Franz Werfel: Verdi

Nach Franz Werfel ein denkbarer Treffpunkt der beiden Opern-Giganten Giuseppe Verdi und Richard Wagner: Auf dem Canale Grande in Venedig

Fern vom Fernseher und dem Windows-Office habe ich mir über die Feiertage mal wieder ein Buch vorgenommen und begeistert über Giuseppe Verdi, einen der größten Opernkomponisten, gelesen. Sein wohl schönstes literarisches Denkmal ist Franz Werfels (1890 – 1945) Lektüre mit dem schlichten Titel „Verdi. Roman der Oper“. Eigentlich war Werfel ein Lyriker des Expressionismus aber mit diesem 1924 veröffentlichten Buch gelang ihm der Durchbruch auch als Romancier.  Wie sehr die Lyrik in seiner erzählenden Sprache dominiert, zeigen die beiden nachfolgenden Sätze, die die Stimmung am Markusplatz in Venedig, dem Ort der Handlung des Romans, beschreiben: „Die ein wenig überspannte Mittagssonne eines neblig-adriatischen Wintertages brach hervor und überströmte üppig die Kuppeln der Kirche des heiligen Markus, dieser russischen Jahrmarktbude Gottes. Als schiene nicht die Sonne, sondern als bohre ein überirdischer Scheinwerfer seinen Kegel in die Mattigkeit des Tages, stand allein die Kirche und der kleine Raum vor ihr in Strahlenflammen.“ Ein zentrales Thema der Geschichte ist die Auseinandersetzung Verdis mit Richard Wagner, der sich zur gleichen Zeit wie er selbst in der Lagunenstadt aufhält. Zwar kommen sich die beiden mehrmals physisch sehr nahe aber zu einem Dialog, den sich Verdi so innig wünscht, reicht es nicht. Als Verdi schließlich beschließt den Deutschen im  Palazzo Vendramin zu besuchen, ist Wagner bereits eine Viertelstunde vorher gestorben. Ruhig und mit seinem Wagner-Bild versöhnt verlässt Verdi das Haus wieder. Der Maestro ist müde geworden „wie eine Landschaft nach dem Regen“. Werfels Roman „Verdi“ wird von manchen Literaturkritikern eher als ein Wagner-Roman gesehen, bei dem Verdi nur der Anlass zu schreiben war. Das kann ich persönlich allerdings überhaupt nicht nachvollziehen, denn die Schilderung der Person Verdis ist wesentlich emphatischer und detaillierter als die Wagners.

Obwohl die Handlung, im Gegensatz zu den handelnden Personen, frei erfunden ist hat Werfel mit seinem großartigen Roman in den 30iger Jahren des 20. Jahrhunderts einen regelrechten „Verdi-Hype“ ausgelöst. In Deutschland hatte sich nämlich, auch unter dem Einfluss Richard Wagners, die ästhetische Rezeption des Belcanto-Gesanges der italienischen Oper gewandelt. Was bislang das Publikum begeisterte, die Melodie, das Legato und die Weichheit der Stimmen, wurden als künstlich, süßlich und banal abgetan. Dazu gehörten vermeintlich auch die wunderbaren Melodien Guiseppe Verdis. Ihnen wurde die „Worttonmelodie der menschlichen Stimme“ gegenübergestellt, jene Symbiose von Wortsprache und Tonsprache, wie Wagner sie beschrieb und die von deutschen Opernfans gelegentlich auch als „germanischer“ oder –  noch schlimmer – als „vaterländischer Belcanto“ apostrophiert wurde.

Die geschilderte Polarisierung, die angeblich zwischen Verdi und Wagner bestand war nur der Inhalt einer Tratsch-Legende. Die große Bewunderung Verdis für seinen deutschen Kollegen, ist von Werfel sehr einfühlend und historisch sicher korrekt beschrieben worden. Wagners Verehrung Verdis und des italienischen Belcanto ist auch hinreichend dokumentiert. Beide, Wagner und Verdi, hatten die gleichen Vorbilder, durch die sie erheblich beeinflusst wurden: Bellini und Meyerbeer.  Das ging sogar so weit, dass Richard Wagner eine Arie für Solo-Bass, Chor und Orchester („Norma il predisse“) als sog. Einlegarie für Bellinis „Norma“ komponierte. Noch eine gemeinsame Liebe hatten die vermeintlichen Gegenspieler: Friedrich Schiller. Während Wagner in Jugendjahren (1830) ein Vorspiel zur „Braut von Messina“ komponierte, schrieb Verdi gleich mehrere Opern nach Theaterstücken von Schiller (u.a. „Kabale und Liebe“ als „Luisa Miller“, „Die Räuber“ und „Don Carlos“).

Die Gemeinsamkeit der beiden offenbarte sich auch in ihrer politischen Positionierung: Wagner ist 1848 in Dresden als Revolutionär auf die Barrikaden gegangen und musste anschließend ins Schweizer Exil gehen, da er steckbrieflich gesucht wurde. Seinem ruhigeren Temperament entsprechend, und jedem spektakulären, öffentlichen Auftritt abhold, aber mit der gleichen Idee im Kopf, wurde Verdi nach 1848 gleichsam zum Symbol des sog. Risorgimento, jener Zeit in der die italienische Nationalstaatsgründung stattfand. 1861 hat sich Giuseppe Verdi ins erste italienische Parlament wählen lassen. Der große Ohrwurm „Va, pensiero, sull’ali dorate“ der Chor aus dem dritten Akt von Verdis Oper Nabucco, wurde zur heimlichen Nationalhymne des neuen, geeinten Italiens, an dessen Spitze der König Victor Emmanuel II. stand. Gegen Verdis Willen wurde sein Name zum politischen Kürzel und Symbol für das „Risorgimento“. V.E.R.D.I. – das stand damals für „Vittorio Emanuele Re DItalia – Viktor Emanuel König von Italien“. Trotz aller Gemeinsamkeiten und gegenseitiger Anerkennung konnte Verdi recht unbeherrscht werden, wenn man ihn mit Wagner verglich. Zeitgenössische Kritiker und Musikhistoriker haben gelegentlich behauptet, in der „Aida“ hätte Verdi „wagnerische“ Töne angeschlagen. Dem hat der Italiener immer ganz vehement widersprochen. Zum Abschluss möchte ich noch ein Zitat aus einem Artikel von Eberhardt Straub (Wagner und Verdi – Nationalkomponisten oder Europäer? Aus „Aus Politik und Zeitgeschichte“ 2013) bringen, welches einen weiteren politischen Aspekt der beiden Opern-Giganten betont: „Wagner und Verdi sind keine Gegensätze, vor allem keine nationalen, sie sind die letzten großen Europäer, die der Welt noch einmal versicherten: „Wo ein großer Gedanke wird, ist Europa“, wie Hugo von Hofmannsthal hoffen machen wollte – mitten in der Krise Europas nach 1918, die bis heute nicht überwunden ist.“

Bleiben Sie stets neugierig …und genussvoll durstig!

 

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