Passt die Welt des Hieronymus Bosch noch zum Zeitgeist?

Die 7 Hauptsünden. Von Hieronymus Bosch oder Nachahmer – www.museodelprado.es : Home : Info : Pic, Gemeinfrei, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=1170708

Im Madrider Prado hängen unendlich viele Meisterwerke der europäischen Kunstgeschichte und eines davon ist die 120 x 150 cm große Tischplatte mit der auf das Holz gemalten Darstellung der „Sieben Hauptsünden“  und der „vier letzten Dinge“ vermutlich von Hieronymus Bosch (1450? – 1516) oder einem namenlosen – aber offensichtlich talentierten – Zeitgenossen gemalt. Philip II. von Spanien soll dieses Objekt für sein Schlafzimmer im Escorial gekauft haben. Später hat man es den „Tisch der Weisheit“ genannt. Darauf sieht man folgende Szenen: innerhalb eines Strahlenkranzes in der Mitte des Bildes, der einer riesigen Iris entsprechen könnte und in deren blauer Pupille sich ein Christus-Bild spiegelt, steht geschrieben „Cave, cave, Dominus videt“. (Sieh dich vor, Gott sieht alles). Rings um dieses Gottesauge ordnen sich sieben Darstellungen je einer der im Mittelalter definierten Todsünden (Hauptsünden) an.

Jedem Bild ist die schriftliche lateinische Erklärung seines Inhaltes beigegeben. „Superbia“ = Hochmut, Stolz, Eitelkeit, „Avaritia“ = Geiz,Habgier, Habsucht, „Luxuria“ = Wollust, Ausschweifung, Genusssucht, Unkeuschheit, „Ira“ = Zorn, Jähzorn, Wut, Rachsucht, „Gula“ = Völlerei, Gefräßigkeit, Maßlosigkeit, Selbstsucht, „Invidia“ = Neid, Eifersucht, Missgunst und „Acedia“ = Feigheit, Ignoranz Überdruss Trägheit des Herzens. In den vier Ecken des Tisches finden sich Miniaturen der „vier letzten Dinge“, die da sind „Tod“, „Gericht“, „Himmel“ und „Hölle“, also der Dinge, die für den Verstorbenen bereit stehen.

Wenn wir die kleine Episode zur „Völlerei“ (gula) genauer betrachten, sehen  wir einen übergewichtigen Genießer, der an einem Schweinefuß nagt. In der anderen Hand hält er einen Weinkrug. Die Frau des Hauses bringt auf einem Tablett eine knusperig gebratene Gans ins Speisezimmer während auf dem gedeckte Esstisch noch andere Lebensmittel herumstehen bzw. -liegen. Ein kleines, überaus wohlgenährtes Kind, scheint den gefräßigen Hausherren um etwas Essbares zu bitten, während auf dem Fußboden ein Feuer brennt über dem eine Bratwurst röstet. Auf der anderen Seite des Tisches steht ein hagerer Mann, der dem physischen Erscheinungsbild nach ein Alkoholiker sein könnte und hält sich einen großen Weinkrug an den Mund. Seine Gier drückt sich in dem aus den Mundwinkeln auslaufenden Wein aus, seine Schlucke sind größer als das Fassungsvermögen des Mundes.

Ganz im Kontrast zur „gula“ steht die „luxuria“. Auf dieser Darstellung geht es gesittet zu: ein der Kleidung nach zu urteilen sehr wohlhabendes Paar sitzt in eleganter Pose in einem Königszelt, dahinter steht ein anderes Paar ebenso aufwendig gekleidet. Rechts im Bild kniet vor dem Zelt ein Hofnarr und versucht die illustre Gesellschaft zu unterhalten. Die Lyra und die Flöte hat er abgelegt, er scheint im Augenblick Witze zu reißen, jedenfalls lässt sein lachender Mund dies annehmen.. Auf einer Art Bistro-Tisch links vor dem Zelt steht eine Torte, eine wertvolle Karaffe und ein silberner Becher. Im Vordergrund erkennt man einen großen Flacon, den man sich mittels einer daran befestigten Perlenkette umhängen kann und der möglicherweise ein Gemisch teurer Parfüm-Essenzen enthält. Im Gegensatz zur „gula“ kann der heutige Betrachter wenig Sozialkritisches in diesem Bild ausmachen.

Vielleicht hält uns Gegenwärtigen genau diese Erkenntnis einen Spiegel vor!  Was im ausgehenden Mittelalter noch als  „Luxuria“, sprich Wollust, Ausschweifung, Genusssucht, Begehren und Unkeuschheit galt, ist heutzutage, wie es scheint, zum gesellschaftlichen Standard geworden. Das Gemälde der sieben Todsünden von Hieronymus Bosch ist ein sehr genaues und Generationen unabhängiges Abbild der menschlichen Laster und Leidenschaften. In der heutigen säkularisierten Gesellschaft spielt das Wort „Sünde“ nur noch in übertragenem Sinn eine Rolle. Trotzdem gehören die „großen Sieben“ unverändert zu den Grundlagen unserer Moral und Ethik. Die sog. „Todsünden“ haben ganz offenbar menschliche Charaktereigenschaften beschrieben, die sich in der Menschheitsgeschichte völlig unabhängig vom Zeitgeist entfalten. Daher berührt uns das obige Gemälde so seltsam.

Unendlich viele Künstler aller Genres haben sich mit der „Todsünden“-Thematik befasst und auch uns Weinfreunden können insbesondere die „Gula“ und „Luxuria“ nicht gleichgültig bleiben, denn darin erkennen wir möglicherweise auch ein kleines Stück von unseren hedonistischen Vorlieben. Es macht sehr viel Sinn den Todsünden  die Darstellungen der vier letzten Dinge beizufügen, denn zu sehen was die unabänderlichen Konsequenzen menschlichen Daseins sind, kann dem Betrachter Angst und Schrecken einjagen. Das Interessanteste erscheint mir persönlich das kreisrunde Höllenbild links unten. Die Hölle war ja eines von Boschs Lieblingsmotiven; da konnte sich die Phantasie regelrecht austoben. Ein häufig wiederkehrendes Motiv sind die in einem großen Kessel über einem Feuer kochenden Menschen. Die Vorstellung als Strafe von bösen Höllenwesen aufgefressen zu werden scheint die Menschen besonders erregt zu haben.

Warum dies so ist hat im Laufe der Jahrhunderte viele Interpreten auf den Plan gerufen. Ich habe mich für die psychoanalytische Variante entschieden. Sigmund Freud hat bekanntlich die Fixierung sexueller Wünsche auf den Mund und Gaumen als „Oralerotik“ bezeichnet und ein kompliziertes Gedankengebäude darum errichtet. Essen und Trinken sei der Sex des Alters hört man gelegentlich von grauhaarigen Hedonisten/-innen als Bestätigung der Feudschen These. Warum gibt es in der Hölle so viele nackte Menschen? Doch nicht etwa wegen der Hitze dort? Man kann auch andersherum fragen: ist es heiß in der Hölle, um nackt herumlaufen zu können und damit dem Künstler schöne Motive zu schaffen und die Phantasie des Betrachters anzuregen? In Boschs Hölle auf dem „Tisch der Weisen“ ist all dies exemplarisch und faszinierend dargestellt.

Bleiben Sie stets neugierig und… durstig!

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