Es hat sich längst herumgesprochen, dass Enzyme für den Abbau von Alkohol im Körper und damit für die Alkoholverträglichkeit verantwortlich sind. Genau genommen handelt es ich um die Alkoholdehydrogenase (ADH) und um die Aldehyd-Dehydrogenase 2 (ALDH). Beide Enzyme sind von überragender Wichtigkeit wenn es darum geht Alkohol, bzw. dessen toxisches Stoffwechselprodukt Acetaldehyd aus dem Blut zu eliminieren. Die Produktion dieser beiden lebenswichtigen Enzyme wird genetisch kontrolliert und geregelt. Es gibt bestimmte Völker, vorwiegend in Asien (z.B. Koreaner, Japaner und Vietnamesen), bei denen deutlich geringere Mengen der ADH und ALDH im Blut messbar sind, ebenso wie übrigens auch weltweit bei Frauen. Beide, Asiaten und Frauen, vertragen auch quantitativ weniger Alkohol. Warum gibt es überhaupt ein biologisches System der Alkoholentgiftung beim Menschen? Vielfach wurde diese Frage als ein sog. epigenetisches Phänomen durch den hohen Selektionsdruck bei der europäischen Bevölkerung gedeutet. Aufgrund des starken Alkoholkonsums, vorwiegend im Mittelalter, soll es zu diesem Phänomen gekommen sein. In Asien spielte der Alkohol als Genussmittel immer eine deutlich geringere Rolle. Diese Erklärung könnte dann auch für das weibliche Geschlecht gelten, da Frauen in früheren Jahrhunderten in Europa vom Alkoholkonsum weitgehend abgeschnitten waren.
Eine neuere Studie hat jetzt mit Hilfe der Genetik und Proteinanalytik gezeigt, dass die Wurzeln der Alkoholverträglichkeit tief in unserer Entwicklungsgeschichte verankert sind, nämlich zurück bis zu den gemeinsamen Vorfahren von Mensch und Affen (Proceedings of the National Academy of Sciences 112 no. 2: 458–463, 2014). Vermutlich war bereits vor 10 Millionen Jahren der Konsum vergorener Früchte der Anlass für die Entwicklung der Enzyme ADH und ALDH 2. Hefen produzieren bei reifen Früchten durch die Zuckervergärung Alkohol und dieser kündigt durch seinen spezifischen Geruch den Tieren die Verzehrfähigkeit des Obstes an. Die Forscher um Matthew Carrigan aus Gainesville und Indianapolis (USA) haben das Auftreten von ADH und ALDH 2 bei einer Vielzahl von Säugetieren untersucht und kamen zu dem Schluss, dass es wohl die Menschenaffen waren, die vor Urzeiten aus ihrem damaligen Lebensraum, den Baumkronen ausbrachen um sich die reifen Früchte am Boden für ihre Nahrung zu sichern. Als der Nachfahre Mensch dann anfing selbst gezielt Alkohol in Form von Wein und Bier herzustellen und zu genießen, hatte er längst das benötigte Entgiftungssystem zur Verfügung.
Die Hypothese der Forscher aus Gainsville und Indianapolis deckt sich vollständig mit dem außerordentlich luziden und humorvollen Blick von Erich Kästner (1899 -1974) auf „Die Entwicklung der Menschheit“. Sein bissiges Gedicht lautet:
Einst haben die Kerls auf den Bäumen gehockt,
behaart und mit böser Visage.
Dann hat man sie aus dem Urwald gelockt
und die Welt asphaltiert und aufgestockt, bis zur dreißigsten Etage.
Da saßen sie nun, den Flöhen entflohn,
in zentralgeheizten Räumen.
Da sitzen sie nun am Telefon.
Und es herrscht noch genau derselbe Ton
wie seinerzeit auf den Bäumen.
Sie hören weit. Sie sehen fern.
Sie sind mit dem Weltall in Fühlung.
Sie putzen die Zähne. Sie atmen modern.
Die Erde ist ein gebildeter Stern mit sehr viel Wasserspülung.
Sie schießen die Briefschaften durch ein Rohr.
Sie jagen und züchten Mikroben.
Sie versehn die Natur mit allem Komfort.
Sie fliegen steil in den Himmel empor
und bleiben zwei Wochen oben.
Was ihre Verdauung übrigläßt,
das verarbeiten sie zu Watte.
Sie spalten Atome. Sie heilen Inzest.
Und sie stellen durch Stiluntersuchungen fest,
daß Cäsar Plattfüße hatte.
So haben sie mit dem Kopf und dem Mund
den Fortschritt der Menschheit geschaffen.
Doch davon mal abgeseh’n und bei Lichte betrachtet,
sind sie im Grunde noch immer die alten Affen.