Der Barock und Georg Friedrich Händel

Barockes Vanitas-Stilleben (Pieter Claesz 1598-1660) mit charakteristischem Inhalt (Musik und Tod)

Ludwig van Beethoven nennt ihn „den größten Komponisten, der je gelebt hat“ noch ohne zu wissen, dass er selbst einmal dieses Prädikat erlangen sollte. Zwei Titanen der Musikgeschichte, diese Erkenntnis hat mich motiviert etwas mehr über Georg Friedrich Händel (1685 – 1759) zu erfahren. Dieser wird musikgeschichtlich in der Periode des Spätbarocks verortet. In unserer heutigen Perspektive erscheint uns im Zeitalter des Absolutismus die Epoche des Barocks gesellschaftlich gespalten: einerseits sehen wir die künstlerischen Dokumente eines großen materiellen Reichtums und  glänzender Pracht mit ihrer unbeschreiblichen,  gelegentlich bis ins Kitschige gehende Liebe zum Detail und andererseits die Todesangst mit dem ständigen Bewusstsein der Vergänglichkeit des Lebens. Diese dualistische Weltsicht spiegelt sich auch in der Kunst, und damit ebenfalls in der Musik, wider. Der tiefere Grund für diesen emotionalen Zustand der ganzen Epoche war der Dreißigjährige Krieg (1618 – 1648). Auf der einen Seite der gespaltenen Gesellschaft stand in übermäßigem Wohlstand der Herrscherhäuser und mit ihnen der Adel sowie der Klerus, auf der anderen das Volk. Letzterem ging es schlecht. Die Menschen lebten in schlichten Behausungen, häufig waren sie Analphabeten und hatten eine sehr geringe Lebenserwartung. Die hochinfektiöse und tödliche Pest bedrohte während des Barock ständig alle Bevölkerungsschichten und war ein wesentlicher Grund für die pessimistische Lebenseinstellung vieler Menschen. Auf dem Speiseplan der Handwerker und Bauern standen Eintöpfe, Suppen Brot und Gemüse. Die üppigen Fressalien, einschließlich Wein und Champagner, die häufig auf barocken Stillleben zu sehen sind, waren ausschließlich der Oberschicht vorbehalten. Diese überließ sich dem Sinnenrausch, den ihnen auch die Kunst, einschließlich der Musik, in großem Maße vermittelte.

In diese Welt wurde am 23. Februar 1685 Georg Friedrich Händel in Halle an der Saale geboren. Als er 21 Jahre alt wurde, zog es ihn in das damalige, deutsche Sehnsuchtsland Italien. Für Musiker befand sich dort das Eldorado der Opernkultur, ein Genre, welches Händel schon in frühen Jahren besonders schätzte. Seine Wege auf dieser 4-jährigen Reise führten ihn in die großen Kunstzentren Rom, Neapel, Venedig und Florenz. Er nahm Aufträge der lokalen Aristokratie sowohl für Vokal- als auch Instrumental-Kompositionen, an. Es entstanden die Opern „Rodrigo“ und „Agrippina“. Ein Zeichen seiner großen künstlerischen Akzeptanz in italienischen Musikkreisen war seine populäre Charakterisierung als „Il Sassone“ (der Sachse).

Als sein späterer Arbeitgeber in Hannover, der Kurfürst Georg Ludwig 1714 als George I. britischer König wurde, bekam Georg Friedrich den Ruf nach London als offizieller Hofkomponist. Mit der Oper „Rinaldo“ feiert er dort einen ersten, großen Erfolg. Das Londoner Publikum erklärt Händel sehr schnell zu seinem Favoriten und am „King’s Theatre“ am Heymarket haben weitere Opern wie z.B. „Radamisto“ „Julius Cäsar“, „Tamerlano“ sowie etliche andere ihre Premiere und werden stürmisch gefeiert. Da Operninszenierungen aus finanziellen Gründen immer schwerer zu realisieren wurden, wandte sich Händel den wesentlich weniger aufwendigen Oratorien zu. Er komponierte sie in englischer Sprache und gab ihnen durchweg biblische Inhalte: z. B. im „Messias“, „Israel in Ägypten“, „Samson“, „Judas Maccabaeus“ oder „Jephta“.  In Händels Oratorien spielten die Chöre eine sehr viel größere Rolle als in der Oper, die Emotionalität der Arien blieb aber auch in diesen nicht-szenischen Werken voll erhalten, was dem Londoner Publikumsgeschmack sehr entgegen kam. Entsprechend gefeiert wurde der Komponist und 1727 bekam er die englische Staatsbürgerschaft, da war er 42 Jahre alt. Die letzten Jahre seines Lebens waren gekennzeichnet durch seine, vom grauen Star verursachte Erblindung und als er starb wurde er wie ein Fürst gefeiert und in der Westminster Abbey beigesetzt.

Wer war dieser komponierende Kosmopolit, der 42 Opern, 25 Oratorien, über 100 Kantaten, Kirchenmusik, Orchesterwerke, Kammer- und Klaviermusik schrieb? Leider ist über sein Privatleben sehr wenig bekannt, denn der notorische Junggeselle, der schon zu Lebzeiten Weltruhm besaß, wollte sich als Person nicht der Öffentlichkeit preisgeben. Die pralle Sinnlichkeit seiner Musik erinnert mich sehr an die Bilderwelt des Peter Paul Rubens (1577 – 1640) dessen leuchtende Farben und üppigen Formen sich auch in Händels Musik wiederfinden. Die überreiche Lebensfreude, wie sie sich z.B. im berühmten „Halleluja“ des Oratoriums „Messias“ ausdrückt oder die Melancholie und bukolische Schönheit der Naturlandschaften in den zarten Violin- und Klavier-Sonaten, z.B. im „Affettuoso“ der Sonate D-dur,  zeigen das ganze emotionale Spektrum Händelscher Musik. Rubens hat übrigens in seiner Riesenwerkstatt so viele Bilder selbst gemalt wie Händel Musikstücke komponiert hat, nämlich über 600. Beide Künstler hatten demnach eine weitere Gemeinsamkeit, nämlich ihre Kreativität. Der Barock als Ausdruck eines Nachkriegsglaubens mit seiner häufigen Übertreibung des Prunkvollen beeindruckte die Menschen, die entweder Aristokraten in ihren Schlössern oder das „gemeine Volk“ in den üppig ausgestatteten Kirchen waren. Die Musik spielte im Barock in allen sozialen Schichten immer eine zentrale Rolle. Die nachfolgenden Generationen der gut situierten Bürger-Gesellschaft lehnten die Sprache der Barockkunst ab und so bekam der Begriff des Barock für die folgenden Jahrhunderte eine stark negative Note. Die Ausnahme davon bildete Georg Friedrich Händel. Er hat bis heute jeden Zeitgeist überlebt, genau wie sein großer Bewunderer Ludwig van Beethoven.

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