Im Dezember 1917 verabschiedete der amerikanische Kongress das 18. Amendment (den 18. Verfassungszusatz) mit einer Zweidrittelmehrheit, allerdings gegen das Veto des Präsidenten Woodrow Wilson. Es sollte noch zwei Jahre dauern, bis das Gesetz alle parlamentarischen Hürden genommen hatte: am 16. Januar 1920, also vor ziemlich genau 100 Jahren, trat es offiziell in Kraft. Die vielen Organisationen und Verbände, die jahrzehntelang für ein generelles Alkoholverbot in den USA gekämpft hatten, schienen am Ziel angelangt zu sein. Die „Herstellung, der Verkauf und Transport sowie die Ein- und Ausfuhr berauschender Getränke“ war ab sofort verfassungswidrig. In den Vereinigten Staaten hatte die Prohibition begonnen. Der schon von den „Mayflower“-Pilgrim Fathers importierte englische Puritanismus hatte in der amerikanischen Gesellschaft einen vermeintlichen Sieg errungen, aber eben nur einen „vermeintlichen“. Das nicht nur von Soziologen als „The Noble Experiment“ bezeichnete Alkoholverbot war von Anfang an zum Scheitern verurteilt, denn es gab überhaupt keine effiziente staatliche Kontrollmöglichkeit zu seiner Durchsetzung.
Vergessen wir nicht, dass die Vereinigten Staaten am Ende des 19. Jahrhunderts eigentlich eine Bier-Nation war. Mit den deutschen Einwanderern kam auch die Braukunst ins Land, die durch die getränketechnologische Entwicklung in Amerika, wie elektrische Kühlaggregate in der Brauerei bzw. die rasche geographische Verteilung des Produktes durch ein effizientes Schienennetz, einen enormen Boom erfuhr. Wirkliche Konkurrenz hatte das Bier nur vom Whiskey, der amerikanischen Mais-Variante des schottischen Whisky. In sog. „Mondschein“-Brauereien und Destillen wurden die illegalen Getränke nachts von kleinen Gangstern in den Hinterhöfen der Großstädte, häufig vor den Augen der Polizei, gefertigt.
Kein Wunder, dass sich die organisierte Kriminalität des Alkohol-Verkaufs bemächtigte und teilweise gegeneinander handelnde Mafia-Imperien beherrschten in manchen Regionen den kompletten Alkoholabsatz. Legendäre Mafia-Bosse wie John Donato Torrio und seine berühmten Schüler Al Capone, bzw. George Moran und der „Bierbaron der Bronx“ namens Dutch Schultz oder auch Lucky Luciano haben es zu immensem Reichtum gebracht. Es entstand eine spezifisch amerikanische Gangster-Romantik, die Eingang in Kunst und Literatur gefunden hat und deren Wurzeln in der Prohibition lagen. Atmosphärisch hat Sergio Leone in seinem langsam getakteten Meisterwerk „Once Upon a Time in America“ (Es war einmal in Amerika) zur Musik von Ennio Morricone dieser, auch gelegentlich sehr gewaltsamen, Zeit ein großartiges filmisches Denkmal gesetzt. Auch Francis Scott Fitzgerald hat mit seinem Roman „Der große Gatsby“ die sozialen Folgen der Prohibition meisterhaft beschrieben und dabei Weltliteratur geschaffen.
Die Prohibition hat die Kultur Amerikas noch in einer anderen Weise geprägt, nämlich durch die Erfindung der sog. „Speakeasys“. Der Name klang harmlos, auch in der deutschen Übersetzung „Flüsterkneipe“. Aber so harmlos waren diese Etabilissements nicht, denn sie waren die Umschlagplätze der illegalen alkoholischen Produkte aus den Betrieben der Mafia-Bosse. Das Flüstern beim Konsum außerhalb der Legalität, diente der Sicherheit, dass vorbeigehende Passanten nicht aufmerksam wurden und die Zecher hinter den Fenstern entdeckten. Man kann sich vorstellen, dass es für die Betreiber eines Speakeasy einfacher war die berauschende Dosis Alkohol als Whiskey auszuschenken, denn als Bier. Die Logistik war bei Bier deutlich schwieriger, relativ große Lagerkapazitäten mussten außerdem zur Verfügung gestellt werden und die Anlieferung war schwieriger unbeobachtet durchzuführen. Mit dem einfacher handhabbaren Whiskey kamen aber auch die gravierenden gesundheitlichen Probleme: die unsachgemäße Destillation führte zu hohen Konzentrationen toxischer Fuselöle im Destillat oder gar zur Erblindung des Konsumenten durch Reste von giftigem Methanol im vermeintlichen Genussmittel. Die „Speakeasys“ waren eine Art von Club, in den man nur durch Empfehlung eines dort bereits Bekannten Eintritt fand. Nicht selten hatten die Betreiber auch enge Kontakte zur lokalen Polizei, die vor einer Razzia eine Warnung schickten. Korruption war der einzig natürliche Zustand in dem ein „Speakeasy“ überleben konnte. Die Kriminalromane von Dashiell Hammet aus den 30iger Jahren des 20. Jahrhunderts dokumentierten dies literarisch anspruchsvoll.
Mit der Weltwirtschaftskrise kam auch die Prohibition ins gesellschaftliche Abseits. Was einst lautere Absichten besorgter Bürger waren geriet zur starren Ideologie einer konservativen, fortschrittsfeindlichen, oberen Mittelklasse, die für die verheerenden Folgen der Prohibition verantwortlich zeichnete. Der Alkoholkonsum im Lande war erheblich größer als vor dem Beginn des Verbots und die Strassenkriminalität war in schwindelerregende Höhen geklettert. Die Stimmng in der Bevölkerung kippte und am 5. Dezember 1933 wird in der gerade begonnenen Regierungszeit von Franklin D. Roosevelt mit der Ratifizierung eines neuen Amendments der Zusatz vom 16. Januar 1920 nach fast 14 Jahren wieder aufgehoben. Das „Noble Experiment“ war gescheitert und die Vereinigten Staaten machten sich auf in eine neue Zukunft ihrer Genußkultur, die auch zu einer großartigen Entwicklung der bis dahin tief am Boden liegenden Weinwirtschaft führte.
Bleiben Sie stets neugierig und… durstig!