Hilft die Wissenschaft in Krisen wirklich weiter?

Leonardo da Vinci: Der truvianische Mensch

Im Augenblick beherrschen zwei Themen die öffentliche Meinung mit unterschiedlicher Priorität: Die Corona-Pandemie und der Klima-Wandel. Beides wird ja häufig mit dem jeweiligen Präfix als Krise bezeichnet, was zum Ausdruck bringt, dass wir noch weit von einer Problemlösung entfernt sind. Sowohl in der Corona-Krise als auch in der Klima-Krise spielt die Wissenschaft eine entscheidende Rolle. In der akuten Phase der Pandemie ging es sogar so weit, dass Viro- und Epidemiologen aus Universitätsinstituten das politische Zepter übernommen zu haben schienen. Es gab im Fernsehen keine Talk-Show in der nicht einer von Ihnen saß und über die Schließung der Schulen und Kitas, der Fußballstadien, den Abstand von Mensch zu Mensch oder über Gesichtsmasken räsonierte. So lange es um die Begründung des „Shut-Down“ ging, waren sich alle einig, als aber Wochen später eine langsame Rücknahme der getroffenen Maßnahmen anstand, war die Pluralität der Spezialistenmeinungen erheblich angeschwollen. Der eine sagte so, der andere so und beide beriefen sich auf wissenschaftliche Erkenntnisse. Die Politiker waren ratlos und die Aussagen einzelner Wissenschaftler wurden den Wünschen der jeweiligen Parteipolitik angepasst. Die Laien-Bürger verstanden die Welt nicht mehr:  war nicht eine wissenschaftliche Hypothese oder Theorie ein Abbild der Wirklichkeit und unumstößliche Wahrheit? Was bewiesen war, war doch ein Naturgesetz!

Die Theorie der Wissenschaft nahm bis in die jüngere Zeit tatsächlich an, dass zwar alles denkbar ist, aber nur dasjenige „wissenschaftlich belegt“ genannt werden könne, was sich auch wiederholbar unter Beweis stellen ließ.  Das Dilemma dieser Vorstellung ist, dass es immer wieder vorkam, dass die Theorie umgestoßen werden musste, weil neue Erkenntnisse den alten Beweisen keine Gültigkeit mehr gaben. Wenn man verallgemeinern will bedeutet dies, dass es wissenschaftlich unumstößliche Gesetze nicht gibt, denn ihre Verifikation durch Experiment und/oder Beobachtung kann letztlich nur ein Anhalt aber niemals endgültig sein. Daraus folgt, dass die Wissenschaft keine definitiv validen Antworten geben kann. Einen gedanklichen Ausweg aus diesem Dilemma fand der Wiener Philosoph Karl Popper (1902 bis 1994) indem er ganz pragmatisch die Verifizierbarkeit, also den endgültigen Beweis einer Theorie aus seinem Gedankengut strich. Er behauptete, dass es in der Wissenschaft nicht um deren ewige Gültigkeit gehen könne, sondern ausschließlich darum eine Hypothese bzw. Theorie immer wieder zu verwerfen und entsprechend zu ergänzen bzw. zu erneuern um sich so der „Wahrheit“ Schritt für Schritt zu nähern. Dementsprechend ist Wahrheit eine angenäherte und keine absolute Größe. Schon in der Schule haben wir erfahren, dass Platon von sich behauptete „ich weiss, dass ich nichts weiss“. Dies bezog sich nicht nur auf die „fake news“,  sondern auch auf das ganz bewusste Nichtwissen des Naturwissenschaftlers.

Karl Popper hat, seiner Einsicht entsprechend, erklärt, dass Wissenschaft immer die Möglichkeit der Falsifikation in sich tragen muss, andernfalls sei sie keine Wissenschaft. Zur Illustration seiner Vorstellung führte er das mittlerweile berühmte Beispiel der weißen Schwäne an. In unseren Breitengraden ist die Feststellung „alle Schwäne sind weiß“ auf den ersten Eindruck richtig, aber ist so eine Folgerung aus vielen Einzelbeobachtungen zulässig und kann man davon eine allgemeingültige Gesetzmäßigkeit ableiten? Ganz offenbar nicht, seit am Beginn des 20. Jahrhunderts in Australien schwarze Schwäne gesichtet und dokumentiert wurden. Nach Popper war die Aussage „Alle Schwäne sind weiß“ tatsächlich eine wissenschaftliche Hypothese, denn in ihr lag die Verneinung (Falsifikation) gleichsam eingebaut, was seinen wissenschaftlichen Kriterien genügte. Aber das Beispiel macht auch deutlich, dass eine Hypothese immer nur auf Zeit richtig ist, auch wenn sie intensivster Überprüfung standhält kann sie nicht ewig gültig sein. Die herkömmliche wissenschaftliche Methode vom Einzelfall auf eine Gesetzmäßigkeit zu schließen (Induktion) ist nach Popper obsolet geworden. Er setzt dem induktiven das deduktive Denken entgegen, wobei genau andersherum vorgegangen wird: aus gegebenen Voraussetzungen wird auf einen individuellen Fall geschlossen. Ein Beispiel: „Ich gehe an der Paulskirche vorbei, also bin ich in Frankfurt“. Es wäre nicht zielführend an dieser Stelle auf die Methode der Deduktion in der Wissenschaftsphilosophie intensiver einzugehen.

Ich will mich vielmehr auf die Konsequenzen des oben Dargelegten für die Beurteilung der Diskussionen um die eingangs genannten großen Themen unserer Zeit kümmern. Das Hin und Her in der Situationsbeurteilung durch unsere Virologen und Epidemiologen ist ganz natürlich in einer erstmalig auftretenden Virus-Pandemie. Da sich der Erkenntnisstand kurzfristig durch Falsifikation der vorangegangenen Hypothese, ändern kann, müssen sich zwangsläufig neue Konzepte ergeben. Was gelegentlich als Wankelmut oder Unentschlossenheit wahrgenommen wird, ist nichts anderes als angewandte Wissenschaft. Sein wir doch froh, dass unsere Gesellschaft die geistige Flexibilität hat sich aktuellen Erkenntnissen der Forschung anzupassen und damit voranzukommen!

Ein wenig anders liegen die Verhältnisse beim Klimawandel. Die Bedrohung wird als weniger konkret wahrgenommen. Daher sind es eher die jungen Leute, die um ihre Zukunft bangen und sich in Gruppen wie „Fridays for Future“ organisiert haben. Auch sie berufen sich auf die Wissenschaft, aber offensichtlich ohne von Karl Popper und seiner Philosopie gehört zu haben. Daher wird die, Induktionsgetriebene, „alte Wissenschaft“ bemüht und die Möglichkeit einer „Falsifikation“ der gegenwärtigen Hypothesen zur Klimakatastrophe vehement abgelehnt („Klimaleugner/Klimaskeptiker“). Es ist heute unbestritten, dass die Falsifizierbarkeit ein ganz wesentliches Kriterium darstellt, mit dem man in die Lage versetzt wird Wissenschaft von Metaphysik, Glauben und Religion abzugrenzen. In diesen letztgenannten Erkenntnissphären bewegen sich viele Klimaaktivisten und desavouieren damit ihren Anspruch auf Wissenschaftlichkeit.

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