Was ist eigentlich Alkoholtoleranz?

Nächtliches Trinkgelage (William Hogarth, 1731)

Eine Gruppe von sechs jungen Damen und Herren sitzen um einen runden Tisch, auf dem noch die Teller und Käsereste des Abendessens stehen. Dazu wurde ein roter Crianza-Wein aus Ribera del Duero getrunken. Jemand hatte das Thema des Gaza-Krieges angesprochen und nun befand sich die Gruppe in einem heftigen Diskurs darüber. Der Gastgeber unterbrach mit den Worten „die Flasche ist leer. Was soll ich noch aufmachen?“ Man einigte sich schnell auf noch eine weitere Flasche des Crianza aus Ribera und das Gaza-Thema wurde wieder aufgenommen. Im weiteren Verlauf wurden zwei der Diskussionsteilnehmer immer ruhiger und beteiligten sich kaum noch am Gespräch, während der Hausherr sich selbst immer wieder Wein nachgoss und lebhaft, engagiert redete. Nach einer weiteren Flasche ebbte die Freude am Meinungsaustausch merklich ab und man begann sich zu verabschieden, was den Gastgeber sichtlich enttäuschte, denn er war noch überhaupt nicht müde oder gar erschöpft vom kulinarischen Genuss und der kontroversen Debatte.

Obwohl alle, sowohl der Gastgeber als auch seine Gäste, an diesem Abend annähernd gleich viel Alkohol zu sich genommen hatten, zeigte er bei jedem eine deutlich unterschiedliche, pharmakologische Wirkung. Der dämpfende psychotrope Effekt war bei einigen Personen sehr ausgeprägt – sie wurden müde -, während zumindest ein Teilnehmer an der Runde keinerlei Beeinträchtigung seiner psychischen Kapazität verspürte. Offenbar hatte diese Person eine größere Alkoholtoleranz als die anderen. Unter Alkoholtoleranz versteht man die Gewöhnung des Körpers an den Alkohol und dessen Wirkung auf ihn. In manchen Studentenkreisen war, und ist vielleicht heute noch, das Vieltrinken eine Sportart, die gelegentlich sogar in Wettbewerben ausgetragen wurde. „Trinkfestigkeit“ wurde als eine positive Eigenschaft interpretiert, die Stärke, Beharrlichkeit und Ausdauervermögen signalisierte. Man konnte stolz darauf sein! Bei genauem Hinsehen ist es aber genau umgekehrt: wer große Mengen Alkohol zu sich nimmt schadet dosisabhängig seiner Gesundheit und besitzt auch eine deutlich höhere Gefährdung an einer Alkoholsucht zu erkranken.

Das Thema Alkoholtoleranz ist außerordentlich komplex und hat sehr viele Facetten. Ganz wichtig sind die individuellen psychologischen Komponenten der jeweiligen Alkoholkonsumenten. Ihre psychische Verfassung zum Zeitpunkt des Alkoholgenusses, die vielleicht von Schuldgefühlen, dass man sich zum Trinken habe verleiten lassen, geprägt sein kann  oder gar regelrechte Angstzustände aus unterschiedlichen Anlässen, mindern die Verträglichkeit von Alkohol. Auch Stress oder eine negative Empfindung gegenüber der gegenwärtigen sozialen Umgebung können ebenfalls eine Rolle spielen.. Eine depressive Grundstimmung ist sehr oft mit einer geringeren Alkoholtoleranz verbunden. Das Tückische dabei ist, dass Alkohol die depressive Gemütslage, je nach Persönlichkeitsstruktur des Betroffenen, noch verstärken kann.

Die Beobachtung, dass es Familien gibt in denen manche Mitglieder „von Natur aus“ mehr Alkohol vertragen hat schon frühzeitig zu dem Verdacht geführt, dass auch genetische Faktoren bei der Alkoholtoleranz eine Rolle spielen könnten. Tatsächlich hat ein deutsch-amerikanisches Forscherteam zunächst bei Fruchtfliegen (Drosophila melanogaster) gefunden, dass diese eine Toleranz gegen Alkohol entwickeln können. Dies ist in diesem Zusammenhang deswegen so interessant, weil diese Fliegen in ihrem genetischen Profil sehr ähnlich dem Menschen sind und sich daher für genetische Studien mit Bezug auf die Humanmedizin sehr gut eignen. Das Team um die Forscherin Henrike Scholz nimmt an, dass die Alkoholtoleranz beim Menschen durch ein bestimmtes Gen ähnlich geregelt sein könnte wie bei der Fruchtfliege. Sie haben es „Hangover“-Gen genannt, was in deutsch übersetzt etwa das „Kater-Gen“ heißen würde (Henrike Scholz et. al.: The hangover gene defines a stress pathway required for ethanol tolerance development, Nature 436:845-847, 2005). Experimentelle Untersuchungen haben gezeigt, dass die Aktivierung dieses Gens, sofern es überhaupt vorhanden ist, für die Alkoholtoleranz verantwortlich sein kann.

Die Alkoholverträglichkeit kann auch ganz wesentlich durch das Vorhandensein eines ganz speziellen Enzyms im Blut, mit Namen Aldehyddehydrogenase (ALDH-2), bedingt sein. Diese ALDH-2 hilft den Alkohol im Körper abzubauen. Eine Mutation an dem Gen kann bewirken, dass Alkohol schlechter verstoffwechselt wird und es infolgedessen zu höheren Alkoholkonzentrationen im Blut und damit zu mehr und intensiveren Nebenwirkungen kommt. Viele Volksgruppen in Asien, wie z. B. die Japaner, haben diese Genmutation und vertragen aus diesem Grund weniger Alkohol. Die gute Seite daran ist, dass sie als Konsequenz dessen auch deutlich weniger Alkoholkranke haben. Mehrere Studien haben auch gezeigt, dass, insbesondere bei Männern, das Alter eine große Rolle bei der Alkoholtoleranz spielen kann. Je älter die Person desto mehr Alkohol verträgt sie. Ob es sich dabei um einen einfachen Gewöhnungseffekt oder einen anderen zugrundeliegenden Mechanismus handelt, ist nicht bekannt.

Alkoholtoleranz bedeutet, dass aus dem Genießer oder der Genießerin ein Abhängiger oder eine Abhängige werden kann, weil die Person im Verlaufe des Trinkens immer größere Mengen an Alkohol benötigt, um gleichbleibende Wirkungen zu erzielen. Gewohnheitstrinker und auch die sog. „Quartalssäufer“ können leicht Merkmale einer körperlichen bzw. psychischen Abhängigkeit entwickeln. Aus den hier dargelegten Gründen sollten wir Alkoholtoleranz als Warnsignal einer möglichen Erkrankung nicht auf die leichte Schulter nehmen und schon gar nicht zelebrieren und bewundern.

Bleiben Sie stets neugierig …und genußbereit durstig!

 

 

 

 

 

 

 

 

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