In den letzten Jahren gab es die Neigung im Getränke-Journalismus die gesundheitsfördernden Eigenschaften des Weins übertrieben positiv darzustellen. Ich selbst bin dieser Sichtweise mehr als einmal erlegen gewesen, wie sich jedermann in diesem blog überzeugen kann. Auch die Liebe zum Wein macht vielleicht blind und verstärkt die Tendenz der selektiven Wahrnehmung positiver Aussagen. Wein und Gesundheit ist ein weithin beachtetes Thema, dem sich auch medizinische Fachgesellschaften nicht mehr verschließen. Klinische Studien haben, allerdings so gut wie immer retrospektiv, herausgefunden, dass Weinkonsum vorbeugend bei so unterschiedlichen Krankheitsbildern wie Krebs, Depressionen, Herzinfarkt, Schlaganfall, Diabetes, Demenz und Osteoporose wirken soll. Weniges davon scheint aber wissenschaftlich wirklich hieb- und stichfest zu sein, und ich glaube, dass eine gesunde Skepsis gegenüber der häufig euphemistischen Interpretation von Studienergebnissen zum Thema „Wein und Gesundheit“ angebracht ist.
Eine einzige gesundheitliche Situation hat bislang jedem Versuch der Verbesserung durch Weinkonsum standgehalten: die Schwangerschaft. Und das obwohl sich in unserer Gesellschaft ein Trend zur Verharmlosung des Themas Alkohol und Schwangerschaft ausgebreitet hat. Untersuchungen (Robert-Koch-Insititut, Berlin) haben leider gezeigt, dass etwa 20 % aller Schwangeren nicht konsequent auf alkoholische Getränke verzichten. Jedes Promille im Blut der Mutter tritt auch in den Blutkreislauf des werdenden Kindes, denn die sog. Plazentaschranke, die den mütterlichen Blutkreislauf von dem des Kindes trennt, ist für Alkohol vollkommen durchlässig, d.h. der Fötus trinkt immer mit. Alkohol, egal ob im Wein, Bier oder Schnaps, ist eines der stärksten Zellgifte für den jungen Embryo (vermutlich über das toxische Abbauprodukt Acetaldeyd) und dies kann für das spätere Kind ungeahnte Folgen haben: geistige Störungen und abnormales Verhalten sowie körperliche Fehlbildungen sind vielfach beschrieben worden. Man schätzt, dass mindestens 10.000 Säuglinge im Jahr mit Zeichen einer Alkoholschädigung in Deutschland auf die Welt kommen, die Dunkelziffer ist unbekannt, aber sicher sehr groß. Leider sind diese Zusammenhänge nur etwa der Hälfte der Bürger unseres Landes bekannt.
Beim gefürchteten „Fetalen Alkoholsyndrom (FAS)“ stehen körperliche Veränderungen ganz im Vordergrund und sind von medizinischen Fachkräften meist gut zu erkennen. Aber auch das zentrale Nervensystem ist beim FAS in Mitleidenschaft gezogen und verändert die gesamte Persönlichkeit des späteren Kindes bzw. Erwachsenen. Etwa 2000 Kinder kommen jährlich in Deutschland mit ausgeprägtem FAS auf die Welt. Nicht nur die Kinder leiden, auch die Eltern, meist die Mütter, können extreme Schuldgefühle entwickeln. Neben dem Vollbild der Erkrankung gibt es natürlich alle Übergangsformen mit mehr oder weniger starker Ausprägung der Symptome. Die Mediziner bezeichnen diese Zustände mit dem englischen Begriff „Fetal Alcohol Spectrum Disorder (FASD)“. Beim FASD handelt es sich um den häufigsten angeborenen Gesundheitsdefekt in unseren Breitengraden. Wegen der großen gesellschaftlichen Akzeptanz des Alkoholkonsums gibt es eine relativ hohe Hemmschwelle bei Ärzten und Pflegepersonal diesen Zustand zu diagnostizieren und die Patienten entsprechend frühzeitig fachgerechter Betreuung und Förderung zuzuführen. Eine kausale Therapie gibt es nicht. Die Konsequenz davon ist, dass die Betroffenen häufig von sozialem Abstieg bedroht sind und allzu oft im Obdachlosen-Milieu enden.
Es ist ganz offensichtlich, dass die Alkoholtoleranz der Föten nicht einer Dosis-Wirkungsbeziehung der klassischen Pharmakologie entspricht. In anderen Worten, Mengen, die dem einem Kind nicht schaden, können beim anderen schwere Schäden verursachen. Viele zusätzliche Faktoren, die den Alkoholstoffwechsel der Mutter beeinflussen, z.B. die Ernährung und das Alter, mögen eine Rolle spielen. Aber auch die Genetik, die u.a. von der ethnischen Herkunft bestimmt wird (vergleiche Alkoholtoleranz), sind wichtige Variablen. Zwar gibt es einige wenige Studien, die die Späteffekte von Alkoholkonsum auf die Kinder untersucht haben (z.B. die in der online-Ausgabe des British Medical Journal publizierte Studie von Rachel Humphriss und Mitabreitern aus Bristol) und für mässiges Trinken in der Schwangerschaft Entwarnung geben, aber unter den Medizinern herrscht trotzdem weltweit ein breiter Konsensus: Kein Risiko für die Nachkommen einzugehen bedeutet völliger Verzicht auf jegliche Form von Alkohol während der Schwangerschaft! Einer verantwortungsbewussten Weingeniesserin wird dies auch in dieser Situation nicht besonders schwer fallen. Aus Solidarität dem Partner gegenüber kann der Mann die neun Monate beim Verzicht mitmachen. Welche Freude ist es doch danach auf ein gesundes Kind wieder anzustoßen!