Ein Lifestyle-Accessoire: das Bad im Wein

Aus: Wilhelm Busch „Bildergeschichten“, Edition XXL, Reichelsheim, 2002 , Einzelheiten siehe Text.

Über die vielfältigen  medizinischen Wirkungen des Weinkonsums habe ich an dieser Stelle immer wieder berichtet. Dabei wurde der Wein stets in konventioneller Weise genossen, d. h. er wurde getrunken. Kürzlich stieß ich aber auf einen Bericht in dem dargelegt wurde, dass der dem Badewasser zugefügte Wein auch  über und an der Haut seine wohltuenden Wirkungen entfalten könne. Der magische Begriff hieß „Vinotherapie“ und es wurde behauptet, dass man damit den Kreislauf ankurbeln, das Immunsystem stärken, den Fettstoffwechsel aktivieren und den Alterungsprozess der Haut aufhalten würde. Im Verlauf meiner weiteren Recherchen stellte sich heraus, dass in der Vinotherapie tatsächlich eine Art von Badetherapie mit Wein eine Rolle spielte und ich musste unweigerlich an Wilhelm Buschs satirische Bildergeschichte von der „Frommen Helene“ denken. Darin hieß es im Zehnten Kapitel:

„Und da der Arzt mit Ernst gerathen,
Den Leib in warmem Wein zu baden,
So thut sie´s auch.“

Bei Busch wurde nach Helenes Ganzkörper-Wein-Erfahrung der Badewanneninhalt an die armen Leute auf der kalten Straße verteilt, damit sie „auch mal etwas Warmes haben“.

Seit der Lektüre von Wilhelm Buschs kleinem, gezeichneten und gedichtetem Meisterwerk konnte ich all das was ich an „wissenschaftlicher Literatur“ zur Vinotherapie las, nur noch als satirische Steigerung von Helenes Badeabenteuer wahrnehmen. Denn Studien im klassischen Sinne des Wirkungsnachweises gibt es weit und breit nicht einmal im Ansatz, und in der Beschreibung des „Therapieerfolges“ spielte das wenig präzise Wort „Wellness“ eine überragende Rolle. In sog.  Weintherapiezentren wird alles was man aus den geduldigen Trauben extrahieren kann, dem „Patienten“ zugeführt. Salben und Cremes mit Traubenkernöl, wässrige Extrakte und Emulsionen von Weinblättern und Trauben sowie Trester-Präparate fügen dem Körper angeblich die antioxydativen Polyphenole, einschließlich des Resveratrols zu. Die α-Hydroxycarbonsäuren des Weins (zu diesen gehören bekanntlich die Äpfelsäure, Citronensäure, Milchsäure oder Weinsäure) sind pharmakologisch aktiv, denn sie besitzen (schwache) antiseptische und entzündungshemmende Eigenschaften.

Hinter der Entwicklung der Vinotherapie steht in vorderster Front eine Firma namens „Caudalíe“ deren Mitbegründerin Mathilde Thomas auf ihrer Website schreibt: „Die Weinrebe ist ein wahrer Schatz von unermessbarem Wert und unerschöpflichem Reichtum. Die von uns verwendeten Weinreben-Extrakte stammen aus den französischen Weinbergen (Bordeaux, Champagne und Burgund).“ Wo gibt es wohl mehr breitgefächerte Erfahrung im Umgang mit Wein als in Frankreich?

Gehen wir noch einmal zurück zum bacchantischen Bad. Vielerorts in der sog Spa-Hotellerie werden heute Kuren mit „Weinbädern“ und den genannten anderen Produkten aus der Önologie angeboten. Aber aufgepasst! Man begibt sich nicht etwa in ein Barrique oder Holzzuber voll duftendem, rubinrotem Burgunder es sind vielmehr gekachelte Becken mit warmem Wasser, dem eine Vielzahl der o. e. Ingredienzien, einschließlich je einer Flasche Rotwein und Traubensaft, zugesetzt wurden. Sollte man versehentlich Badewasser schlucken, wird man mit Sicherheit keinen Schwips bekommen und einen Alkoholtest auf dem Nachhauseweg problemlos bestehen. Danach folgt dann ein komplettes Programm mit Massagen u.s.w. Diejenigen, die die Badeprozedur mitgemacht haben beschreiben sie als angenehm wohltuend und sehr entspannend. Ich persönlich glaube, dass ein warmes, duftendes Bad in schönem Ambiente, mit anschließender Massage jedem Menschen gut tut, egal was im Badewasser enthalten ist. Ein auf das eigene Wohlsein bezogener Lebensstil (lifestyle) ist auch immer therapeutisch und hilft über die kleinen Unbilden der persönlichen Gesundheit hinweg. Dazu muss man den Wein nicht ins Badewasser kippen, es geht auch durch sein genussvolles Trinken!

Reine Weinbäder im Stile der Frommen Helene wären im Übrigen auch dermatologisch absolut kontraindiziert, denn sie würden durch den Alkohol die Haut stark entfetten und austrocknen. Die angeblich so nützlichen Radikalfänger wie die Rotwein-Farbstoffe (Polyphenole) samt des Resveratrols, werden in viel zu geringen Konzentrationen durch die Haut aufgenommen, als dass sie im Körper eine Wirkung entfalten könnten. Also alles nur Quatsch? Wissenschaftlich betrachtet wäre man geneigt die Vinotherapie so zu bezeichnen, aber als Teil eines bestimmten Lifestyle kann man sie tolerieren, ja sogar in Maßen befürworten. In diese sinnliche Welt gehören, neben dem „Weinbad“ auch andere „Accessoires“  wie schöne Gläser und exquisite Weine, deren betörenden Duft und Geschmack man auch in der Wanne mit Freude erleben kann. Ich nehme an, dass man letztlich genauso gut – oder sogar besser und billiger – fährt, wenn man ein Glas Rotwein im warmen Badewasser genussvoll zu sich nimmt und sollte man dabei etwas verschütten, gibt es wenigstens keine Flecken auf den Kleidern oder dem Teppich.

Bleiben Sie immer neugierig und durstig!

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