Gegen den November-Blues: das Licht von Granada

Die Alhambra in Granada

Die Alhambra in Granada mit der Sierra Nevada

In den grauen, kontrastlosen Wintermonaten unserer nördlichen Geographie entsteht bei vielen Menschen die Sehnsucht nach Licht und Farbe. Nur ein paar Flugstunden entfernt, im Süden Spaniens, findet der Besucher genau das, nämlich das großartige Licht auf dem Alhambrahügel und in der Stadt Granada. Seit diese zu meiner zweiten Heimat geworden ist bin ich zu vielen unterschiedlichen Stunden des Tages durch die Gassen gestreift, nur um um die Augen auf zu machen, zu sehen und zu empfinden. Da ich nicht über die Begabung verfüge, diese großartigen Licht-Eindrücke selbst adäquat zu beschreiben, möchte ich eine kleine, sehr subjektive Auswahl von Schriftstellern aus den beiden vergangenen Jahrhunderten zu Worte kommen lassen, die dies plastisch und teilweise auch berührend geschafft haben.

In seinem Klassiker der Spanien-Reiseliteratur „Der Umweg nach Santiago” schildert Cees Nooteboom seinen Eindruck folgendermaßen: „Die rötlichen Mauern der Alcazaba, deren Tönung sich von Stunde zu Stunde verändert, die geordneten Gärten rings um mich, der angefressene Backstein der Festungsmauern, der bei bestimmtem

Die archaischen Tiere des Löwenbrunnens in der Alhambra

Sonnenlicht zu bluten scheint…” Als Boabdil, der letzte maurische Herrscher auf der Alhambra seine Burg als geschlagener König verlassen musste um ins ungewisse Exil zu gehen, mag er beim Rückblick auf die geliebte Stadt tatsächlich  wie Washington Irving empfunden haben: „Die scheidende Sonne goss wie alle Tage einen wehmütigen Glanz über die rötlichen Türme der Alhambra. Ich konnte noch schwach das Erkerfenster am Turm des Comares erkennen, wo ich in so vielen schönen Träumen geschwelgt hatte. Die buschigen Gehölze und die Gärten am Rande der Stadt waren reich übergoldet vom Sonnenschein, der purpurne Dunst eines Sommerabends lag über der Vega. All dies bot sich meinem starren Abschiedsblick noch einmal dar, voll Schönheit, aber auch voll Zartheit und Trauer.“

Nicht nur Nooteboom und Irving waren vom Lichtspiel in Granada fasziniert auch Thèophile Gautier, der sich in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts in Paris mit literarischen Skandalen einen Namen gemacht hatte, beschrieb es enthusiastisch: „Einen Anblick, von dem Menschen aus dem Norden sich keine Vorstellung machen können, bietet die Alameda von Granada bei Sonnenuntergang: die Sierra Nevada, deren gezackter Kamm die Stadt auf einer Seite abriegelt, nimmt unfaßbare Töne an. Alle vom Licht getroffenen Hänge und Gipfel werden rosa, aber von einem blendenden, vollkommenen, märchenhaften, silbrigen, mit Regenbogen- und Opalreflexen durchsetzten Rosa, das die reinsten Farben der Palette schmutzig erscheinen lassen würde; es sind Perlmuttöne, Transparenzen von Rubinen, Achat- und Aventurinadern, welche den gesamten feenhaften Schmuck von Tausendundeine Nacht überbieten. Die Mulden, die Spalten, die Schattenlagen, eben alle von den Strahlen der untergehenden Sonne nicht erreichten Stellen sind von einem Blau, das sich mit dem Azur des Himmels und des Meeres, des Lapislazuli und des Saphirs messen kann.“ Gauthiers Beschreibung des Ablaufes der Dämmerung an der Alameda, oder des Paseo de Salón wie er heute heißt, ist ein kleines romantisches Meisterwerk und verrät nicht nur den großen Dichter sondern weist ihn auch als feinsinnigen Naturbeobachter aus und es wäre töricht, wollte man diesem Bild noch weitere Nuancen zufügen.

1908 begab sich der Kunstkritiker Julius Meier-Graefe auf die Reise nach Spanien. Er war im deutschen Kulturleben seiner Zeit eine der einflussreichsten Persönlichkeiten und setzte sich in seinen, immer noch sehr lesenswerten Schriften für die Anerkennung des Impressionismus ein. Seine Eindrücke von Spanien hielt er in dem 1910 erschienen Buch „Spanische Reise“ fest. Auch ihn faszinierte das Licht Granadas, an einem regnerischen Tag erlebt er den abendlich aufreißenden Himmel und den Sonnenuntergang über der Stadt: „Mit einem Male war das dunstige Grau zu prangender Farbe geworden. Die Berge, die dem Kirchhof als Hintergrund dienen, hatte man zum Greifen nahe. Jeanne (die Begleiterin des Autors – Anm. PH) meinte, ein Courbet. Der zirkushafte Abschluss erinnerte an das Begräbnis von Ornans (eines der berühmtesten Bilder Gustave Courbets, heute im Louvre -Anm. PH), nur die Farbe war härter; stählerne Blaus und eisenartige Rots, die der Regen gewaschen hatte. Vom Regen war nur noch die Reinheit in der Luft. Als wir uns wieder der Sonne zuwandten, standen wir sprachlos. Die enorme rote Scheibe hatte alle Wolken geschmolzen und nun lag die ganze Ebene wie flüssiges Email da. Granada und alles, was dazugehört, war verschwunden. Es war geschmolzen wie vorher die Wolken. Etwas Überweltliches stand, schwamm, zitterte an derselben Stelle und war ganz still inmitten einer ungeheuerlichen Verschwendung von Gold und anderen feurig glitzernden Materien. Man unterschied große Flächen von klarstem Smaragd, daneben kilometerweise Rubin, daneben rauschende Felder von Saphir. Die Steine nenne ich nicht, um die Farbe zu nennen. Es waren buchstäblich Edelsteinmaterien, ein Meer von aufgelösten Juwelen, die noch in diesem flüssigen Zustand ihre Farbe und ihre Art ungemischt bewahrten.“ Auch dies ist eine meisterliche Schilderung und lässt die rauschhafte Faszination erkennen, der der Autor, wie viele seiner Vorgänger und Nachfahren, einschließlich mir selbst, beim Wechselspiel der Farben während des ganadinischen Sonnenuntergangs erlegen war.

Ein letztes Zitat zu diesem Thema sei mir noch erlaubt. Laurie Lee, ein sehr sympatischer, englischer Globetrotter und Zeitgenosse Meier-Graefes, der zwischen 1935 und 1939 die Mittelmeerländer bereiste schilderte seine Eindrücke in verschiedenen Büchern und Essays. „Eine Rose für den Winter – Wanderungen in Andalusien“ ist eine kleine Sammlung liebevoller Skizzen über diesen Landstrich und darin zeichnet er ein sehr eigenwillig-skurriles Bild des Sonnenuntergangs hinter Granada: „Mit Sonnenuntergang schien die wie eine Tapete ausgebreitete Landschaft zu zerknittern und sich in bizarre Schatten zu verzerren. Die nackten, schrundigen Vorberge der Sierra wirkten mit ihren gewundenen Schluchten und Höhlen wie bloßgelegte Gehirnmasse. Und die Gletscher verfärbten sich vom lebendigen, weißglühenden Tageslicht über Rosa, Mauve und Purpurrot bis zur kalten Schieferfarbe der Nacht, wie das Gesicht eines Sterbenden, wenn langsam das Blut daraus weicht.“

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