Was ein „Verschwindestoff“ im Wein alles bewirken kann

Dank DMDC kann die Süße der Trauben im Wein bleiben

Unter kriminalistischen Aspekten könnte man bei der Chemikalie „Dimethyldicarbonat“ (DMDC) von der perfekten Mordwaffe sprechen. Nachdem sie ihre abscheuliche Wirkung getan hat, verschwindet sie spurlos aus der Welt und ist auch mit subtilen Methoden nicht mehr nachweisbar. Die Opfer von DMDC sind Gärhefen in Fruchtmosten und -säften, also auch im Wein und seinen verwandten Produkten wie Cooler, Sekt, Likörweinen u.v.m. Das DMDC dringt in die Hefezellen ein und zerstört dort wichtige Proteine bzw. Enzyme. Die Substanz, selbst eine Flüssigkeit, reagiert zusammen mit Wasser und zerfällt in den Alkohol Methanol und das Gas Kohlendioxyd („Kohlensäure“). So lange sich das Molekül DMSC im Originalzustand befindet ist es ein starkes Fungizid (Pilzvernichtungsmittel) und Entkeimungsmittel, tötet also Hefen und Bakterien und Schimmelpilze im Produkt, dem es zugegeben wurde. In der Originalform ist es auch giftig für dem Menschen! Das entstandene Methanol wird, bei richtiger Dosierung von DMDC, in so geringen Mengen gebildet, dass es den natürlich vorhandenen Methanolgehalt im Most bzw. im Wein nur unwesentlich erhöht und toxikologisch völlig unbedenklich bleibt. Das entstandene Kohlendioxyd unterscheidet sich ebenfalls nicht von dem natürlich im Wein gelösten Gas und deren Zunahme entzieht sich daher, genau wie beim Methanol, des spezifischen chemischen Nachweises. Eine sensorische Beeinträchtigung des behandelten Produktes findet offenbar nicht statt, d. h. weder Geschmack, Geruch noch Farbe des Weins werden beeinflusst.

Dimethyldicarbonat ist also ein echter „Verschwindestoff“, der nach Entfaltung seiner Wirkung seine Existenz aufgibt, d.h. er ist physisch in dem Getränk, dem er ursprünglich beigesetzt wurde, nicht mehr enthalten. Logischerweise besteht für ihn deshalb auch keine Deklarationspflicht des Getränkeherstellers, denn der Stoff ist ja im Produkt nicht vorhanden. Als „Lebensmittelzusatzstoff“ trägt er die Nummer E242 und darf einem Produkt in maximalen Mengen zwischen 250 – 200 mg pro Liter zugesetzt werden. Im fertigen Lebensmittel, dem Saft oder dem Wein darf, laut Zusatzstoff-Zulassungsverordung,  DMDC überhaupt nicht mehr nachweisbar sein. Unter dem Handelsnamen Velcorin wird DMDC vom Chemie-Konzern Lanxess in Köln, der wiederum der Fa. Bayer in Leverkusen gehört, vermarktet. Der größte Markt für die Anwendung der Substanz ist die Fruchtsaft-Herstellung im weitesten Sinne. Ein hoher, natürlicher oder ggf. auch künstlich erzeugter Zuckergehalt birgt das Risiko der Gärung innerhalb der abgefüllten Flasche und dies kann durch DMDC effektiv verhindert werden.

Beim Wein kann die Nachgärung selbstverständlich auch zu einem Problem werden und so war bislang die Anwendung von DMDC ab einem Restzuckergehalt von 5 g/l erlaubt, d.h., dass selbst ein trockener Wein mit dem Lebensmittelzusatzstoff E242 stabilisiert werden durfte. Eine ganz neue EG-Verordnung begrenzt die Anwendung jetzt allerdings auf halbtrockene, liebliche und Süßweine. So einfach und genial das Wirkprinzip von Velcorin auch ist, muss die Frage erlaubt sein, ob seine Anwendung in der Önologie überhaupt notwendig bzw. gerechtfertigt ist. Selbstverständlich kann man mit rigoroser Hygiene im Weinkeller, dem Einsatz von entsprechenden Filtern sowie einer adäquaten Schwefelung der jungen Weine die Kontamination mit Gärhefen vermeiden und damit zu einem stabilen Endprodukt kommen. Es gibt aber Situationen, z. B. die Verschiffung von Weinen mit höherem Restzuckergehalt in klimatisch ungünstige Regionen dieser Welt, wo die Anwendung von DMDC dem dortigen Weinhändler erhöhte Sicherheit geben und wegen des hohen materiellen Wertes des Produktes auch gerechtfertigt sein kann. Eine potentielle Anwendung für DMDC dürfte auch die Herstellung von „Naturweinen“ sein, die ja keinerlei besonderen regulatorischen Pflichten unterliegen, aber eine strikte Forderung nach Reduktion von Schwefelzugabe erheben.

Für Öko-Winzer ist die Situation nicht mehr so entspannt, denn ab dem Jahrgang 2012 gibt es spezielle rechtliche Regelungen für ökologische/biologische Weine (EU-Ökowein-Verordnung) die bestimmte önologische Verfahren bzw. Behandlungen explizit ausschließen. Darunter befindet sich auch die Anwendung von  Dimethyldicarbonat (DMDC, Velcorin®). Die sog. „Kaltsterilisation“ wird bei der ökologischen Vinifikation gleichermaßen geächtet wie die Entalkoholisierung, die Konzantration durch Kälte, die Entschwefelung, die Elektrodialyse, die Verwendung von Ionenaustauschern, die Blauschönung und schließlich auch seit Kurzem die Verwendung von Kupfersulfat. Ungeachtet der Gebrauchseinschränkung bei Ökoweinen hat die Kölner Lanxess mit der Entwicklung einer Dosieranlage für Velcorin und der Substanz selbst 2011 einen Jahresumsatz von 2,13 Milliarden Euro erzielt. Das sind keine „Peanuts“ und lässt erahnen, welche Verbreitung die einfache Chemikalie in der weltweiten Getränkeindustrie gefunden hat. Wer in den vergangenen Jahren einmal irgendwo auf dem Globus ein Erfrischungsgetränk zu sich genommen hat, ist mit großer Wahrscheinlichkeit mit der Velcorin-Behandlung bereits in Kontakt gekommen, ohne dass es ihm oder ihr besonders aufgefallen wäre.

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