Das Taschenbuch – eine frenetische Liebeserklärung

Auch Taschenbücher können in einem Regal recht bunt und dekorativ wirken.

Gelegentlich gerate ich mit den Leseratten unter meinen Bekannten in einen regelrechten Kulturkampf, nämlich bei der Frage ob man Bücher in der traditionellen Weise auf Papier gedruckt oder als elektronisch gespeicherte Datei am Bildschirm lesen sollte. Während die guten und sachlich begründeten Argumente fast alle auf der Seite der Computer-Freaks sind, bleiben mir, als Verfechter des altmodischen Papiers, zur Rechtfertigung meines Standpunktes nur die Emotionen: das Haptische, das Geräusch und Gefühl beim Seitenumblättern, der Geruch von Papier und Druckerschwärze und die ständige Möglichkeit der Leistungskontrolle bei der Beurteilung der Buchdicke, die ich schon zurückgelegt habe. In einem Satz: die sinnliche Erfahrung eines Buches! Ein überwiegender Anteil der Bücher, die heutzutage gelesen in meinen Bücherregalen stehen sind sog. „Taschenbücher“. Die Entwicklung dieses Buch-Genres stellt ganz offensichtlich eine wesentliche Voraussetzung für die weite Verbreitung schriftlicher Bildungs- und Unterhaltungsinhalte in der Bevölkerung dar.

Es ist noch nicht allzu lange her, da bestanden Taschenbücher aus liederlich zusammengeklebten Seiten, die bereits beim Lesen auseinanderfielen und die man nach ihrem Aufsammeln wieder mit Klebeband an der richtigen Stelle des Buches befestigen musste. Das sind, Gott sei Dank, tempi passati dank der Thermobindung. Bevor ich mich mit den neuesten Varianten der modernen Buchbindung beschäftige, möchte ich kurz auf die lange Geschichte der „Taschenbücher“ eingehen. Wenn man unter diesem Begriff tatsächlich kleine Bücher versteht, die man in Hand- oder Rocktaschen bei sich tragen kann, dann muss man bis ins frühe Mittelalter zurückgehen. Der pergamentene „Codex Manichaicus Coloniensis“ ist nur 3,5 × 4,5 cm groß; es handelt sich um eine handschriftliche Biographie des Gründers des Manichäismus, einer bedeutenden Religion am Ende der Antike. Der Durchbruch des „pocket book“ als Gebrauchsobjekt von Literaturfreunden geschah in England mit dem Erscheinen des ersten „Penguin Book“ um die Wende zum 20. Jahrhundert. Etwas früher war der deutsche Reclam-Verlag mit seiner 1867 begonnenen „Reclams Universal-Bibliothek“ dran, die zu einem Meilenstein der Volksbildung wurde. All diese Bücher hatten keinen festen Einband, ihre Ummantelung bestand aus etwas schwererem Papier oder dünnem Karton („paperback“). Wichtig wurde im Laufe der Billigbuchentwicklung die graphische Gestaltung ihrer Einbände. Künstler versuchten den Taschenbuchreihen ein eigenes Gesicht zu geben. Legendär wurde die Gestaltung des Schweizer Grafikers Celestino Piatti (19221 – 2007) für den Deutschen Taschenbuchverlag (dtv). Auch die Künstler Karl Gröning (1897 – 1980) und seine Frau Gisela Pferdmenges (geb. 1918) waren in den 50-iger Jahren des 20. Jahrhunderts mit ihren Titelgestaltungen wesentlich am komerziellen Erfolg der RoRoRo-Bücher beteiligt. Schließlich haben Sammler Taschenbuchreihen als Objekt ihrer Begierde entdeckt. Die komplette, farblich aufeinander abgestimmte, „edition suhrkamp“ ziert so manches deutsche Wohnzimmer.

Ein entscheidender Schritt zur Massentauglichkeit der Taschenbücher war das Verfahren des Rotationsdruckes, dem durch die Benennung der Taschenbuchreihe des Rowohlt-Verlages „RoRoRo“ (Rowohlts Rotations Romane) ein Denkmal gesetzt wurde. Schließlich erlaubte die Weiterentwicklung des Klebebindeverfahrens eine praktisch unbegrenzte Blattzahl des Taschenbuchs bei guter Haltbarkeit und Nutzerfreundlichkeit. Das Prinzip besteht darin, dass der Klebstoff, ein Kunstharz welches auf dem Binderücken aufgebracht ist, durch Hitze aktiviert wird und die einzelnen, losen Blätter des Buches sehr fest miteinander verbindet. So lassen sich z. B. 700 Seiten in einem Band von ca. 5 cm Dicke im Taschenbuchformat unterbringen. Bei Verwendung von entsprechendem Dünndruckpapier lässt sich die Seitenzahl bequem verdoppeln! Schliesslich hat in den letzten Jahrzehnten die Technologie des Digitaldruckes erhebliche Fortschritte gemacht, unter diesem Begriff versteht man Druckmethoden bei denen der Text oder das Bild bzw. die Grafik direkt mittels Lasertoner bzw. Inkjetkartuschen auf das zu bedruckende Papier übertragen wird. Alles in allem kann man guten Gewissens behaupten, dass Lesen von Büchern, sowohl was die Vielfalt des Angebotes als auch die Kosten der Werke betrifft, beinahe jedem Bürger möglich geworden ist.

All die erwähnten, bei der Taschenbuchherstellung verwendeten modernen Verfahren haben dazu geführt, dass Taschenbücher zu einem wesentlichen Umsatzfaktor des Buchmarktes geworden sind. Der gesamte Bücherumsatz alleine auf dem deutschen Markt betrug im Jahr 2020 knapp 8 Milliarden Euro. Mehr oder weniger 2/3 aller Leser ziehen Taschenbücher gegenüber gebundenen Büchern vor. Dagegen haben eBooks mit knapp 8 % Anteil am gesamten Büchermarkt bis heute eine relativ geringe Verbreitung gefunden, wobei der Löwenanteil der e-Leser bei den 14 bis 29-Jährigen zu finden ist. In der Altersgruppe der über 65-Jährigen lesen nur 12 % regelmässig oder gelegentlich ein eBook. Bücherwürmer können optimistisch in die Zukunft blicken: weder der Computer noch das Angebot oder die Buchkosten werden ihre Freude an Literatur behindern – sofern sie sich mit Taschenbüchern begnügen! Und Taschenbücher sind schon lange keine Schande mehr im Bücherregal. Man entsorgt sie nach dem Lesen nicht mehr, denn mit ihren bunten Rücken spenden sie Farbe und verbreiten Lebensfreude im Raum. Während man keine Angst vor ihrem Zerfleddern mehr haben muss, kann es aber sein, dass ihr Papier über die Jahre vergilbt und Vintage-Charakter annimmt – und auch das hat seinen Reiz!

Bleiben Sie stets neugierig …und durstig! 

 

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