Ein Essay über die Ursprünge der Rioja und ihrer Weine

Lopez de Heredia: Traditionelle Werte beim Wein und bei der Architektur

Lopez de Heredia: Traditionelle Werte beim Wein und bei der Architektur

Eine Legende besagt, dass ein Enkel des Sintflutschiffers Noah in den frühen Tagen der Menschheit einst mit einer kleinen Gefolgschaft in einem Boot von Osten kommend das Mittelmeer überquerte. Vor der Küste Spaniens, an der Ebromündung, erlitten sie Schiffbruch und stürzten in den geheimnisvollen Fluss. Als sie der Strömung auf wundersame Weise wieder entstiegen, waren sie in der heutigen Rioja, wo die Schönheit der Landschaft die fremden Seeleute derart in Erstaunen versetzte, dass sich einige von Ihnen entschlossen hier zu bleiben, während der Rest weiter in die Kantabrischen Berge und ins Baskenland zog. Diese Mär soll vermutlich zeigen, dass die Vergangenheit der Rioja bis in biblische Zeiten zurückreicht.

Wer heute an einem lichten Frühsommer- oder pastellfarbenen Herbsttag durch das Ebrotal zwischen Haro und Logroño reist, wird den Entschluss der biblischen Männer leicht nachvollziehen können. Dem Reiz der Landschaft kann man sich nicht entziehen und es scheint wie ein Wunder, dass die Rioja, im Gegensatz zu anderen großen Weinbaugebieten dieser Welt, vom Massentourismus noch nicht völlig verunstaltet ist. Vielleicht haben wir dies dem berühmtesten und gründlichsten Spanienreisenden des 19. Jahrhunderts, dem Engländer Richard Ford, zu verdanken. Er schrieb über diesen Landstrich: „er ist völlig ohne Vergnügen und Interesse und kann guten Gewissens von der Route Spanienreisender gestrichen werden“. Was den sonst so feinfühligen Ford zu dieser negativen Äußerung über das Ebrotal hingerissen haben mag, ist unbekannt, aber seine Empfehlung scheint Gewicht gehabt zu haben: es gab kaum wirklich lesenswerte Reiseberichte über dieses schöne Land und entsprechend unterentwickelt blieb lange Zeit der Fremdenverkehr. Ganz unerwartet weht auch heute noch gelegentlich ein verzauberter Hauch von Einsamkeit und Stille über dem gemächlichen Ebro, bei dem sich die Gedanken und Assoziationen des Betrachters leicht in der schillernden Geschichte der Rioja verlieren können.

Ende des 11. Jahrhunderts wurde der Name „Rioja“ erstmals schriftlich erwähnt und bezeichnete damals jenen kleinen Landstrich der vom Rio Oja bewässert wurde. Aber schon bald benutzte man ihn synonym für das ganze obere Ebrotal. Die Landschaft prägt die Menschen, die in ihr leben und damit auch die Weine, die sie erzeugen. Dies ist an der Gironde, an der Rhône, am Rhein und in vielen anderen berühmten Anbaugebieten der Fall, und natürlich auch am oberen Ebrolauf. Hier, im nahe gelegenen Kloster von San Millán de la Cogolla, hat der Mönch Gonzalo Berceo einst das erste Gedicht in der sich gerade ausbildenden kastilischen Sprache verfasst:

Quiero fer una prosa en román paladino
en el cual suele el pueblo fablar a su vecino
ca non soi tan letrado por fer otro latino
bien valdra como creo un vaso de bon vino. 

Frei übersetzt bedeutet dies: „ich würde gerne in eleganter Sprache schreiben / so wie einst die Vorfahren miteinander gesprochen haben /aber ich bin dieses anderen Lateins nicht mächtig / darum, glaube ich aber, werden wir ein gutes Glas Wein erst recht genießen.“ Es ist kein Zufall, dass bei der Geburt einer Weltsprache, die das Spanische im Laufe der folgenden Jahrhunderte schließlich geworden ist, der Wein des Ebro-Tales Pate stand. Das schöpferische Element des vergorenen Rebensaftes hat die Menschen schon immer beflügelt. Im 19. Jahrhundert waren dann die französischen Weine das Maß aller Dinge und die Rioja wurde eine Art „Wein-Kolonie“ von Bordeaux. Heute zählt der Rioja-Wein in seiner spanischen Heimat zu den beliebtesten und begehrtesten Weinen. In einem Land in dem ausländische Weine eher zurückhaltend getrunken werden, verfügt der „Rioja“ über ein erhebliches Charisma. In den Vitrinen der Weinhändler oder der Delikatessenläden stehen die großen Marken, gleichsam als Zeugen der Exklusivität des Geschäftes.

José Peñin, einer der bekanntesten Biographen der Rioja und des spanischen Weins, hat die Einstellung seiner Landsleute zum Wein folgendermaßen charakterisiert: „der Wein aus meinem Dorf“ ist das Getränk für den häuslichen Alltag, „der Valdepeñas“ ist der Wein für das Gespräch an der Bar und „der Rioja“ ist der Sonntagswein oder der Wein für die großen Feste. Dabei spielt noch heute der Name des Weins eine ganz wichtige Rolle. Er muß klingen und Prestige haben, schließlich repräsentiert er auch den gesellschaftlichen Status des Konsumenten. Aus diesem urspanischen Verständnis einer Marke sind die Adelstitel wie Barón de Chirel, Barón de Oña, Marqués de Caceres, Marqués del Puerto, Conde de Salceda, Conde de Valdemar u.v.a zu erklären, die die Etiketten von Rioja-Weinen häufig zieren. Mittlerweile ist allerdings eine Jugend herangewachsen, die sich dem Geschmack der Väter und Großväter verweigert und dem Wein insgesamt eher ablehnend gegenübersteht (was bei den Winzerbetrieben langsam aber sicher in eine ernsthafte Absatzkrise führt!).

In den 80er Jahren des 20. Jahrhunderts begann eine junge Riege spanischer Weinmacher landauf und landab ein neues Selbstbewusstsein zu entwickeln und zu lernen Weine zu produzieren, die es an Struktur und Rafinesse mit ihren Konkurrenten aus Frankreich und Italien leicht aufnehmen konnten. Häufig waren sie geprägt vom „modernen“ Stil, den insbesondere ein namentlich bekannter, amerikanischer Weinkritiker bevorzugte. Auch in der Rioja geschah etwas Ähnliches, allerdings ohne die komplette Abwendung vom „traditionellen“ Stil. Die klassisch filigrane Zartheit und feine Eleganz sowie ihre Langlebigkeit waren einst die Markenzeichen dieser, auch heute noch von einigen Kellereien produzierten Weine. Demgegenüber sind die modern vinifizierten Rioja-Kreszenzen intensiv, fruchtbetont, schokoladig und mit balsamischen Holznoten. Wie in den vergangenen Jahrhunderten hat sich die Rioja auch in der Gegenwart wieder sehr erfolgreich dem (leider allzu häufig den Charakter nivellierenden) Zeitgeschmack angepasst. Die Geschichte der Rioja lebt eben weiter, auch viele tausend Jahre nach Noahs schiffbrüchigem Enkel!

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