Jedem seine „Siesta“!

Auich Ferkel scheinen die „Siesta“ zu geniessen (Foto: Pixabay).

Vor einiger Zeit habe ich an dieser Stelle das Loblied der Faulheit gesungen. Dabei bezog ich mich auf Paul Lafargue (1842 – 1911), den Schwiegersohn und großen Bewunderer von Karl Marx, der 1883 eine Broschüre mit dem Titel „Das Recht auf Faulheit“ schrieb. Jetzt möchte ich mich einer spanischen Spielart dieses Gemütszustandes widmen, der dort als „Siesta“ bezeichnet wird. Das Konversationslexikon erläutert den Begriff mit seinem Synonym „Mittagsruhe“. Tatsächlich liegt der etymologische Hintergrund des spanischen Wortes „siesta“ im Lateinischen hora „sexta“, die sechste Stunde. Gemeint ist die sechste Stunde nach Sonnenaufgang, der im spanischen Sommer mehr oder weniger um 6.00 Uhr morgens stattfindet. Während der 6ten Stunde klettern auf der Iberischen Halbinsel die Tagestemperaturen langsam auf ihr Maximum und das Verlangen nach einer Arbeitspause wurde immer stärker. Die ersten Hinweise auf eine institutionalisierte Mittagspause mit dem Namen „siesta“ stammt aus dem 17. Jahrhundert, also aus jener kulturellen Blütezeit Spaniens, die als „siglo de oro“ (goldenes Zeitalter zwischen 1550 und 1681) ihren Platz in der Geschichte gefunden hat. Die „siesta“, die ausgiebige Mittagsruhe zwischen 14.00 und 17.00 Uhr, blieb ein fester Bestandteil des spanischen Lebensstils bis ins 21. Jahrhundert. Die wirtschaftlichen Verflechtungen Spaniens mit dem Rest der Welt im Rahmen der Globalisierung haben eine längere Pause innerhalb eines Arbeitstages obsolet gemacht. Nach einer am Jahresanfang 2022 publizierten Erhebung machen 58 Prozent der befragten Spanier nie eine „siesta“, während um die 30 % angaben ab und an mal eine Mittagsruhe einzulegen. Die klassische, regelmäßige „siesta“ wird nur noch von 18 % der Spanier zelebriert. Ganz offensichtlich ist die „siesta“ von einer nationalen Institution zu einem aussterbenden, persönlichen Ritual verkommen.

Mittlerweile ist die „siesta“ zu einem Politikum geworden. Der ehemalige Ministerpräsident Spaniens Mariano Rajoy (geb. 1958) hatte vorgeschlagen, die Mittagspause der arbeitenden Bevölkerung auf eine Stunde zu begrenzen und die Arbeitszeit abends nur bis 18.00 Uhr zu erlauben. Dies war ganz im Sinne der verschiedenen Interessenverbände, die regelmäßig fordern  die spanischen Arbeitszeiten der Dynamik und den Abläufen im Rest Europas anzupassen.

Aber die Verteidiger des gemächlicheren Lebens sehen mittlerweile wieder ein Licht am Horizont. Wissenschaftler haben nämlich längst erkannt, dass die ausgedehnte Mittagspause der Gesundheit des arbeitenden Menschen sehr zuträglich und eine sinnvolle Ergänzung in seinem Tagesablauf darstellt: Wer sich täglich eine Siesta gönnt, hat ein deutlich geringeres Risiko, an Herz-Kreislauf-Erkrankungen zu sterben. Früher nahm man an, dass die postprandiale Müdigkeit, das sog. „Schnitzelkoma“, die Müdigkeit nach dem Essen, durch den Sauerstoffentzug im Gehirn als Folge der notwendigerweise erhöhten Durchblutung der Verdauungsorgane, zu Stande kommt und sich die verringerte Sauerstoffzufuhr dann in Müdigkeit äußert. Heute werden auch andere Mechanismen diskutiert: Forscher der britischen Universität in Manchester haben herausgefunden, dass bestimmte Gehirnzellen, Neuronen, die uns wach halten, nach dem Essen abgeschaltet werden. Verantwortlich dafür ist der hohe Blutzucker nach der Nahrungsaufnahme, denn dieser bewirkt die Unterdrückung von neuronalen Signalen, die uns munter halten. Glukose (Zucker) blockiert die Synthese kleiner Proteine, der sog. „Orexine“. Diese Eiweißstoffe sind außerordentlich wichtig für die Regulation unseres Bewusstseinszustandes in Bezug auf den Appetit, denn sie greifen ein in eine Vielzahl biologischer Regelkreise und sorgen letzten Endes dafür, dass unser Gehirn immer ausreichend mit Glukose, seines wichtigsten Nährstoffes, versorgt wird. Hier mag auch die Erklärung dafür liegen, dass man mit „hungrigem Magen“ nur sehr schwer einschlafen kann. Die volle physiologische Bedeutung der Orexine über die hier beschriebene Wirkung hinaus, ist noch nicht vollständig bekannt.

Neben den biochemischen Erklärungen der Wohltaten einer täglichen „siesta“ ist der durch sie bewirkte Stressabbau natürlich ganz wesentlich. Stress ist bekanntlich ein Auslöser bzw. Förderer von Erkrankungen des Herz- und Kreislaufsystems und die tägliche „siesta“ stellt eine sehr wirksame Prophylaxe dar. Mittlerweile hat sich auch die Schlafmedizin dem Phänomen der „siesta“ angenommen und herausgefunden, dass die Dauer einer gesunden „siesta“ idealerweise zwischen 5 und 60 Minuten betragen sollte. Bei längeren Zeiten läuft der oder die Ruhende Gefahr in Tiefschlaf zu fallen, was dann mit einem deutlich mühsameren Erwachen und mit Belastungen des Herz-Kreislaufsystems sowie Schwankungen des Blutdrucks einhergeht. Die „siesta“-Forschung ist längst zu der Erkenntnis gekommen, dass an der Arbeitsstelle aus gesundheitlichen Gründen Ruhephasen mit entsprechenden Räumlichkeiten und Ruhemöbeln, eingeführt werden müssten. Dabei geht es nicht nur um die Toleranz dieser Dinge, sondern besonders um ihre aktive Förderung. Bei diesen Diskussionen sollte immer genau unterschieden werden, ob wir von einem Mittagschlaf, als Ausgleich für akuten bzw. chronischen Schlafmangel, oder um die kulturelle Praxis einer „siesta“ als Förderung von Gesundheit und Wohlbefinden, reden, denn ausschließlich für Letzteres lohnt es sich zu engagieren!

Bleiben Sie stets neugierig …und durstig!

 

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