Am Beginn seiner gastronomischen Geschichte war Fisch nicht einmal in den Küstenregionen Europas ein besonders beliebtes Nahrungsmittel. Fleisch spielte in Zentraleuropa praktisch immer die Schlüsselrolle in der Ernährung der Menschen. Auf jüdischem Vorbild fußte bereits im frühen Christentums die Idee des Fastens. Fasten bedeutete im Wesentlichen den zeitweisen Verzicht auf Fleisch in der Ernährung. Körperliche Entbehrung sollte Geist und Willen stärken. Wenn Fleisch in der Fastenzeit nicht gegessen werden durfte, entstand die Notwendigkeit alternative Nahrungsmittel für die nötige Kalorienzufuhr zu finden. Zu diesem Zeitpunkt begannen in unserer Esskultur die Erfolgsgeschichten von eiweißreichen Ersatzprodukten wie Hülsenfrüchten, Käse, Eiern, Geflügel und, last but not least, Fisch.
Fisch stieg schnell zum Fleischersatz schlechthin auf. Bereits um die erste Jahrtausendwende war er in weiten Teilen des christlichen Europa eine kulinarische Selbstverständlichkeit geworden. Der Fisch, und mit ihm viele andere Tiere, die im Wasser lebten, hatten in der Vorstellung der europäischen Menschen die Gestalt eines „fleischlosen” Nahrungsmittels angenommen. Auch von der Kirche wurde diese Betrachtungsweise sanktioniert. Fisch und Fleisch wurden offenbar als Gegensätze empfunden. Auch bei den Juden galt Fisch nicht als Fleisch, sie aßen ihn nur wenn er besondere Attribute der Qualität wie Flossen und Schuppen hatte, andernfalls war er „unrein” (nicht koscher) und für den Verzehr nicht geeignet. Trotz zunehmender Popularität galt der Fisch lange Zeit als Luxusnahrungsmittel. Grund dafür waren die schlechten Transport- und Lagermöglichkeiten für dieses leicht verderbliche Produkt. Frische Meeresfische blieben im Landesinneren bis in die Zeit der elektrischen Kühlschränke eine Rarität. Man war auf die weniger schmackhaften Süßwasserfische angewiesen. Die Fortschritte der Konservierungsmethoden machten aus dem Fisch schliesslich ein wirklich allgemein verfügbares Nahrungsmittel. Küsten waren eine Voraussetzung für die Verbreitung des Fischkonsums innerhalb eines Landes. Da hatten die Meeresanrainer einen natürlichen Vorteil gegenüber den Binnenländern. Vom Fischreichtum in der barocken Küche erzählen unzählige Fischmarktszenen und Stilleben in der flämischen Malerei des 16. und 17. Jahrhunderts. Auf diesen Bildern finden wir z.B. Jakobs-, Venus-, Herz-, Mies-, Schwert- und Trogmuscheln sowie Krustentiere wie Hummer, Langusten, Krebse, Garneelen, Scampi und Shrimps aller Art. Dazu Meereslebewesen wie beispielsweise Meeresschnecken, Stachelschnecken, Entenmuscheln, Tintenfische, Kraken und andere Delikatessen, die ihren kulinarischen Reiz bis heute bewahrt haben.
Als gegen Ende des 15. Jahrhunderts der Kabeljau in den ozeanischen Gewässern zwischen Island und Neufundland in schier unbegrenzt scheinenden Mengen endeckt wurde und als Salzkonserve in Form von Klipp- oder Stockfisch die Märkte erreichte, entwickelte sich, insbesondere im Mittelmeerraum wo die klimatischen Bedingungen den Fischhandel sehr einschränkten, eine völlig neue Esskultur: der problemlos haltbare „bacalao” eroberete nun die Kochtöpfe der Bürger und einfachen Leute im Landesinneren. Der konservierte, gesalzene Fisch mit seinem penetranten Geruch, der zudem eines der billisten Eiweißnahrungsmittel war, rief bei den gehobeneren Gesellschaftschichten tatsächlich bald Vorstellungen von wirtschaftlicher Armut und geringer sozialer Stellung hervor, ähnlich dem später in unseren Breitengraden so populären Salzhering. Demgegenüber erzeugte der frische Meeresfisch das Bild von Reichtum und Überfluß, denn, abgesehen von seiner limitierten Verfügbarkeit, machte er auch nicht wirklich satt. Dies bedeutete, daß er nur von denjenigen ohne Reue genossen werden konnte, die nicht den täglichen Hunger vor Augen hatten, d.h. von den wohlhabenderen Mitbürgern.
Aufschluß über den Gegensatz von Fleisch und Fisch gibt auch die psychoanalytische Sicht. Das Fleisch repräsentiert aus diesem Blickwinkel betrachtet die Sünde der Liebe und der Wollust. Dies tritt sehr deutlich in der sprachlichen Zweideutigkeit des Begriffes „Fleischeslust” zu Tage. Dieser beinhaltet bekanntlich weniger die Freude am Fleischessen sondern viel mehr den Wunsch sexuelles Verlangen zu befriedigen. Fleisch ist in unserer Kultur zum Inbegriff der Sinnlichkeit geworden. Mit diesem Verständnis lässt sich mühelos das Verbot des Fleischverzehrs in der Fastenzeit erklären. Es ist ein sehr deutlicher Hinweis auf die ablehnende Haltung der Kirche gegenüber der Sexualität. Beim Essen von Fleisch schwingt in unserer Kultur im Unbewussten auch noch etwas Ur-Heidnisches mit: das Blutopfer. „Saignant” (blutend) nennen die Franzosen ein nur kurz gebratenes Filetstück und erinnern damit an die Blutmythologie, zu der der rote Wein ja auch gehört. Wenn der Fisch als Nahrungsmittel im Gegensatz zum Fleisch steht, liegt es nahe anzunehmen, daß er auch gegenteiliges symbolisiert. Das Fleisch der Fische ist im allgemeinen weiß und qrelativ blutleer. Der Fisch schwimmt im kalten Wasser, einem Element, dem der Mensch seit Urzeiten voller Mißtrauen und Angst gegenüberstand. Das weite Meer bedeutete in der Vorstellung unserer Vorfahren das Unergründbare schlechthin. In ihm lebten Poseidon bzw. Neptun, die mächtigen und den Menschen oft grollenden Götter der Antike. Es gibt keine „Fischeslust”, der Fisch vermittelt nichts Sinnliches. In der Sage ist er zum geschlechtslosen Wesen, der kalten Meerjungfrau, stilisiert worden. Der Genuß von Fisch ist also eher ein betont intellektueller Genuß – perfekt für die Fastenzeit.
„Fisch will schwimmen” schrieb Petronius Arbiter in seinem Roman „Satyrikon”. Petronius war „Meister der Kunst des feinen Lebensstils” (arbiter elegantiae) am Hofe des römischen Kaisers Neros. Nero kompensierte seine Grausamkeit, die er u.a bei den Christenverfolgungen an den Tag legte, mit einer legendären Genußsucht. Petronius beriet ihn dabei und muß so jemand wie ein römischer Escoffier gewesen sein. Die Regel, daß Fisch auch im Magen schwimmen sollte, hat sich bis in unsere Tage gehalten. Was passt zu der emotional unterkühlten Fischküche wohl besser als ein kühler Weißwein? Wie der Fisch zum Fleisch steht der Weißwein im Kontrast zum Rotwein. Nicht nur die Farbe unterscheidet die beiden konträren Pole der Weinkultur, auch ihr Charakter. Während Rotwein in der Nase meist intensiv und füllig, also sehr sinnlich, erscheint, sind die Düfte des Weißen vergleichsweise elegant und zart. Am Gaumen präsentieren sich Weißweine eher filigran und spielerisch während Rotweine nicht selten den Geschmacksinn überwältigen. Beim Weißwein reagieren unsere Sinne auf die feinen Inhaltsstoffe des Fruchtfleisches, der Rotwein hingegen ist komplexer, in ihm finden sich auch die vielen löslichen Bestandteile der Traubenschalen. Ausserdem reift der Rotwein häufiger in Holzfässern, die ihren intensiven Geruch und Geschmack an den Wein weitergeben. Diese Einsicht legt den Schluß nahe, daß Rotwein als Partner zum Essen etwas kräftigeres und aromatischeres verlangt. Damit sind wir wieder beim Gegensatz von Fleisch und Fisch. Es ist nicht nur der Kontrapunkt zum Blutmythos, der Weißwein mit Fisch verbindet, sondern es sind die zarten Aromen und Geschmäcker der beiden. Wie die alte kulinarische Gewohnheit, Zitrone zum Fisch zu servieren, zeigt, verträgt dieser meist problemlos ein wenig Säure, die seinen Geschmack hervorhebt und die der Weißwein eher als der Rotwein liefern kann. Adstringierende Tannine sind wesentliche Inhaltsstoffe vieler Rotweine, die sich geschmacklich ausgesprochen schlecht mit dem oftmals tranigen Fett von Fischen vertragen.