Obwohl der Protagonist des Films „Hello I am David“ nur Coca-Cola und Tee trinkt ist es einer der schönsten Streifen, den ich in den letzten Jahren gesehen habe. Wie kein anderes Werk vermittelt er tiefe Einsichten über das Wesen der Musik. Unter den Künsten ist Musik ja die komplexeste, denn sie ist mit den Dimensionen unserer Wahrnehmungswelt alleine nicht zu verstehen. Während Malerei, Skulptur, Literatur und Poesie sich vermeintlich erlebbare Welten vorzustellen versuchen basiert die Musik nur auf Zeit und Gefühl und bleibt, trotz physikalisch messbarer Töne, immer abstrakt. Dies gilt in besonderem Maße für die „reine“ Musik, die ohne Gesangstext oder sonstigem Programm auskommen muss. Musik sind Klänge und Rhytmen, die in einem, vom Komponisten stammenden, mystischen Verhältnis zueinander stehen. Dies nachzuempfinden und dem Zuhörer deutlich zu machen ist die Aufgabe des musikalischen Interpreten. In ihm oder in ihr muss also ein Teil der Seele des Komponisten, dem Schöpfer des Musikstückes, zum Leben erweckt werden. Dass dies primär ein emotionaler Prozess sein muss zeigt nichts eindrucksvoller als das Klavierspiel von David Helfgott.
David Helfgott ist eine ganz außergewöhnliche Musikergestalt. Er ist gebürtiger Australier und studierte am Royal College of Music in London. Im Alter von 22 Jahren gab das einstige Wunderkind am Piano in der Royal Albert Hall ein legendäres Konzert mit Rachmaninoffs 3. Klavierkonzert. Kurz darauf erlitt er einen „Nervenzusammenbruch“. Später, zurück in der Heimat, wurde eine schwere psychische Störung diagnostiziert, die ihn über 10 Jahre lang im Bannkreis psychiatrischer Kliniken hielt. Erst seine spätere Frau Gillian brachte 1984 den großen Wendepunkt in seinem Leben. Sie brachte ihn soweit, dass er 2 Jahre später wieder ein öffentliches Konzert gab. Wie er es in seiner vordergründig kindlichen Art nannte, hatte er durch sie seine „innere Musik“ wiedergefunden.
In einem Dokumentarfilm über eine Konzertreise mit den Stuttgarter Symphonikern zu verschiedenen Städten in Europa hat ihn die Regisseurin Cosima Lange begleitet und uns einen tiefen Einblick in die Psyche und das Gefühlsleben dieser außergewöhnlichen Persönlichkeit und seiner nicht minder ungewöhnlichen Frau vermittelt. Diese beiden sind eine Lebenssymbiose eingegangen, die es David Helfgott letztlich ermöglichte aus den Tiefen seiner Seele die Wesensverwandtschaft mit den großen Komponisten ins Gehör und Bewusstsein der Musikfreunde zu bringen. Überzeugender als bei Beethovens „Apassionata“ kann so etwas nicht geschehen! Aber auch im Zusammenspiel mit dem Dirigenten Matthias Foremny und den „Stuttgartern“ in Helfgotts „Schicksalsstück“, dem 3. Klavierkonzert von Rachmaninoff, laufen dem Publikum Schauer über den Rücken. Impulsive Leidenschaft und tief empfundene Emotionen übertragen sich direkt auf die Zuhörer. Die „wilde“ Emotionalität im Spiel des David Helgott hat selbstverständlich auch eine große Zahl von Kritikern auf den Plan gerufen.
Der Musiker ist in seinem Wahn noch immer ein psychisch „kranker“ Mensch, das wird in den Handlungen und Dialogen des Films sehr deutlich. Aber er ist ein glücklicher Mensch, der in seinem Inneren unendlich reich sein muss und dies auch mit seiner begeisterten Zuhörerschaft teilen kann. Der Film von Cosima Lange macht es sehr bewusst: Musik kann pure Emotion sein, losgelöst von den Widrigkeiten des Lebens. Angesichts der Biografien von Mozart, Beethoven, Schumann und vielen anderen hatten wir alle das schon irgendwie geahnt.