„Die Bummler machen noch einige Runden und verschwinden dann, um im Café des Don Pedro Hurtado, des besten Eiskonditors von Granada, einen Scherbett oder einen Agraz zu sich zu nehmen…“ berichtete Théophile Gautier, der Meistererzähler aus Frankreich, in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts in seinen Aufzeichnungen von einer Andalusienreise. Das Eis für die kühlen Drinks brachten übrigens die sog. „neveros“ aus der sommerlichen Sierra Nevada bereits am frühen Morgen hinunter in die Stadt. Weder der Agraz (zu deutsch „Agrest“) noch die Neveros haben überlebt. Für die sommerliche Erfrischung sorgten später industriell gefertigte, kohlensäurehaltige Getränke und das Eis dafür kam aus den Eisfabriken am Stadtrand.
Agrest ist der aus unreifen, grünen Weintrauben gepresste Saft, sein Name scheint tatsächlich spanische (oder italienische?) Wurzeln zu haben: „agrio“ bedeutet sauer. Zu Zeiten Gauthiers war der Agrest ein beliebtes Erfrischungsgetränk und hieß in seinem Heimatland Frankreich „verjus“ (Grünsaft). Wenn er in den Sommermonaten Juli und August aus frisch gelesenen, unreifen Trauben hergestellt und mit kaltem Wasser verdünnt wird, ist es ein aromatischer, bekömmlicher Durstlöscher mit milder Säure (Gesamtsäure: zwischen 20 und 35 g/l.). Zu anderen Jahreszeiten muss man auf konservierten, d.h. pasteurisierten Saft zurückgreifen, der dann meist deutlich an Frische eingebüßt hat. Interessant kann auch die Verwendung von Agrest in „Long Drinks“ sein (ein Zweig Pfefferminze drin sieht nicht nur gut aus, sondern gibt auch ein feines Aroma!). Ich selbst habe schon einmal einen Schuß Agrest anstatt einer Zitronenscheribe in den Gin-Tonic gegeben und fand es eine ungewöhnliche aber trotzdem gelungene Geschmacksvariante. Agrest ist übrigens reich an Polyphenolen, was seine adstringierende Wirkung und seinen bitter-herben Geschmack mühelos erklärt.
Während in unseren Breitengraden der normale Bürger Agrest oder Verjus leider überhaupt nicht mehr kennt, beginnen die Sterne-Köche in aller Welt diesen als Ersatz für Essig oder Zitronensaft in der Küche wieder zu entdecken. Als Salatdressing eignet sich Agrest besonders gut, weil dadurch auch eine gewisse Kompatibiliät des Salats mit begleitenden Weinen hergestellt werden kann (mit Zitrone oder Essig ein ausgesprochenes Problem!), da die Weinsäure in beidem eine gewisse Harmonie erzeugt. Überall da, wo ein Schuß Säure ein Gericht verfeinern soll, auch zum Ablöschen, ist die potentielle Domaine von Agrest. Dijon-Senf soll übrigens mit Agrest anstelle von Essig gemacht sein.
Die Verwendung des Agrest oder Verjus hat eine Jahrtausende alte Geschichte. Die antiseptischen und adstringierenden Eigenschaften habe schon früh zur medizinischen Anwendung des Agrest geführt. Innerlich bei Verdauungsbeschwerden und Infektionen im Nasen- Rachenraum und äußerlich bei Wunden und Furunkeln war der Verjus ein begehrtes Heilmittel. Wer über veredelte Rebpflanzen im Garten oder auf der Terrasse verfügt, kann sich Agrest selbst machen. Rote Trauben müssen vor dem Farbumschlag gelesen werden. Eine gute Möglichkeit das Pasteurisieren im heißen Wasserbad zu vermeiden ist das Einfrieren kleiner Portionen im Tiefkühlfach, aber auch dann sollte der Agrest innerhalb von 6 Monaten nach seiner Herstellung konsumiert werden. Wer mehr über dieses genussvolle Objekt der Weinkultur wissen möchte sei auf den Beitrag von Elmar M. Lorey im Internet verwiesen ( http://www.elmar-lorey.de/Agrest/index.htm).
Hier gibt es eine Rezeptesammlung zum Kochen und Backen mit Agrest/Verjus:
http://www.weingut-fuchs.de/verjus/kochrezepte-mit-verjus.php