In den letzten Jahren hat die spanische Weinindustrie einem Phänomen gegenübergestanden, dem sie tatenlos zusehen musste: dem ständigen Rückgang des Weinkonsums. Lag der Prokopf-Verbrauch in Spanien in den 80-iger Jahren des vorigen Jahrhunderts noch bei 45 Liter Wein weist die aktuellste Zahl nur noch weniger als 20 Liter im Jahr aus. Alles deutet darauf hin, dass sich dieser Trend fortsetzt und Pessimisten in der Branche rechnen bereits mit einem jährlichen Marktverlust von um die 2 %. Das ist eine dramatische Veränderung, deren Ursachen komplex sind.
Ein Grund für den Rückgang des Weinkonsums ist sicher die gesetzlich vorgeschriebene Regulierung der Alkoholwerbung gemäß einer EU-Richtlinie von 1989. Dieser Konsumrückgang war natürlich politisch gewollt und betrifft ganz allgemein den Alkoholkonsum auch in anderen europäischen Ländern. Wie kann es aber sein, dass das Land mit der größten Rebbaufläche der Welt beim Weinverbrauch auf Platz 20 der globalen Statistik liegt? Vor drei Jahrzehnten war Spanien noch unter den ersten drei. Es muss andere, spezifischere Gründe für die abnehmende Beliebtheit des Weins in Spanien geben. Um das richtig abschätzen zu können, muss man wissen, dass die erhebliche Reduzierung des Konsums fast nur die sog. Tafel- oder Landweine betrifft. Weine mit garantierter Herkunftsbezeichnung, also die D.O.-Weine, haben keine nennenswerten Einbußen erlitten, bzw. haben teilweise sogar zugelegt.
Diese Tatsache weist auf einen soziologischen Faktor hinter der Problematik. Tafel- und Landweine waren seit Urzeiten ein wichtiger Bestandteil der sog. „Mediterranen Diät“. Jeder ältere Spanien-Urlauber erinnert sich an die vollen Weinkaraffen, die einst ohne Nachfrage auf den Tisch gestellt wurden und deren Konsum beim Bezahlen mit einem Blick des Kellners auf die Füllhöhe des Gefäßes abgeschätzt wurde. Die Ernährungsgewohnheiten der spanischen Gesellschaft haben sich seit dem Beitritt zur Europäischen Gemeinschaft drastisch geändert. Fastfood und vorgefertigte Nahrungsmittel haben die Supermärkte und Schnellrestaurants erobert und lassen keinen Platz mehr für den begleitenden einfachen Wein. Der gegenwärtige Höhenflug der spanischen Gourmetszene, der in vielen besternten Etablissements seinen Ausdruck findet, wird leider von einem rasanten Niedergang der klassischen, bürgerlichen Küche mit ihren einfachen Weinen kompensiert.
Der Versuch einer Interpretation des Konsumschwundes von Wein führt natürlich auch zur gegenwärtigen ökonomischen Krise. Aus den erwähnten Gründen des Wegfalls vorzugsweise der billigeren Weine ist dies aber eher unwahrscheinlich, da der Kostenfaktor bei diesen fast zu vernachlässigen ist. Wichtiger, weil arlarmierender, scheint mir eine These, die José Hidalgo, der große Weinmacher aus der Rioja, kürzlich aufgestellt hat: Die Jugend hat sich vom Wein abgewandt. Da ihm das Image eines Getränkes der Alten anhängt zieht die Jugend Bier und Alkopops vor (was statistisch tatsächlich belegbar ist). Hinzu kommt die „Intellektualisierung“ des Weins. Junge Leute verstehen die esoterische Sprache der Weinkritiker nicht mehr, und glauben deshalb, dass zum Weintrinken eine besondere akademische Ausbildung notwendig sei. Das führt zur emotionalen Ablehnung des vermeintlich elitären und komplizierten Getränks.
Und hat José Hidalgo Lösungsvorschläge? Wäre ja auch für das Collegium Vini interessant.
Leider nein!