Was Thiole im Wein alles bewirken.

Der individuelle Fruchtgeschmack wird u.a. durch Thiol-Verbindungen vermittelt. Bild von suju auf Pixabay

Chemisch betrachtet sind Thiole (vom griechischen “ theío“ = Schwefel) organische Verbindungen, die den Alkoholen ähneln, aber statt des Sauerstoffatoms ein Schwefelatom enthalten, daher werden sie auch als Thioalkohole bezeichnet.  Sie sind ein ganzer Strauß von chemisch leicht abgewandelten Molekülen, die sehr geruchsintensiv sein können und z. B.  verantwortlich für den aggressiven Duft der Stinktiere (Mephitidae), ebenso wie für den der Zwiebel und den des Knoblauchs sind. Wegen der geruchlichen Missempfindung, die diese Substanzen beim Menschen erzeugen können, werden sie auch im Gaswerk dem Haushaltsgas als olfaktorisches Warnsignal beigemengt.  Auch der charakteristische Geruch von Milchprodukten, einschließlich des überreifen Käses, wird von Thiolen mitbestimmt. Andererseits können Thiole auch sehr positive Geruchsempfindungen auslösen, man denke nur an die Grapefruit-, Zitronen- und Limettenaromen beim Sauvignon Blanc und der Scheurebe. Die Passionsfrucht- und Muskat-Aromen der Traminer-Familie sowie die schwarze Johannisbeere beim Cabernet Sauvignon sind ebenfalls durch spezifische Thiole mit bedingt.  Auch Feuersteinaromen, die im Wein gelegentlich den Eindruck von großer Mineralität vermitteln können (z.B. beim „Fino“ aus Jerez de la Frontera), sind strukturell wiederum Thiole.

Selbst die klassischen Böckser (Weinfehler mit fauligem Geruch) werden von derartigen Schwefelverbindungen verursacht. So ist der Thioalkohol „Methionol“ die häufigste Schwefelverbindung in Weinen überhaupt und erinnert in etwas höheren Konzentrationen  ganz fürchterlich an gekochten Blumenkohl. Nicht weniger unangenehm ist gelöster Schwefelwasserstoff, der den Geruch von faulen Eiern verbreitet. Bei Weinen der Rebsorte Syrah findet sich vielfach die Thiol-Substanz  „Diethyldisulfid“, die nach verbranntem Gummi riecht. Der bereits erwähnte Käsegeruch kann auch sehr unangenehme Ausmaße erreichen, die man eher nicht im Wein haben möchte. Bei allen Thiol-vermittelten Gerüchen und Geschmäckern im Wein handelt es sich entweder um Primär- oder Sekundäraromen, d.h. sie waren – was vergleichsweise sehr selten ist –  bereits im Most vorhanden oder sie sind bei der Gärung entstanden. Im Alkohol des Weins gelöster Schwefelwasserstoff (H2S) ist dabei eine der Hauptquellen für die anderen unerwünschten chemischen Verbindungen. Aber auch ganz andere Thiole können für den Duft und Geschmack eines Weines eine entscheidende Rolle spielen, insbesondere wenn die Gärung nicht die richtige Führung durch den Weinmacher bekommt. Wassermangel während der Traubenreifung im Rebgarten sowie Temperaturschwankungen, übermäßige Hefequantitäten, die Anzucht ungeeigneter Hefen im Gärtank oder auch unzählige andere Unregelmäßgkeiten können die Entstehung unerwünschter Thioalkohole begünstigen.

Es scheint als könnten bestimmte Rebsorten beim Gärvorgang ihre eigenen sortentypischen Thiole bilden. Dabei sind die jeweiligen Vorstufen völlig geruchlos und erst während der alkoholischen Gärung erfolgt dann ihre Umwandlung und Freisetzung. Es ist das Ziel einer gekonnten Vinifikation die sortentypischen  Aromen der gelesenen Trauben im Laufe des gesamten Prozesses zu optimieren, was u.a. heißen kann die Konzentrationen der entsprechenden Thiole im Wein zu erhöhen bzw. andere dB zu eliminieren. Dafür hat der Weinmacher einige Kunstgriffe zur Hand. (1) Die Pflege des Rebgartens bzw. des Weinbergs und die Festlegung des richtigen Zeitpunkts der Lese haben tiefgreifende Einflüsse auf den späteren Thiol-Ausdruck. (2) Die Kontrolle von Sauerstoffkontakt mit dem Most und sein Schutz vor Oxidation sind Voraussetzung für die Erhaltung aromatischer Thiole. (3) Es muss eine harmonische Balance zwischen der Extraktion der Thiol-Vorstufen, z. B. durch Kaltmazeration, und der Extraktion der roten Farbstoffe (Polyphenole) eingehalten werden und „last but not least“ (4) spielen die Hefen eine ausschlaggebende Rolle für den Thiol-Ausdruck, wobei jede Hefe ihr spezielles und sortentypisches Optimum haben kann.

Alles in Allem kann man zusammenfassen: die Wirkungsweise der verschiedenen Thiole auf positive und negative Geschmacksempfindungen beim Genuss von Wein ist eine äußerst komplexe Angelegenheit, die in ihrer Gesamtheit noch gar nicht richtig erforscht ist. Wie ich versucht habe darzulegen sind es eine Vielzahl von chemischen Thiolverbindungen, die häufig gleichzeitig wirken und von denen wir nicht genau wissen ob sie sich im Wein gegenseitig olfaktorisch oder geschmacklich verstärken bzw. sogar aufheben bzw. neutralisieren können. Noch kann sich auch der wissenschaftlich orientierte Weinmacher nur auf die Empirie und die persönliche Erfahrung verlassen und dabei muss er höchsten Wert auf die Reproduzierbarkeit seiner Arbeit legen, um in jedem Jahrgang ein annähernd gleiches Thiol-Spektrum zu erreichen, denn nur so kann er über die Zeit qualitativ und sensorisch vergleichbare Weine produzieren.

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