Vor einigen Jahrzehnten begann für viele gestresste Arbeitnehmer der Freitag mit dem morgendlichen Ausruf „Thank God it’s Friday!“. So hieß nämlich der Titelsong des 1975 erschienenen, gleichnamigen Musik-Films von Robert Klane. Hintergrund dieses Ausrufs war die Vorfreude auf das bevorstehende, arbeitsfreie Wochenende. Für viele von uns war das Wochenende irgendwie das Synonym par excellence für das wirkliche Leben. In dieser arbeitsfreien, maximal 60 Stunden dauernden Periode, konnte man eine Freiheit genießen, die während des Restes der Woche durch Fremdbestimmung, berufliche Verpflichtungen, Konferenzen, Schlafmangel, allgemeine Erschöpfung und Müdigkeit verloren gegangen zu sein schien. Der Wochenendtraum von der, zeitlich limitierten, wiedergewonnenen Unabhängigkeit war für viele Menschen zu einem festen Bestandteil ihres Lebens geworden und sie träumten ihn nicht nur, sondern leben diesen Traum auch heute noch. „Thank God it’s Friday!“ bedeutet, dass die Drangsal ein vorläufiges, aber absehbares, Ende hatte: kein schriller Wecker am Morgen, ausgiebiges Frühstück ohne Hetze, bequeme Freizeitkleidung statt Krawatte und gebügeltem Hemd, endlich mal Zeit haben nichts zu tun, mittags gut zuhause oder im Restaurant essen, vielleicht Einkaufen in der Stadt und abends ins Kino gehen oder auf dem Sofa vor dem Fernseher eine gute Flasche Wein öffnen. Am Sonntag Abend kam dann regelmäßig Kater-Stimmung auf: „Könnte es nicht immer so sein wie am Wochenende?“. Auf eine befriedigende Antwort wartete der geplagte Malocher immer vergeblich, denn seine Gedanken waren schon längst an seinem Arbeitsplatz, der ihn montags wieder für fünf Tage in die Pflicht nahm und sein Leben bestimmte.
Früher oder später im Laufe der beruflichen Karriere kam bei manchen Menschen die Erkenntnis, dass es neben dem Beruf und seinen Anforderungen an die eigene Person doch noch andere Befriedigungen zum Ausleben der eigenen seelischen Bedürfnisse geben musste und die auch aus dem Trott der Arbeitsroutine führen könnten. Wie am Wochenende das vermeintliche Loslassen von der Verantwortung und von dem institutionellen Zwang des Arbeitgebers zu einer inneren Gelassenheit und heiteren Grundstimmung führen konnte, erwartet man diese in hohem Maße als Dauerzustand im Rentenalter. Aus einem einst beflissenen Mitarbeiter sollte nun, mit dem Rentenbescheid in der Hand, tatsächlich ein Nichtstuer bzw. Müßiggänger werden? Zwar haben viele in den Zeiten des beruflichen Stresses davon geträumt, aber jetzt in der konkreten Situation sah es dann doch anders aus: Nur noch einen mickrigen Prozentsatz des ursprünglichen Gehaltes auf dem Konto, nichts auf der hohen Kante und Ausgaben für Miete und Lebensunterhalt wie in den „guten Tagen“. Das Gespenst der „Altersarmut“ taucht als vage Ahnung am Horizont auf. Darüber wird zwar viel im Fernsehen und in der Presse diskutiert und geschrieben aber wirklich relevant schien das Thema für die meisten doch nicht wirklich zu sein, oder etwa doch? Verwandelt sich jetzt der einstige Traum in einen Alptraum und erzeugt Rentenangst? Angst schürt Angst und lähmt den Antrieb und den Gestaltungswillen für die im Rentenalter reichlich verfügbare Freizeit. Das Ergebnis dieses Teufelskreises sind die vielen „traurigen Rentner“ mit pessimistischer Grundhaltung und nur zwei potentiellen Gesprächsthemen, nämlich dem erzwungenen Verzicht auf Lebensfreude und den eigenen Krankheiten.
Wie groß der Anteil derjenigen Rentner ist, die mit ihrem Rentnerschicksal weitgehend zufrieden sind, weiß ich nicht. Nach eigener, ganz subjektiver Beobachtung dürfte es allerdings die Minderheit sein. Etliche von diesen Zufriedenen leiden allerdings unter einer anderen, fatalen Wahnvorstellung, nämlich, dass ihre Existenz bzw. Noch-Tätigkeit von eklatant großer Bedeutung für die übrige Gesellschaft sei. Es sind diejenigen, die ständig vom „Unruhestand“ sprechen und übervolle Terminkalender haben. Ja, es gibt sogar unter ihnen solche, die deshalb tatsächlich freiwillig weiterarbeiten. Die Arbeitsgruppe von Prof. Verena Klusmann-Weißkopf an der Universität Hamburg beschäftigt sich mit dem Thema „Perspektiven des Alterns“ und hat die These aufgestellt, dass es für Rentner „identitätsstiftend sei, weiter im Arbeitsleben zu stehen“. Das klang aber aus dem Munde vieler im aktiven Berufsleben Stehender einmal ganz anders! Wenn sie sich erst von dem Zwang zur Wichtigtuerei befreit haben, kommen vielleicht auch diese Rentner zurück zu ihren vergessenen Träumen. Dann haben sie wieder „wirklich indentitätsstiftende“ Zeit und sie genießen es sich keiner täglichen Routine unterwerfen zu müssen. Wenn sie weitgehend frei von materiellen Sorgen sind, haben sie, jedenfalls theoretisch, ein kontinuierliches Wochenendgefühl erreicht. Ich habe derartige Zustände glücklicherweise über lange Zeit selbst genießen dürfen. Dabei bin ich zu der Erkenntnis gekommen, dass diese Zeitspanne doch nicht ganz so war, wie ich sie mir in jüngeren Jahren der Berufstätigkeit vorgestellt hatte. Auch die ersehnte Freiheit und Entspanntheit war unmerklich zur Routine geworden und längst nicht mehr mit der zehrenden Sehnsucht nach Erfüllung behaftet wie früher. Ich begann sogar mich bei meiner Zeitwahrnehmung wieder an den Wochenenden zu orientieren. Die Erkenntnis „Gottseidank es ist Freitag“ bemächtigte sich meiner und der Samstag war erneut der Tag an dem ich gerne Einkaufen ging und sonntags durfte es, als besondere Ausnahme, zum Mittagessen schon mal eine Flasche Weißwein mit einer anschließend ausgiebigen Siesta sein!
Bleiben Sie stets neugierig… und durstig!