Das Chow-Chow-Phänomen bei Rotweintrinkern

Farbintensive und extraktreiche Rotweine können das „Chow-Chow-Phänomen“ verursachen

Wir sitzen in netter Gesellschaft zusammen und verkosten verschiedene Rotweine der mittleren Preiskategorie aus den südlichen Weinregionen Europas. Nachdem ich mich ganz auf die Weine konzentriert hatte, blickte ich nach einer geraumen Weile auf und sah in die Runde: voll Schrecken nahm ich wahr, dass sich die Lippen und die Zähne meiner Genießerfreunde intensiv blau verfärbt hatten. Kurze Zeit später musste ich entdecken, dass ich selbst nicht anders aussah. Ich erinnerte mich sofort an Bodo, jenen Chow-Chow einer Nachbarin aus Kindertagen, dessen kuscheliges, rostfarbenes Fell und  blaues Maul mich als Junge immer wieder aufs Neue fasziniert hatten. Gaumen, Zunge und Lefzen waren intensiv dunkelblau gefärbt und auf die neugierige Frage warum dies so sei bekam ich von der damals so genannten „Tante Adelheid“ als Antwort, dass Bodo in der Nacht immer von Blaubeeren im Wald träumen würde.

Meine Wein-Freunde und ich haben nicht von Waldbeeren geträumt sondern ganz handfest Rotwein getrunken und dabei Farbstoffe in den Mund bekommen, die tatsächlich identisch mit denen der vermeintlichen Blaubeeren von Bodo sind. Es sind sog. Anthocyane,blaue Farbstoffe die zur großen Gruppe der segensreichen, weil gesundheitsfördernden, Polyphenole gehören. Wo kommen diese her? Nur in ganz seltenen Fällen befinden sie sich auch im Fruchtfleisch der Trauben (nur bei sog. Färbertrauben, wie z.B. dem Dornfelder oder dem Alicante Bouschet/Garnacha tintorera) meist sind sie ausschließlich in den Schalen vorhanden und werden von dort mit Hilfe des bei der Maischegärung entstehenden Alkohols im Most gelöst.  Manche dieser Anthocyane haben in etwa die gleiche Eigenschaft wie das sog. Lackmus, ebenfalls ein organischer, blauer Farbstoff, der seinen Ton ändert, je nachdem ob seine Umgebung sauer oder basisch ist (vergl. den sog. „Lackmustest“). In saurem Milieu (z.B. bei einem pH von 4,0) erscheint er als Rot, im neutralen und leicht basischen Milieu (z.B. bei einem pH von 8,0) als Blau oder Lila. Wenn nun die Anthocyane des Rotweins, die ja wegen der immer vorhandenen Säure im Wein naturgemäß rot gefärbt sind, auf die Schleimhäute des Mundes treffen, die über eine neutrale bis leicht basische Umgebung verfügen, verfärben sie sich blau und dieser Farbumschwung im Mund bewirkt das beschriebene „Chow-Chow-Phänomen“.

Bekanntlich lösen nicht alle Rotweine das „Chow-Chow-Phänomen“ aus. Dies hängt einerseits von der Menge und andererseits von der Beschaffenheit der im Wein vorhandenen Anthocyane ab, die während der Maischegärung in den gärenden Most übertreten. Weinbeeren mit dicken Schalen, wie z.B. Cabernet Sauvignon, Tempranillo oder Mourvèdre/Monastrell geben, bei entsprechend langer Maischestandzeit viel Farbstoffe ab. Das Gegenteil dazu sind Trauben, die von zarten Schalen umhüllt sind, als Beispiele seien der  Pinot Noir (Spätburgunder) oder der blaue Portugieser genannt. Entsprechend können Verfärbungen im Mundbereich bei den jeweiligen Rebsorten auftreten, bzw. nicht auftreten. Eine lange Reifung der Weine im Fass bzw. in der Flasche vermindert das Blaufärbepotential beträchtlich. Der Grund dafür ist die Polymerisation der Anthocyane und Tannine und deren Ausfällen als Bodensatz im Rahmen eines längeren Reifungsprozesses..

Was kann der Weinfreund gegen die Zurschaustellung seines Anthocyan-Kontaktes tun? Wirkungsvoll können nur Maßnahmen sein, die das Milieu im Mundbereich ansäuern, d.h. den blau-violetten Farbton wieder in einen weniger auffälligen roten überführen, der der natürlichen Schleimhautfarbe nahe kommt.  Da erhält das u. U.  gleichzeitig mit dem Wein konsumierte Mineralwasser eine große Bedeutung. Allerdings muss es säuerlich  sein (pH kleiner als 7,0) am sinnvollsten ist – selbstverständlich-  mit etwas Kohlensäure versetztes Wasser.  Stomatologen (Fachärzte für Erkrankungen des Mundes) und Zahnärzte weisen in diesem Zusammenhang gerne darauf hin, dass man auch durch entsprechende Mundhygiene basischem Milieu im Mund vorbeugen und dadurch die potentielle Blaufärbung bereits vor einer Weinprobe verhindern bzw. vermindern kann. Ein theoretisch richtiger Vorschlag ist natürlich auch der Genuss von Weißwein zur Neutralisierung der roten Färbung, denn das darin in größeren Konzentrationen als im Rotwein gelöste Schwefeldioxyd bildet eine schweflige Säure, die das Säure-Basen-Verhältnis im Mund effektiv ins Saure verschieben und damit eine Entfärbung verursachen kann. Wie man das Trinken von Weißwein nach Rotwein allerdings genussvoll gestalten kann bleibt eine nicht leicht zu lösende gustatorische Herausforderung.

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