„Naturweine“: Georgien ist das große Vorbild

Das Rebenkreuz der Heiligen Nino vor der Swetichoveli-Kathedrale in Mzcheta.

Unter der heutigen Jugend, soweit sie überhaupt dem Wein als Genussmittel zugänglich ist, haben die sog. „Naturweine“ so etwas wie Kultstatus. In unseren Breiten ist es eine zahlungskräftige, urbane  Schicht junger Erwachsener (schon seit einiger Zeit als „BoBo“ = Bourgeois-Bohemiens, definiert) mit ausgeprägtem Umweltbewusstsein die sich beim Wein dem Geschmack der Väter und Großväter verweigert. Man möchte neue Wege gehen, möglichst rational begründbar, und da haben sich, dem ökologischen Zeitgeist voll entsprechend, die sog. „Naturweine“  angeboten. Für diese stellte man einige Kriterien in den Raum, die erfüllt sein müssen um den ungetrübten Genuss zu garantieren: (1) In den Prozess der Vinifikation sollte von Seiten der Weinmacher möglichst wenig eingegriffen werden, (2) der Wein sollte keine Zusätze, selbstverständlich auch keinen Schwefel, enthalten und schließlich sollte er (3) unfiltriert bleiben. Außerdem ist ökologischer Rebbau  ein „Muss“ für die Naturweine der weltweit aktiven, weinbegeisterten „BoBo“-Generation (die jungen Wein-„Freaks“, sollten aber nicht vergessen, dass Wein in Trinkmengen niemals ein „Naturprodukt“ im strengen Sinne sein kann, dazu braucht es immer den Menschen!). Zwar gibt es keinerlei offizielle Definition des „Naturweins“ aber alle europäischen Sprachen haben den Begriff in ihren Wortschatz aufgenommen.
Auf der Suche nach nachahmenswerten Prototypen wurde man in Georgien fündig und heute ist die 8.000-jährige Weinkultur dieses Landes („Wiege der Weinkultur“) der Standard aller Naturweinfreaks. Was von der UNESCO 2013 in Würdigung seiner langen Geschichte als immaterielles Weltkulturerbe anerkannt wurde ist heute die Utopie progressiver Ökowinzer in vielen Teilen der Welt. Paradoxerweise bezeichnen sich gerade diese Wiederentdecker der Geschichte als önologische „Avantgarde“.

Außen vergipste „Qvevris“ (Tonamphoren) vor dem Vergraben in der Erde und daneben bereits in die Erde eingelassene (Weingut IAGO).

Im Focus der georgischen Vinifikation stand  seit jeher die „Qvevri“. Dabei handelt es sich um Tonamphoren  in denen der Wein bereitet wird,  reift und gelagert wird.  Im Unterschied zur konventionellen, „europäischen“ Weinbereitung werden Most, Beerenschalen und Stiele samt Traubenkerne gemeinsam in die in die Erde eingegrabene Qvevri gegeben, unter ständigem Umrühren und Niederdrücken der Maische vergoren, luftdicht verschlossen, nach frühestens 6 Monaten Maischekontakt abgestochen, abgefüllt und konsumiert. Das Vorgehen ist dabei für Rot- und für Weißweine identisch. Diese methodische Basis wird nun in beinahe jeder Kellerei leicht abgewandelt und dem gewünschten Stil des jeweiligen Weinmachers angepasst. Mit am Gaumen spürbarem Erfolg ist dies z .B. im kleinen Weingut IAGO (Weinmacher: Iago Bitarishvili) in der Region Kartli geschehen. Während die so entstandenen Rotweine zwar viel Tannine und Farbstoffe enthalten, ähneln sie in ihrer Struktur und ihrem Geschmack den uns bekannten Kreszenzen. Bei den Weißweinen ist das völlig anders: bereits die Farbe, die meist ins Rötlich-Orange geht,  deutet auf erhebliche Unterschiede zu europäischer Standardproduktion. Das wird auch im Duft deutlich , wo mehr oder weniger oxydative Töne  in kräutrige Noten eingebunden sind. Auch Moos- und Pilz-Nuancen finden sich häufig. Am Gaumen zeigen alle Weißen aus der Qvevri  Tannine und Bitternoten. „Herb“ und „rustikal“ sind zwei Eigenschaften, die die weißen bzw. orangefarbenen Weine gut beschreiben (“Orange-wine”).

Was mir in fast allen Kellereien besonders aufgefallen ist, sowohl bei den Rot- als auch bei den Weißweinen, ist die beinahe vollständige Abwesenheit von primären Fruchtaromen. Gleichermaßen aufgefallen ist mir, die geringe Aufmerksamkeit, die die Winzer offenbar auf ihre Rebgärten richten. Nicht ein einziges Mal wurde mir eine kellereigene Rebanlage gezeigt und auf das Thema angesprochen gab man sich immer sehr kurzangebunden. Besteht da etwa ein Zusammenhang zwischen mangelnder Frucht und Rebpflege?

Aus  meiner Beschreibung der Eigenschaften von georgischen Qvevri-Weinen ist vermutlich bereits erkennbar, dass sie für mich persönlich nicht gerade die sensorischen Hochkaräter darstellen. Trotzdem muss ich feststellen, dass sie durchweg große Charaktere sind, wie beispielhaft die Weine des Château Schuchmann (Weinmacher: Roland Burdiashvili) in Kisiskhevi. Man müsste allerdings an einen Paradigmenwechsel im Weingeschmack glauben, wenn man diesen Weinen eine große Zukunft voraussagen wollte. Die georgische Methode war ja auch nicht ganz so einzigartig in der Geschichte des Weins wie man dem Besucher dort glauben machen möchte: in Amphoren und auf der Maische wurde Wein auch bei den Griechen und Römern bereitet und die spanischen „Tinajas“ aus Ton, die noch bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts fast überall im Land anzutreffen waren, sind ganz bewusst zur Verbesserung der Weinqualität zugunsten anderer Behältnisse verlassen worden. Bei der Methodik der Weinbereitung gilt selbstverständlich ebenfalls die Regel „das Bessere ist der Feind des Guten“. Auch die Georgier haben dies, trotz aller Liebe für ihre Traditionen, längst eingesehen  und so gibt es ganz wunderbare “moderne“, (sog. „europäische“) Weine. Manche davon stellen gar eine Synthese von vorsichtig eingesetztem Qvevri- und Barrique-Ausbau dar. Hervorragende Beispiele dafür sind das kleine Weingut Martali Gvino (Weinmacher: Nicolaz und Mikhail Bitskinashvili sowie Thomas Schubaeus),  in  der Region Kachetien und natürlich das Château Mukhrani nahe der Hauptstadt Tiflis in der Mtskheta Region. In letzterem macht der u.a. in Bordeaux ausgebildete deutsche Patrick Honnef Weine von überragender Qualität, deren rote Varianten tatsächlich ein wenig an die Kreszenzen aus Pomerol erinnert haben.

Man kann nicht über die Weinkultur Georgiens schreiben ohne wenigstens kurz auf die autochthonen Rebsorten des Landes einzugehen. Es gibt angeblich über 500 verschiedene Sorten und allen voran steht der rote Saperavi. Diese Rebe bringt eine Färbertraube hervor, d.h. sie hat rotes Fruchtfleisch und ist damit mit dem Dornfelder oder der Alicante Bouschet vergleichbar. Ihre Qualität in Geschmack und Struktur der Weine ist allerdings ganz einzigartig und dem Cabernet Sauvignon oder dem Merlot ebenbürtig. Die  großen Rotweine Georgiens sind meist aus dieser Rebsorte. Unter den weißen Sorten, die auch für den klassischen Qvevri-Ausbau benutzt werden, sind die autochthonen  Tsinandali, Rkatsiteli und Chinuri erwähnenswert. Selbstverständlich werden auch junge, frische und sehr attraktive Weiße im „europäischen“ Stil ausgebaut.

Es lohnt, sowohl unter dem Zukunftsaspekt als auch aus historischem Interesse sich mit georgischem Wein zu beschäftigen. Die Vielfalt der Vinifikationsmethoden und die jeweils dazu gehörigen Weine ergeben ein spannendes Spektrum sinnlicher Erfahrungen, das jeden Weinfreund nur erfreuen kann. Allerdings muss man für dieses Erlebnis gelegentlich „den Gaumen öffnen“ und über den Schatten des eigenen, Jahre lang gefestigten, Weingeschmacks springen.

N.B.: eine etwas abgewandelte Version des vorliegenden Textes wurde auf der web-Seite des Collegium Vini (www.collegium-vini.de) unter dem Titel „Einsichten zum georgischen Wein“ veröffentlicht.

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