Wie bei vielen Konsumgütern spielt auch beim Wein die Marke des Produktes eine wichtige Rolle. Vergleichbar mit Polohemden, Armbanduhren, Autos oder Kameras muss beim Wein nicht nur die Qualität sondern auch die Marke sofort und leicht identifizierbar sein. Um dies zu erreichen haben sich die Hersteller immer wieder etwas Neues einfallen lassen. Man denke an die phantastische Präsentation des auf durchsichtiges Glas gebrannten Emails der „Belle Époque” von Perrier-Jouët oder das bräunlich-grünliche Etikett in Schildform auf der dickbauchigen Flasche der Edelmarke „Dom Pérignon” um zu ermessen, welche Bedeutung dem Image einer Marke beim Champagner zukommt. Beim Wein ist es nicht anders: das schlichte Weiß mit den abgeschnittenen Ecken und dem edlen, doppellinigen Rahmen um das Etikett des „Chateau Margaux” ist unzählige Male in der ganzen Welt kopiert worden. Moderne, optisch und inhaltlich auffällige Designs richten sich an die weinaffine Jugend. Viele Marken, einschließlich der sie repräsentierenden Etiketten, sind zum Synonym für Qualität, Prestige oder ein bestimmtes Lebensgefühl geworden, und so ist es nicht erstaunlich, dass sich manche Konsumenten bei ihrer Kaufentscheidung ausschließlich an diesen Parametern orientieren. „Etiketten-Trinker” nennt man sie etwas abfällig, über sie habe ich mich an dieser Stelle bereits ausgiebig ausgelassen. Sie haben ihren Keller voller Flaschen mit klingenden Namen, wissen aber manchmal nicht was ihr Inhalt wirklich darstellt. Hauptsache berühmt und prestigeträchtig, schließlich möchte man die Freunde im gleichen sozialen Milieu beeindrucken.
Der Etiketten-Trinker kümmert sich weniger um die Meinung der Kritiker, für ihn spielt der Name die größte Rolle. Gelegentlich entlarven die Etiketten-Trinker ihre Ignoranz, wenn sie nämlich den Keller mit einem vermeintlichen Schnäppchen „ihrer” großen Marke füllen, das dann nichts anderes ist als ein kleiner, armseliger und deswegen preisgünstiger Jahrgang . Hauptsache ist, dass das Etikett stimmt.
Eine besondere kalifornische Spielart der Etiketten-Trinker sind die „California Cult Cabernet,”- Konsumenten. Dahinter stehen Kellereien wie Araujo Estate, Colgin Cellars oder Harlan Estate u.a. sowie Weinmacher wie Heidi Barrett, David Abreu und Michel Rolland. Eine ökonomisch privilegierte Kaste von Weinfreunden geben sehr viel Geld aus um den neuesten Garagenwein der Vergötterten kistenweise im Keller zu haben. Aufgrund der niedrigen Produktion ist die Verfügbarkeit dieser Preziosen immer sehr limitiert und es gibt Geschichten in denen die Hersteller solcher Weine – meist ebenso reiche Industrielle oder Filmleute, bzw. andere Repräsentanten der Schickeria aus Los Angeles oder San Francisco – mit geldwerten Leistungen bestochen werden damit sie eine bestimmte Person auf ihren Verteiler für die Weinzuteilung setzen.
Beinahe das Gegenteil der gerade beschriebenen Verhaltensweisen legen die deutschen „Schnäppchenjäger” an den Tag. Der Weinkonsument in unserem Land mutiert nämlich gelegentlich zu einer schizophrenen Persönlichkeit. Er mokiert sich heftig über die moderne Technologie des Weinmachens, wie sie in der Neuen Welt angewandt wird und schwört auf traditionelles „terroir”,
gleichzeitig geht er aber zum Discounter und besorgt sich dort einen angeblich preisgünstigen Wein, der im Zweifelsfall natürlich auf genau die verpönte Art hergestellt wurde, anders könnte er den Preisvorteil kaum haben. Ich habe sehr ernsthafte Weinfreunde erlebt, die regelmäßig bei verdeckten Proben mit großer Erwartung einen Aldi- oder Lidl-Wein hineinschmuggeln und sich diebisch freuen, wenn dieser nicht sogleich als solcher erkannt wird. Weinfreunde können große „Schnäppchenjäger” sein und es bereitet ihnen Freude wenn sie etwas Genießbares für einen Schleuderpreis bekommen haben. Damit kann man heutzutage nämlich manchmal genauso imponieren wie mit einem Luxusprodukt.
Die „Geiz-ist-geil-Gesellschaft” kann aus jedem Sonderangebot ein absolutes Prestigeobjekt machen und schwärmt dann mit großer Inbrunst über den 29-Euro-Flug nach Rom den preisreduzierten Restposten aus der Prada-Boutique oder eben über einen Chardonnay aus dem Languedoc. Dieses Verhalten ist heute Teil unserer Konsumgesellschaft und die Einstellung des Weinliebhabers zum Objekt seiner Begierde unterscheidet sich da in keiner Weise von der des Autofreundes oder des modebewussten Dandys zu ihren Lieblingen. Wie alle Schnäppchenjäger, verlassen auch die Weinfreaks ohne Skrupel ihre Qualitätsideologie, wenn der schnöde Mammon es opportun erscheinen lässt. So werden feurige und überzeugend klingende Stellungnahmen zur Natürlichkeit und Reinheit des Weines zu wertlosen Worthülsen, die die ganze Zwiespältigkeit des heutigen Verbrauchers offenbaren. Das Traurige an der Geschichte ist, dass sich beinahe jeder Weinfreund vehement für den unverfälschten Wein einsetzt, sich beim Einkauf aber u.U. völlig konträr dazu verhält. Der viel kritisierte Weinguru Robert Parker hat einmal geschrieben, dass nach seiner Berechnung keine Flasche Wein die Produktionskosten von zehn Dollar übersteigen würde. Kalkulationen mit ähnlichen Ergebnissen wurden von Winzern und Verbänden in allen Weinbaugebieten dieser Welt angestellt. Obwohl die Mindestkosten, unter denen kein genießbarer Wein mehr hergestellt werden kann, schwer zu berechnen sind, ist anzunehmen, dass sie um die fünf Euro pro Flasche liegen müssen. Diese Zahlen sollten die Schnäppchenjäger stets vor Augen haben wenn sie auf die Pirsch gehen!
Bleiben Sie stets neugierig …und durstig!