Historiker-Dilettanten, wie ich zweifellos einer bin, können sich in Personen der Geschichte regelrecht verlieben und mit ihnen in emotionalen Kontakt treten. Die Recherche über das Privatleben und gesellschaftliche Bedeutung der französischen Kaiserin Eugénie (1826 – 1920), Gemahlin Napoleons III., hat mich fasziniert und ich habe mein Herz ein wenig an diese vor über 100 Jahren verstorbene Frau verloren. Sie wurde als Eugenia de Montijo in Granada geboren. Dort, im Museum Casa de los Tiros ist ein Raum dieser Tochter der Stadt gewidmet. Er ist im Stile des französischen Empire eingerichtet, an der Wand hängen farbenfrohe Bilder mit Motiven Granadas und ein Stich auf dem Eugenia mit ihrem etwa dreijährigen Sohn, dem Prinzen Louis Napoleon, zu sehen sind. Der Betrachter ahnt welchen großen Einfluss in Stilfragen Eugenia auf Europa gehabt haben muss. Ihr ganzes Leben und die von ihr beeinflusste Umgebung ordneten sich einem ästhetischen Prinzip unter, dessen Schlichtheit enorme Eleganz ausdrückt. In dem Ambiente spüre ich den Duft des kostbaren Parfüms der Kaiserin. Auf dem Bild über dem mit gelber Seide bezogenen Sofa strahlt Eugenia und mir wird klar, dass der deutsche Maler Franz Xaver Winterhalter (1805 – 1873) mit seinem Portrait nicht übertrieben hat. Eugenia kann froh sein, dass ihr langes Leben zu einer Zeit stattfand, in der die Macht der Medien noch beschränkt war. Kaum vorzustellen wie sie heute kompromisslos vereinnahmt worden wäre. Das Gerede über ihre vermeintliche Homosexualität hätte sie wahnsinnig geärgert und vermutlich seelisch kaputt gemacht. Ihr aristokratisches Wesen war wohl tatsächlich eher asexuell. Eugenia war eine wahrhafte Kaiserin, voll Edelmut und Grazie, aber unnahbar. Seien wir froh, dass wir sie heute so idealisieren und aus ihr eine unpolitische Heldin machen können.
Es fällt mir nicht schwer sich ihre historisch verbriefte Begegnung mit Franz Liszt (1811 – 1886) vorzustellen, wie sie mit dem Meister in einer Wolke des von ihr so geliebten Worth-Parfüms vierhändig auf dem Piano seine Liebesträume spielt. Auch er war vermutlich fasziniert von ihr und ihrem Duft! Der Name Liszt löst noch einen anderen Gedankengang aus. Ich habe über spanische Musik viel geschrieben und bei Konzerten Vorträge darüber gehalten als wir das Gemeinschaftsprojekt „Wein und Musik“ mit Makiko Takeda Herms und anderen bearbeiteten. Leider erst viel später habe ich dann Franz Liszts bezaubernde „Rhapsodie Espagnol“, ein Werk für Soloklavier, zu Gehör bekommen. Es ist eine 1863 entstandene Zusammenfassung der ursprünglichen Komposition mit dem Titel „Große Konzertfantasie über spanische Weisen“. Diese hat er kurz nach seiner Spanien- und Portugalreise 1845 niedergeschrieben. Sie trägt den Untertitel „Folies d’Espagne et Jota aragonesa“. Schon vor seiner Begegnung mit der iberischen Halbinsel kam Liszt in Berührung mit einem Abklatsch der „spanischen Kultur“ und zwar in Person der Hochstaplerin Lola Montez, der späteren Geliebten des Bayernkönigs Ludwig I (1786 – 1868) . Die gutaussehende irische Tänzerin Eliza Rosanna Gilbert (1821 – 1861), die sich als Spanierin ausgab und Lola Montez nannte, hatte sich Liszt als eine Art „Groupie“ auf seinen Konzerttouren durch Europa angeschlossen und eine flüchtige Affäre mit ihm begonnen. Es mag sein, dass Franz Liszt bei der Komposition der zärtlichen Passagen seiner „spanischen Rhapsodie“ auch an sie dachte. Ganz sicher aber schwebte ihm die Kaiserin Eugenie vor Augen. Ihr hat er seine Rhapsodie Espagnol schließlich auch gewidmet. Wie den meisten Musikfreunden war mir das Werk auch unbekannt. Vermutlich wegen seiner technischen Schwierigkeiten haben es nur sehr wenige Pianisten in ihr Repertoire aufgenommen. Vielfach wird es auch durch zu betonte Virtuosität zugrunde gerichtet. In gemäßigtem Tempo entfaltet es seinen ganzen Zauber.
Der große Charme des Stückes ist seine Nähe zur spanischen Folklore. Die im Untertitel zitierten Melodien werden von Liszt zu einer hinreißenden Assemblage spanischer Klangwelten zusammengefügt. Die „Folies d´ Espagne“ könnte „Spanische Verrücktheiten“ bedeuten, ich glaube aber, dass es sich auf die „folia“, einen kanarischen Volkstanz bezieht. Die „Jota aragonesa“ ist ein insbesondere in der klassischen Musik vielfach zitierter, rhythmischer Tanz aus Aragonien. Gitarren- und Kastagnettenklänge, wunderbar in die Klavierpartitur eingebettet, erinnern den Zuhörer immer wieder daran wo er sich befindet. Die Themen werden nacheinander behandelt und während die Folia eher nordisch schwermütig klingt, drückt die Jota die Leichtigkeit des spanischen Lebens aus. Man sieht ohne Anstrengung die Pastellfarben und das Licht Goyas auf dem Bild der tanzenden Bauern vor sich. Wie bei Goya die Farben und das Lichtspiel, nehmen bei Liszt auch manche Töne und musikalische Stimmungen den Impressionismus vorweg. Mit der Rhapsodie Espagnol, die zwar nicht über die spezifische Wehmut oder Melancholie spanisch-maurischer Töne verfügt, ist Liszt dennoch ein Vorläufer der späteren spanischen „Nationalmusiker“, wie Albeniz, Granados oder de Falla, geworden. Für den großen Virtuosen war es nur eine kleine Übung oder Marotte spanische Musik zu machen, aber immerhin haben es nach ihm auch immer wieder andere Komponisten aus dem Norden erfolgreich versucht: allen voran Maurice Ravel und Edouard Lalo (Symphonie espagnol) sowie der geniale Schöpfer der Carmen – Georges Bizet.
Bleiben Sie stets neugierig …und durstig!