. Die Corona-Krise hat auch das gezeigt: der größte Wunsch der Bürger des Landes ist, dass alles wieder genau so wird wie vorher. Sinnvolle Veränderungen: Fehlanzeige! Die jüngere Geschichte unseres Landes hat diesen Trend erheblich verstärkt: Krieg und Inflation hatten den Bürgern einst ganze Welten vernichtet und eine tiefe Verunsicherung hinterlassen. Siebzig Jahre sind eben noch nicht genug diese historische Bürde abzuschütteln. „German Angst is still reality“ und vermutlich auch die größte Schwäche unserer Politiker, egal welcher Couleur!

Eine der perspektivisch schaurigsten deutschen Ängste ist die Angst vor Ausländern. Über 10 Millionen leben hier und ihr Anteil an der Gesamtbevölkerung beträgt 12,5 %. Dazu kommen unzählige Deutsche mit sog. „Migrationshintergrund“ und die „potentielle Bedrohung“ durch die nach Europa strömenden Flüchtlinge aus den Krisengebieten dieser Welt. Diese Szenarien verstärken bei vielen Menschen die bestehenden Ängste und dies schlägt sich politisch in der Ballung rechtspopulistischer Bestrebungen nieder. Als Reaktion darauf erleben wir in den sozialen und öffentlichen Medien häufig ein Gefühl der Überheblichkeit in der Kritik der sog. Angstbürger, sie werden verspottet und lächerlich gemacht. Diese Polarisierung in „rechts“ und „links“ verhindert einen konstruktiven Dialog zwischen den Parteien und beginnt die Gesellschaft zu spalten. Dabei sollten wir einmal darüber nachdenken welche großartigen Beiträge in Deutschland von gebürtigen Ausländern für die Gesellschaft geleistet werden. Die beiden Biontec-Gründer  Ugur Sahin und Özlem Türe seien stellvertretend genannt.

In den 80iger-Jahren des vergangenen Jahrhunderts entdeckte man das sog. „Waldsterben“. Das besonders vom Romantiker Joseph von Eichendorff  (1788 – 1857) besungene Kulturgut „deutscher Wald“ schien in seiner Existenz bedroht, was in der Bevölkerung und bei den Politikern panikartige Reaktionen auslöste. Luftverschmutzung und saurer Regen waren die vermeintlich Schuldigen. Die tatsächlichen Ursachen des Waldsterbens konnten aber nie gefunden werden, damit überhaupt etwas Sichtbares geschah wurde kurzerhand das bleihaltige Benzin verboten. Das Rational dafür im Zusammenhang mit dem Tod der Bäume wurde nicht weiter hinterfragt. Ein anderes Beispiel für die angstgetriebene Irrationalität des „Dichter und Denker“-Volkes war der Ausstieg aus der Atomkraft nach der Katastrophe von Fukushima im Jahr 2011. An diesem Beispiel zeigt sich die große Spezifität der „German Angst“. Keine andere Nation, außer der Schweiz,  ist diesen Weg gegangen, obwohl doch die Bedrohung durch die Atomkraft alle Völker gleichermaßen betrifft. Im Gegenteil: Neue Atomkraftwerke wurden seither vielerorts gebaut bzw. geplant. Selbst im eigenen Lande werden Stimmen laut, die eine Rückkehr zur, jetzt wesentlich sichereren Atomkraft fordern. Vermutlich sind die ehrgeizigen „Klimaziele“, die das Abkommen von Paris aus dem Jahre 2015 definiert hat, ohne die saubere Atomenergie überhaupt nicht zu erreichen.

Ich glaube, dass wir gar nicht anders können als zu akzeptieren, dass die „German Angst“ tatsächlich existiert und unser Leben innerhalb der Grenzen der Bundesrepublik Deutschland ganz erheblich beeinflusst. Ein Trost dabei ist, dass die Wissenschaft längst bewiesen hat, dass Angst ein Zeichen von Intelligenz ist. Menschen, die sich viele Sorgen machen, scheinen tatsächlich wesentlich intelligenter zu sein, das jedenfalls haben amerikanische Studien herausgefunden (siehe dazu das Portal „gedankenwelt.de“).

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