Über das sog. „Terroir“ habe ich an dieser Stelle schon vielfach geschrieben. Zu definieren, was der Begriff beinhaltet war eigentlich nie besonders schwer: (1) die Zusammensetzung des Bodens, (2) die klimatischen Besonderheiten und (3) die Gewohnheiten der Winzer ihre Rebstöcke zu pflanzen und zu pflegen sind die klassischen Trias der „Terroir“-Definition. Aber das wirkliche Problem ist, dass diese drei Begriffe nur theoretisch die besonderen olfaktorischen und gustatorischen Charakteristika eines Weines erklären können. Dem kritischen Genießer musste allerdings schon immer klar gewesen sein, dass es wesentlich mehr Geruchs- und Gechmacks- als mögliche „Terroir“ -Variationen gibt. Zu dieser wichtigen Frage haben bereits 2014 amerikanische Wissenschaftler in den renommierten „Proceedings of the National Academy of Sciences“ (Jan 2014, 111 (1) 5-6) eine plausible Antwort gegeben. Um ihre Arbeit in einen allgemein verständlichen Zusammenhang zu bringen seien mir vorab einige wenige erklärende Sätze zur Thematik gestattet:
In der medizinischen Mikrobiologie wird von einem „Mikrobiom“ gesprochen, wenn man die Summe aller Mikroorganismen, wie z.B. Hefepilze und Bakterien, beschreiben möchte die in einem sog. Makroorganismus, wie dem Menschen oder einem anderen Lebewesen, beheimatet sind. Die sog. „Darmflora“, die für uns Menschen von lebenswichtiger Bedeutung ist, ist ein gutes Beispiel für ein Mikrobiom. Auch auf Pflanzen siedeln Mikrobiome und beeinflussen in einem komplexen System bestimmte Funktionen des pflanzlichen Organismus. Die Weintraube ist unter vielen anderen Früchten, so ein Mikrobiom. Sie besitzt – in der Sprache der Wissenschaftler ausgedrückt – ihre eigene, ganz einzigartige „Bio-Geographie“. Diese beinhaltet nicht nur die geographische Verbreitung der Sorte, einschließlich ihrer Biodiversität (z.B. ihrer Clone), innerhalb einer Region, sondern bestimmt letztlich auch ihre wahrnehmbare Qualität und ihren Charakter am Gaumen des Genießers. An dieser Stelle gerät das Mikrobiom der Traube in den Brennpunkt des Interesses. Die Bakterien und Pilze auf den Traubenschalen stammen aus deren direkter Umgebung und spielen bekanntermaßen bei der Weinbereitung eine ganz entscheidende Rolle (so bei der alkoholischen und der malolaktischen Gärung!). Die oben zitierte Studie hat nun mittels moderner molekularbiologischer Methoden zeigen können, dass auch ein regional begrenztes und für die jeweilige Lage spezifisches Mikrobiom besteht, dessen nachweisbare Erbsubstanz (das sog. „Metagenom“, d.h. die DNS der die Trauben besiedelnden Mikroorganismen ) sich untereinander sehr unterscheiden kann. Dass diese messbaren Unterschiede von den Sinnesorganen des geübten Weintrinkers auch tatsächlich wahrgenommen werden ist mehr als nur wahrscheinlich, zumal wir sehr gut über die Vielzahl der Aromastoffe in Bakterien und Hefen Bescheid wissen. Die Autoren des genannten Artikels sprechen daher berechtigterweise von einem „mikrobiologischen Terroir“.
Am Beispiel von kalifornischem Chardonnay und Cabernet Sauvignon, den wichtigsten weißen und roten Trauben der amrikanischen Region, lässt sich die Signifikanz des Gesagten gut nachvollziehen. Eine genaue Analyse von Chardonnay-Mosten verschiedener kalifornischer Anbaugebiete ergab beispielsweise ein strikt regional unterschiedliches Verteilungsmuster von Bakterien und Pilzen auf den Beeren. Beim Cabernet Sauvignon konnte nur eine jeweils regional-typische Dominanz bestimmter Hefen nachgewiesen werden. Die Zusammensetzung der Lebensgemeinschaft von Weintrauben mit Hefen und Bakterien war für jede der untersuchten Geographien relativ stabil aber zwischen den von einander etwas entfernteren Regionen konnte sie sehr unterschiedlich sein. Man kann diese Befunde durchaus in Relation zu den sensorischen Eigenschaften regionaler Weine innerhalb eines größeren Anbaugebietes sehen.
Das mikrobiologische Terroir ist eine nachvollzieh- und messbare Eigenschaft eines gegebenen Reblandes. Diese Erkenntnis wirft selbstverständlich sofort die nächste Frage auf: wie kommt es zu diesen Unterschieden? Es gibt Hinweise aus der Genetik, dass bestimmte Rebsorten von bestimmten Mikroben-Untergruppen als Wirtseinheiten bevorzugt werden. Ansonsten sind es vermutlich die bekannten lokalen Verbreitungswege von Mikrorganismen, wie z.B. die Wind- und Niederschlagsverhältnisse, die Verläufe von Temperatur, Luftfeuchtigkeit und Sonnenstrahlung einer Lage, die regionalen Insektenpopulationen, der im Weinberg arbeitende Mensch, das Wild (Rehe, Hasen, Wildschweine), die Vögel und vieles andere mehr, welches das mikrobielle Muster einer geographischen Einheit bestimmen kann.
Zusammenfassend kann man wohl mit Recht behaupten, dass die Kenntnis vom „mikrobiologischen Terroir“ das Geheimnis des regionalen Charakters eines Weines ein wenig weiter gelüftet hat. Trotzdem fragt sich der kritische Genießer, warum der Inhalt einer so wichtigen Arbeit wie der oben zitierten aus dem Jahre 2014, noch nicht zum Allgemeinwissen von Weininterssierten gehört und selbst in Monographien der Önologie nur stiefmütterlich behandelt wird. Ich kann mir nur vorstellen, dass eine Konnotation von „mikrobiologisch“ der Begriff „Infekt“ ist. Wer möchte beim Erkunden eines Terroirs im Wein an Pilze, Bakterien und Krankheiten denken? Zugegeben, auch Essigstich und Rebkrankheiten werden durch ähnliche Erreger verursacht. Es ist aber letztlich auch nicht anders als mit der von allen Weinliebhabern akzeptierten Botrytis: mal ist diese Trauben-Infektion der Inbegriff der Qualität eines Weins (Trockenbeerenauslese!) und mal die Ursache für massive Ernteausfälle (Rohfäule!)!
Bleiben Sie stets neugierig… und durstig!