
In der Kindheit liegt das Glück ausschließlich in der Gegenwart (Foto: Pixabay mit Dank an Adelkazaika)
Wann sind die Menschen wirklich glücklich? Eine denkbare Antwort ist natürlich: in den frühen Lebensjahren! Virginia Woolfe, eine der großen Schriftstellerinnen der klassischen Moderne, schrieb: „Ich glaube, dass voll in der Gegenwart zu leben das größte Glück ist, das einem Menschen widerfahren kann“. Wann lebt man mehr in der Gegenwart als in der Kindheit? In dieser Zeit gibt es nur Gegenwart, die Vergangenheit ist sehr kurz und das Erinnerungsvermögen nicht ausgeprägt, das Morgen ist noch unvorstellbar, denn die dazu notwendigen Begriffe und ihre Definitionen fehlen. Weder emotional noch intellektuell besteht genug eigene Erfahrung, um sich ein Bild von der Zukunft machen zu können. Das spätere Wiedererleben der Kindheit, in der man tatsächlich voll und ganz im Jetzt gelebt hat, muss demnach Glücksgefühle auslösen. Nicht nur die Kindheit, auch die Zweisamkeit mit einem geliebten Menschen und die Musik sind Gelegenheiten, bei denen nur das Jetzt eine Bedeutung hat, lösen bei den meisten Menschen Glücksgefühle aus. Diese minimalistische Beschreibung von Glück zeigt, dass es nur sehr persönliche Definitionen von Glück geben kann. Glück ist nur in zeitlich begrenzten Perioden möglich, wir reden ja deshalb oft von „Glücksmomenten“. Glück ist der Kontrast zum eintönigen und häufig freudlosen Alltag.
Weil die Inhalte des Wortes Glück so verschieden sind, sollte man überhaupt aufhören von Glück zu sprechen. Der chinesische Philosoph Lao-Tse (6. Jh. vor Chr.) hat gemeint, dass der Mensch erst, wenn er aufhört das Glück zu suchen, wirklich glücklich sei. Auch das trifft einen Kern, der in der Kindheit verwirklicht ist und der uns diese Zeit zurückblickend als glücklich erscheinen lässt. Wenn ich Freunde frage, was denn Glück sei, bekomme ich häufig die Antwort, dass Glück eigentlich Zufriedenheit bedeutet. Dem kann ich nur sehr eingeschränkt zustimmen. Tatsächlich ist das Zufrieden sein ein Aspekt des Glücklichseins, Freiheit, Liebe, Lust und Dankbarkeit sind andere Facetten des Glücks. Zufriedenheit ist aber auch das „Erreicht-haben“ von gesteckten Zielen und der Zustand des Wohlbefindens, induziert durch äußere, meist materielle, Einflüsse. Aber Zufriedenheit kann auch lähmend sein, man möchte sie erhalten und verweigert sich deshalb Aktivitäten, die das Potenzial haben, sie zu zerstören. Es entsteht das Phänomen der Saturiertheit und diese bewirkt eine Trägheit sich mit neuen Dingen zu beschäftigen. In der Zufriedenheit liegt ein großer Widerspruch: einerseits ist sie ein vermeintlich erstrebenswerter Zustand, andererseits ist sie die große Bremse, ein Risiko einzugehen bzw. den „Inneren Schweinehund“ zu überwinden, um eine neue Erfahrung zu machen. Es ist aber leider so, dass die Zufriedenheit mit dem, was man gerade hat, nur von begrenzter Dauer ist, denn die menschliche Gier nach Steigerung sinnlicher oder materieller Erfahrungen lässt sich nicht unterdrücken und wird jede Zufriedenheit über kurz oder lang zunichtemachen. Die geistigen Ansprüche an das Leben sind häufig umgekehrt proportional der erreichten Zufriedenheit. Was ich damit sagen möchte ist, dass wir unsere Anforderungen an Problemlösungen herunterschrauben, wenn wir im Gemütszustand der Zufriedenheit sind. Die vermeintlich positive Grundstimmung kann uns lähmen und gleichgültig werden lassen, denn wir möchten ja nichts unternehmen, was diese glückliche Verfasstheit ändern könnte. Wenn die Zufriedenheit auf dem Vergleich mit anderen Personen beruht (etwa mit der Einsicht: „ich möchte nicht in seiner Haut stecken“), ist sie nicht nur von eigenem Glück geprägt, sondern ggf. Ausdruck einer „privilegierten“ sozialen Situation. Demgegenüber ist Glücksgefühl das Zeichen akuter Freude und Hochstimmung. Glück hat häufig etwas Offensives an sich, mit dem Bedürfnis sich anderen mitzuteilen. Die Auslöser von Glücksgefühlen können individuell außerordentlich unterschiedlich sein und reichen von erlebten Ereignissen in der Natur bis zu gesellschaftlichen Begebenheiten.
In der Sichtweise der meisten Menschen ist Glück ein flüchtiger emotionaler Zustand, der kommt und rasch wieder vergeht. Dazu produziert der Körper sechs verschiedene Glückshormone, nämlich Serotonin, Dopamin, Noradrenalin, Endorphine, Phenethylamin und Oxytocin. Diese sind die biochemische Grundlage unserer positiven Stimmung. Aber nicht die Quantität der Hormonausschüttung, sondern die jeweilige Persönlichkeit bestimmt das Maß der Zufriedenheit. Nachdem die Vorstellung von der Zufriedenheit als Glücksauslöserin von den negativen Aspekten, die ich oben dargelegt habe, kompromittiert wird, habe ich nach anderen glückassozierten Befindlichkeiten gesucht und sie in dem Begriff „Erfüllung“ gefunden. Darin steckt natürlich das Verb „füllen“ (voll machen), was besagt, dass ein Behälter gefüllt wird. Wenn das subjektive Leben dieser abstrakte Behälter wäre, könnte man von einem erfüllten Leben sprechen, wenn sich darin eine für das Individuum angemessene Menge physischer und seelischer Inhalte befinden. Es zeigt aber auch, dass auch Erfüllung ein sehr subjektiver Zustand ist, denn was ich als solche betrachte, kann mein Partner oder jede beliebige andere Person vielleicht nicht für sich selbst akzeptieren. Erfüllung hat auch eine Zukunftsperspektive, denn sie kann auch die Erfüllung einer Erwartung sein. Jeder kennt die Zeitgenossen, die offensichtlich kein erfülltes Leben haben und entsprechend leiden: Sie sind gelegentlich hartnäckige Nörgler und Querulanten.
Bleiben Sie stets neugierig …und genussvoll durstig!
Leave a Reply