Mein besonderes Interesse gilt seit langem den Weinhefen, über die ich an gleicher Stelle auch schon mehrfach geschrieben habe (1 und 2). Die Erkenntnis, dass das sog. „Terroir“ eines Weines ganz wesentlich von der Mikrobiologie seiner Umgebung abhängt, hat die Hefen wieder in den Focus des Interesses der Weinmacher gerückt. Während Saccharomyces cerevisiae, die klassische Bierhefe, die für die Umwandlung von Zucker in Alkohol zuständig ist, von ihrer Biologie her sehr gut erforscht ist, gibt es andere, natürlich vorkommende, Hefen, deren komplexe Wirkungen bzw. Wirkmechanismen noch weitgehend unbekannt sind. Eine davon heißt „Lachances thermotolerans“ (L.T.) und ist tatsächlich eine praktisch ubiquitär auf der ganzen Welt vorkommende Hefe, die man u.a. in Böden, in Insekten und auf Pflanzen findet. Antonio Morata und Mitarbeiter von der „Universidad Politécnica de Madrid” haben kürzlich eine Zusammenfassung des Wissenstandes zu dieser Hefe publiziert (Fermentation, 2018 – mdpi.com) und daraus möchte ich im Folgenden einiges für die Kellertechnik Relevantes zusammenfassen und mit persönlichen Notizen ergänzen.
Die genannten Autoren aus Spanien beschreiben u. a. das geringere Gärpotential von L.T. im Vergleich zu S. cerevisiae, welches aber mit einer sehr hohen Ansäuerung des Mostes durch die bakterielle Produktion von Milchsäure einhergeht. Der pH kann dadurch während der alleinigen L.T.-Gärung gegenüber der konventionellen um bis zu 0.5 Einheiten abgesenkt werden. Der Zusatz entsprechender Zuchthefen könnte z.B. in Klimaregionen, in denen die geringe Säure im Wein zum Problem werden kann, eine effiziente Säurequelle sein. Hinzu kommt, dass die Milchsäureproduktion aus den Zuckern im Most geschieht, d.h. dass sich der vergärbare Zuckergehalt reduziert und damit der Alkoholgehalt des Weines sinkt. Beide biochemische Wirkungen könnten zwei durch den Klimawandel unerwünschten Entwicklungen (Säuremangel und hoher Alkoholgehalt) des Weins entgegenwirken. Im Übrigen scheint L.T. gegenüber Schwefeldioxyd (SO2) und DMDC deutlich empfindlicher als S. cerevisiae zu sein. Dies bedeutet, dass man die gewünschten Gäreffekte von L.T. nur erhält, wenn der SO2-Gehalt noch unter ca. 100 mg/ml liegt, also am Beginn der Gärführung. Mittlerweile können Weinmacher L.T. bereits als kommerzielle Hefen unter den Markennamen „Concerto“ und „Melody“ käuflich zu erwerben. Haupteinsatzgebiet ist tatsächlich die „Säuerung“ des Weins, wobei als (erwünschter oder unerwünschter) Nebeneffekt, je nach Rebsorte, das Entstehen von Erdbeertönen (Isobutyrat) auftreten kann. Als Freund naturbelassener und unverfälschter Weine, spürt man ein deutliches Missempfinden beim Gedanken an derartig manipulierte Tropfen.
Eine weitere, önologisch interessante Eigenschaft von L.T. ist die deutlich geringere Produktion von flüchtigen Säuren durch diese Hefen. Flüchtige Säuren sind bekanntlich die Summe der leicht verflüchtigbaren Fettsäuren wie die Essigsäure, die Ameisensäure und andere. Diese entstehen tatsächlich innerhalb der Trauben über den Zuckerabbau durch die Hefen. Vorausgegangen ist der Bildung von flüchtigen Säuren allerdings immer der Austritt von Saft aus den Beeren durch mechanische oder Insektenbedingte Verletzungen der Haut. Im Wein beträgt die Konzentration flüchtiger Säuren normalerweise zwischen 0,2 und 0,5 g/L , höhere Spiegel führen zum „Essigstich“ und sind für den Verbraucher geschmacklich nicht annehmbar, d. h. der Wein ist nicht verkehrsfähig. Auch die Reduktion von flüchtigen Säuren kommt nur zustande wenn die konventionelle Gärung durch S. cerevisiae unterdrückt und der Most mit L.T. inokuliert wird. Auch hierbei können „weinfremde“ Fruchtaromen, wie Grapefrucht oder Passiosfrucht gebildet werden. In jedem Fall positiv für den Geschmack eines Weines ist das Entstehen von Glyzerin als zweitwichtigstem Produkt der alkoholischen Gärung. Glyzerin sorgt im Zusammenspiel mit spezifischen Eigenschaften der Rebsorte für die sensorische Weichheit eines Weines („Mundfülle“) sowie eine gewisse Süße und Komplexität. Verschiedene Untersucher haben herausgefunden, dass Glyzerin von L.T. in deutlich größerer Menge als von S. cerevisiae produziert wird, also auch dadurch einen wichtigen Beitrag für den Charakter und Stil des Weines leisten kann.
Zusammenfassend lässt sich wohl sagen, dass „Lachances thermotolerans“ als natürliche Gärhefe eine interessante Alternative zur klassischen Bierhefe (Saccharomyces cervisiae) ist. Kommerziell interessant werden vorwiegend mit L.T. vergorene Weine allerdings nur wenn L.T.-Reinzuchthefen benutzt werden. Da die sog. „Spontanvergärung“, d.h. die Vergärung des Mostes durch die traubeneigenen Hefen, in vieler Hinsicht sehr risikobehaftet ist, d. h. in seinem Endergebnis völlig unberechenbar sein kann, haben sich Reinzuchthefen in vielen Kellereien durchgesetzt. Dies reduziert zwar erheblich die Terroir-Charakteristik des Weines, sorgt aber dafür für annähernd gleichbleibende Qualität über die Jahrgänge. Das Wesentliche an L.T. ist der höhere Säuregrad nach der Gärung, der sowohl bei der Herstellung von Süßweinen als auch in Klimazonen mit notorischem Säuremangel des Lesegutes von Bedeutung sein kann. Das Pro und Contra von Reinzuchthefen soll an dieser Stelle nicht abgehandelt werden, denn bei dieser Diskussion kommt man schnell in subjektive Geschmacksgefilde, in denen wissenschaftliche Argumente nur noch bedingt zählen. In Brauereikreisen werden diese Fragen deutlich weniger emotional diskutiert, denn dort gehören Reinzuchthefen schon längst zum brautechnischen Alltag.
Bleiben Sie stets neugierig… und durstig!
Klare Worte sind heutzutage eher selten, aber P. Hilgard hat sie gefunden und ausgesprochen. Danke dafür!
BG