Gemalte Landschaften

Septemberblatt aus dem Stundenbuch „Tres rich Heurs“ des Herzogs von Berry

Vor bald einem halben Jahrhundert hatte ich meinen Rucksack gepackt, bin zum Bahnhof gegangen und habe mich auf den Weg ins Tessin begeben. Alleine habe ich mich dort auf die Wanderung gemacht, den Spuren meines damaligen, literarischen Idols Herrmann Hesse folgend. In meiner späteren Schilderung dieser Reise kommt nachfolgender Text vor:

Für mich spiegelt sich in der Landschaft die Schöpfung in ihrer reinsten Form wider. Ich nehme an, dass jede Landschaft irgendwann einmal einen besonderen Reiz besessen hat, aber vermutlich ist es die Dramaturgie, die einem bestimmten Gelände innewohnt und es zum Erlebnis macht. Bewegtes Wasser, die weichen Konturen der Berge im Hintergrund und das gleißende Sonnenlicht machen den Ort an dem man dies erleben kann zu einem Hort der Sinnenfreude. Landschaft kann aber auch angsterregend dramatisch sein, wenn ein Sturm aufkommt oder die Gewitterwolken über dem flimmernden Boden hängen. In der Landschaft spiegeln sich die Gefühle und Empfindungen der Menschen und aus ihr kann er Kraft holen. Landschaft kann auch zur Bühne werden in die sich das menschliche Leben hineinprojiziert. Landschaft ist wie das Bett unseres Lebens, in ihr träumen wir oder sitzen aufrecht und hellwach vor Angst. Landschaft ist Heimat und Fremde zugleich. Landschaft regt immer die Phantasie an. Landschaft war auch ein wesentlicher Inhalt meiner Wanderung, übrigens der einzigen größeren, die ich je gemacht habe. Damals habe ich vielleicht ein wenig davon verstanden was Berge, Täler, Wiesen und Wälder uns zu erzählen haben. In der Landschaft habe ich meine eigene Freiheit gesucht, die ich glaubte in komplizierten zwischenmenschlichen Beziehungen verloren zu haben. (Peter Hilgard: Selbstvernehmungen – Meinungsbeiträge und disputable Traktate aus meiner Zeit, Monsenstein und Vannerdat, Münster 2013)

In der Flora und Fauna des Tessins habe ich tatsächlich meine Freiheit gefunden und neben ihr ist die Begeisterung für Landschaft geblieben. Sie hat sich von Naturerlebnissen auf Kunsterlebnisse ausgeweitet. Landschaftsbilder geben mir die Gelegenheit die Natur aus Sicht eines Künstlers in sublimierter Form zu erleben. Die Motivation eines Künstlers malerisch in Landschaften einzutauchen mag vielfältig sein. Neben einer rein dokumentarischen Absicht, kann er die Landschaft als Bühne für menschliche Handlungen benutzen. Ebenso kann sie dem Künstler im transzendenten Sinn als Metapher eines verlorenen Paradieses dienen, um die Harmonie von Natur und Mensch als einen Spiegel der menschlichen Seele darzustellen. Ich möchte mich an dieser Stelle nicht in eine komplizierten  Kunstanalyse verstricken sondern meine Gedanken an zwei Beispielen kurz erläutern.

Caspar David Friedricvh: Böhmische Landschaft mit dem Milleschauer

Eines der ersten Bücher in dem ich Landschaftsbilder bewundert habe, war ein Faksimile vom Stundenbuch des Herzogs von Berry aus dem Haus Valois-Anjou mit den Titel „Très Riches Heures“, entstanden am Ende des 15. Jahrhunderts. Bei den darin enthaltenen Kalenderblättern handelt es sich um farbige Illustrationen auf denen die für den entsprechenden Monat typischen Landarbeiten in ihrer jeweiligen Umgebung dargestellt sind, immer mit einem herzoglichen oder königlichen Schloß im Hintergrund.  Auf dem Septemberblatt ist z. B. die Weinlese vor dem Château de Saumur an der Loire dargestellt. Die farbenprächtige Miniatur zeigt Bauern und Bäuerinnen, die dunkelrote, zartviolette Trauben lesen und sie in kleinen Körben verstauen. Auf Ochsenkarren bzw. auf Mauleseln werden sie in die Kelter gebracht. Hier ist es kein in jener Zeit üblicher Mischsatz von roten und weißen Trauben und es ist sicher, dass daraus sehr feiner Rotwein, vielleicht ein Vorläufer des heutigen Loire-typischen Cabernet franc, gemacht wurde. Dieses wunderschöne Bild lässt uns, wie die restlichen elf Kalender-Miniaturen des Stundenbuches, die Lebensformen und -gewohnheiten der damaligen Landwirtschaft vor Augen treten. Einschränkend sollte man allerdings berücksichtigen, dass der Illustrator alles durch die Realitätsbeschönigende Brille des aristokratischen Großgrundbesitzers gesehen hat. Trotzdem bleibt die Ästhetik all dieser Bilder unvergleichlich!

Mein weiterer Favorit ist ein Ölgemälde von Caspar David Friedrich mit dem Titel „Böhmische Landschaft mit dem Milleschauer“. Dieses gehört nicht zu seinen spektakulären Landschaften wie „Der Wanderer über dem Nebelmeer“, „Kreidefelsen auf Rügen“ oderAbtei im Eichwald“. Hier wird nichts Transzendentales zelebriert, wir befinden uns vollkommen alleine in der menschenleeren Landschaft. Im Vordergrund ein saftig grüner Hügel von dem ein gewundener Feldweg zu einem zwischen einer Ansammlung von   Bäumen im Tal versteckten Steinhaus mit Giebeldach führt. Aus dem Kamin steigt zarter Rauch in den Himmel und bedeutet mir, dass hier Menschen gegenwärtig sind. Im Hintergrund leuchtet blaugrau die Bergsilhouette des Milleschauer (heute tschechisch: Milešovka)  und seines Nachbargipfels. Darüber spannt sich der wolkenlose Morgenhimmel in sanftem Dunst. Hier herrscht vollkommene Harmonie und ich empfinde beim Blick in diese Landschaft sehr intensiv die Zartheit und Fragilität der Natur. Für mich gehört dieses Bild Caspar David Friedrichs fraglos zu den schönsten Landschaftsgemälden, die ich bislang gesehen habe.

Die Liebe zur Landschaftsmalerei hat mir einen Einblick in mein Seelenleben gegeben und ist eine ständige Ermahnung, mich für den Erhalt der wunderbaren, aber gefährdeten Landschaften unserer Erde einzusetzen.

Bleiben Sie stets neugierig …und genussvoll durstig!

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