War es der Hochmut der deutschen Weinfreunde in der Vergangenheit, dass sie alles was irgendwie mit der Trauben-Frucht zusammenhing mit dem Präfix „Wein-“ versahen und dies der Sprache aufgezwungen haben? Die Frucht wird Wein-Traube genannt und wo sie am Wein-Stock wächst sind die Wein-Berge. Die Wein-Flaschen werden im Wein-Keller im Wein-Regal gelagert und schließlich aus einem Wein-Glas getrunken. Unsere geographischen Nachbarn jenseits der Landesgrenzen haben diese linguistische Präzision nicht: beispielsweise sind die Traube schlichtweg „uva/grape/grappe/grappolo“, der Weinkeller ist „bodega/cellar/cave/cantina“ und die Weinlese „vendimia/vintage/récolte/vendemmia“ jeweils auf spanisch, englisch französisch und italienisch. Steht hinter diesem Sprachphänomen der deutsche Hang zur Genauigkeit im Ausdruck oder die sprachliche Huldigung des von Menschenhand mühsam erzeugten Endproduktes mit seiner langen Geschichte? Über deren Anfänge, die von Historikern im Nahen Osten vermutet werden, werde ich im Folgenden ein wenig nachdenken.
Bei der Erforschung der frühen Essens- und Getränkegeschichte der Menschheit sind die Archäologen oftmals auf kleinste Reste von Nahrungsmitteln in zerbrochenen Gefäßen angewiesen, die z. T. Jahrtausende unter der Erde vergraben waren. Wenn man irgendwo auf Kerne von Weintrauben stieß wurde bei den Archäologen und Historikern ein intellektueller Kurzschluss ausgelöst und sofort an die Produktion von Wein gedacht. Damit man aber Wein produzieren konnte musste erst einmal eine soziologische Grundvoraussetzung erfüllt sein: der Mensch musste sein Nomadenleben aufgeben und sesshaft werden. Dieser Prozess, der in Geschichtsbüchern auch die „neolithische Revolution“ genannt wird, geschah um das 10. Jahrtausend vor unserer Zeitrechnung, also im „Neolithikum“, der sog. Jungsteinzeit. Die Bauern begannen sich in Dörfern zusammenzufinden um gemeinschaftlich Ackerbau und Viehzucht zu betreiben und auch eine gemeinsame Bevorratung für die produktionsarme Zeit anzulegen und zu verwalten. Da die Weinreben (lat.: Vitis) mit ungefähr 60 bekannten Arten sich in jenen Tagen auch in unseren nördlichen Klimazonen als Wildtrauben verbreitet hatten ist anzunehmen, dass sie auch bei der Ernährung der vorneolithischen Nomaden eine Rolle spielten. Sie wurden vermutlich ähnlich wie Waldbeeren gesammelt. Aus ihren süßen Beeren konnte man Rosinen, Sirup und letztlich auch würzigen Essig machen, Dinge, die man auch bedenkenlos für eine gewisse Zeit aufheben konnte. Der Wunsch die nahr- und schmackhaften Weintrauben zu domestizieren muss den sesshaften Dorfbewohnern schon relativ früh in den Sinn gekommen sein.
Dabei ist es überhaupt nicht selbstverständlich, dass sie in erster Linie an die Produktion von Wein gedacht haben, denn sie hatten gelernt, dass man Nahrungsmittel auch ohne Vergärung mit einfachen Methoden eine gewisse Zeit konservieren konnte. Ganz sicher spielte der eingedickte Traubensyrup, das „Pekmez“ der Länder im Vorderen Orient, schon im Neolithikum eine wichtige Rolle in der Ernährung der Bauern. Dieses der Melasse sehr ähnliche feste Kondensat von Traubensaft entsteht durch das langsame Köcheln des Syrups mit Johannisbrotkern-Mehl oder Holzasche als Verdickungsmittel. Es ist wohlschmeckend, nahrhaft und reich an Mineralstoffen. Eine einfache Konservierungsvariante für Trauben, war das Anfertigen von Rosinen. Diese Trockenfrüchte wurden, ähnlich wie das übrige Trockenobst, als Beimengung zu anderen Speisen verwandt. Ganz besondere Erwähnung verdient der Essig. Säure im Essen bewirkt eine bessere Verdauung der Speisen und in Getränken kann sie, wie jeder Weinfreund weiß, für Frische und Geschmack sorgen. Schon in den frühen Zeiten der Geschichte, von denen gerade die Rede ist, war mit Wasser verdünnter – vielleicht auch mit Kräutern gewürzter – Essig ein sehr begehrter Durstlöscher.
Die erste Weinproduktion etwas größeren Ausmaßes datieren die Historiker erst um das Jahr 4500 v. Chr., d.h. in die sog. Kupfersteinzeit (Chalkolithikum). Sie ging einher mit der ersten Aufzucht von Fruchtbäumen wie Oliven, Feigen, Datteln und Trauben. Wie Ausgrabungen in der Nähe der im Südosten der Türkei befindlichen Stadt Şanlıurfa belegen, war bereits vor dem Neolithikum, noch in Zeiten des Nomadentums, die Kunst Bier aus Getreide wie Gerste oder Weizen zu brauen weit verbreitet. Getrocknete Gerstenkörner konnte man sehr gut transportieren und lagern, daher konnte man praktisch ganzjährig Bier in jeder gewünschten Menge und entfernt vom Ort der Ernte brauen.
Mit dem Wein verhielt es sich anders: die Verfügbarkeit von Trauben war zeitlich limitiert und die Aufbewahrung des jungen Weines schwierig, da große, luftdicht verschließbare Gefäße benötigt wurden. Zudem war der Bedarf für Wein nicht gegeben, da das Bier diesen als Nahrungs- und Rauschmittel voll und ganz ersetzte. Mit der Entwicklung einer gesellschaftlichen Struktur in den entstehenden kleinen Städten entstanden trotzdem langsam die Voraussetzungen für eine Weinkultur. Töpfereien konnten große Tonamphoren für die Produktion und Aufbewahrung des Weines herstellen und die Konsumenten lernten das Produkt zu wertschätzen. Auf etablierten Handelswegen kam es zu seinen Liebhabern, die dafür auch gutes Geld zahlten. Ihren ersten Höhepunkt erreichte die Weinkultur schließlich im antiken Griechenland und im Römischen Reich. Damals begann erst die wirkliche europäische Weingeschichte.
Bleiben Sie stets neugierig… und durstig!