Reflexionen über Washington Irving und Granadas Alhambra

Die archaischen Tiere des Löwenbrunnens in der Alhambra

Die archaischen Tiere des Löwenbrunnens in der AlhambraWenn man sich ein Bild von den Reisegegebenheiten im Spanien des ausgehenden 19. Jahrhunderts machen möchte, ist die einführende Reisebeschreibung zu den „Tales of the Alhambra“ von Washington Irving ein  äußerst  lesenswertes Dokument. Wegen der Gefahr auf Straßenräuber zu stoßen hat man damals längere Reisen auf dem Pferd oder Esel grundsätzlich nur in Gruppen unternommen. Im Frühjahr 1829 machte sich der Autor zusammen mit einem Bekannten auf Pferden reitend von Sevilla auf den Weg nach Granada. Streckenweise schlossen sie sich anderen Reisenden an, so, dass immer kleine Karawanen unterwegs waren. Man mietete sich einen bewaffneten Führer, falls man in brenzlige Situationen mit „bandoleros“ (Wegelagerer, Banditen, Räuber) kam. Trotz dieser Widrigkeiten gab Irving als Grund für seine Reise lediglich „Neugier“ an. Vielleicht gehörte ja der Nervenkitzel der Möglichkeit einem Robin Hood zu begegnen zum Vergnügen der Reise eines amerikanischen Gentlemans. Auf alle Fälle brachte der Amerikaner beim Verfassen seiner „Tales“ eine Menge Humor mit. So beschreibt er allen Ernstes z.B., wie er eines Tages in der „Posada“ eines Örtchens namens Gandul ankommt und niemand ihm sagen konnte wie spät es war. Die Turmuhr schlug nämlich nur einmal am Tag und zwar genau zwei Stunden  nach Mittag. Also musste er die Uhrzeit erraten und kam zu dem Schluss, dass es tatsächlich Essenszeit war: „so, alighting, we ordered a repast“. Bei genauerem Hinsehen muss der Leser erkennen, dass es den Ort Gandul auf keiner Landkarte gibt und dass das Wort der spanische Name für „Faulenzer“ ist.

Wer war dieser Washigton Irving? Als Sohn schottischer Auswanderer entdeckte Irving schon frühzeitig sein schriftstellerisches Talent. Seine Texte waren meist Satiren über tagespolitische Ereignisse. Große Bekanntheit errang seine Kurzgeschichte vom holländischen Siedler „Rip Van Winkle“. Mit ihr begründete Washington Irving das ganze Genre der amerikanischen Kurzgeschichte. Weltberühmt wurden seine „Tales of the Alhambra“ (Geschichten der Alhambra)*. Diese lenkten die Aufmerksamkeit der europäischen Romantiker auf Granada und in den Fußstapfen Irvings kamen sie aus aller Herren Länder um das von Irving neu entdeckte Wunder zu beschreiben, zu zeichnen oder zu malen. Es mag vielleicht etwas weit hergeholt erscheinen zwischen Kolumbus und Irving einen Bezug herstellen zu wollen, aber ich glaube, dass beide Männer auf eine geheimnisvolle Weise die Neue Welt mit der alten Maurenstadt verbinden: Kolumbus als Bittsteller bei Königin Isabel la Catolica in Granada vor seiner geplanten Reise nach Indien und Irving durch seine Beschreibung der Alhambra. Auf der ganzen Welt wurden – gleichsam als Beweis ihrer Vorzüglichkeit – Tanzsäle, Varietéhäuser, und später auch Kinos, „Alhambra“ genannt und Granadas Name wurde in zahlreichen Liedern besungen. Was könnte wohl den romantischen Kitsch schöner beschreiben als der Schmelz des Liedes „Granada“ von Augustin Lara. Es findet sich im Repertoire aller großen Tenöre dieser Welt und besingt im Grunde ein fades Klischee („Granada, tu tierra esta llena de lindas mujeres, de sangre y de sol“, Granada dein Land ist voll schöner Frauen, voll Blut und voll Sonne). Trotzdem scheint es die Sehnsucht unzähliger Menschen nach dem exotischen Traum namens Granada auf den emotionalen Punkt gebracht zu haben.

Nach seiner Ankunft in Granada zog er mit Genehmigung der Verwaltung des Maurenpalastes und des Erzbischofs in die Alhambra, wo er dann vier Monate lang lebte und die Erzählungen schrieb, deren Inhalt trägt sich teilweise noch zur Zeit der Nasridenkönige zu, sowie in der nachfolgenden Zeit nach der Einnahme Granadas durch die Katholischen Könige 1492. Zu dieser Zeit wurde die verlassene Alhambra von einem Statthalter verwaltet und verfiel langsam, denn sie war zu einem Asyl für Bettler und Asoziale unterschiedlichster Herkunft verkommen. Irvings Begleitung in diesen Tagen war der 35-jährige Mateo Ximenez, ein von den Gastgebern zur Verfügung gestellter Führer, der dem Schriftsteller als unerschöpfliche Quelle von Informationen aller Art über die Alhambra und ihre Geschichte diente. Entsprechend enthält Irvings literarische Sammliung Beschreibungen von Mythen, Sagen, Erzählungen und historischen Tatsachen. Mateo sagte von sich er sei ein „Hijo de la Alhambra“, ein Sohn der Alhambra und Irving versichert seinen Lesern glaubhaft, dass die Familie des Mateo tatsächlich seit der Zeit der Eroberung, also bald 400 Jahre, in der Burg gelebt habe. Alles wird mit großer Empathie und Liebe für die maurische Vergangenheit und Kultur erzählt. „Der eigentümliche Reiz dieses alten, versonnenen Palastes liegt in seiner Macht, verschwommene Träume und Bilder der Vergangenheit in uns wachzurufen und auf diese Weise die nüchterne Wirklichkeit mit den Illusionen der Erinnerung und Imagination zu umhüllen.“ * schrieb Washington Irving über den Alhambra-Palast . Präziser und kürzer kann man die Magie der Alhambra nicht zusammenfassen.

*Deutsche Ausgabe: Washington Irving: Die Alhambra, Societäts-Verlag, Frankfurt am Main, 1980)

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