Ein Blick in die Seele Kastiliens

Palacio de Pimentel,  Geburtshaus Philips II. in Valladolid

Die Fassade der Kirche San Pablo, Valladolid

Terra castellorum, „Burgenland“, nannte man im Mittelalter das Land, das heute – davon abgeleitet – Kastilien heißt. Im Gegensatz zum österreichischen Bundesland gleichen Namens, wo es überhaupt keine Burgen gibt, ist das spanische Kastilien tatsächliche ein Eldorado für Liebhaber von Burgen als lebendige Kulturdenkmäler.  Burgen sind Wehrsiedlungen hinter deren Mauern Menschen Schutz vor feindlichen Kriegern bzw. anderen Aggressoren suchten und sich entsprechend verteidigen konnten. Ihre Baustile und ihre Gestaltungen spiegelten nicht nur den jeweiligen Zeitgeist, sondern in hohem Maße auch die Bedürfnisse und Lebensgewohnheiten ihrer einstigen Bewohner wider. Häufig waren Burgen auch Herrensitze von adeligen Familien, die sich dann sogar nach dem Namen der Burg oder nach deren Standort nannten. Der Tatsache, dass Kastilien lange Zeit das Grenzland zum maurischen Al-Andalus war und sich den Angriffen der Muslime erwehren musste, ist die große Anzahl der Burgen in diesem Landstrich geschuldet. Andererseits gab es immer wieder lange Friedensperioden, in denen sich maurische und kastilische Kultur gegenseitig befruchten konnten. Noch lange nach der Eroberung von Al-Andalus durch die Christen (1492) wurde der Mudejarsstil, d.h. der von arabisch-stämmigen Architekten entworfene, maurische Baustil, vorwiegend in den kleineren kastilischen Städten und Burgen gepflegt. Er zeichnete sich durch gerade Linien, klare Kanten und eine sehr ästhetische, beinahe spirituelle, Schlichtheit aus. Man findet ihn innerhalb der Städte bei Wohnhäusern oder Kirchen verwirklicht und gelegentlich eben auch bei Burgen, die nach 1492 allerdiungs vorwiegend zu repräsentativen Zwecken von begüterten Familien gebaut wurden.

Das Castillo de Coca

Valladolid, die ehemalige Hauptstadt des Königreiches Kastilien und Leon ist ein hervorragender Standort für Ausflüge ins Herz von Altkastilien. Aber auch vor Ort selbst lässt sich vieles entdecken.  Der dekorative Baustil, wie er z. B. an der Fassade der Kirche San Pablo mit ihrem schönen Ensemble der Fensterrose verwirklicht ist,  wird hier als „Isabellinischer Stil“ bezeichnet, weil er sich in den letzten Jahren der Herrschaft von Isabel I, der Katholischen, herausgebildet hat . Enorm beeindruckend ist auch die Kathedrale, die auf Anordnung Königs Philips II. von dem bedeutendsten Architekten seiner Zeit, Juan de Herrera (1533 – 1597), gebaut wurde. Das beeindruckende, einfache und ornamentlose Innere hinterließ bei mir, verursacht durch seine schiere Größe und Strenge, einen gewaltigen Eindruck. Das einzige Verspielte weit und breit ist das leuchtende Retabel des französisch-spanischen Künstlers Juan de Juni ( 1507-1577) in der Apsis. Nicht weit entfernt von hier steht der  „Palacio de Pimentel“, das Haus in dem Philip II. geboren wurde. Sein berühmtes Eckfenster und ein schöner Innenhof, rundherum mit einem von Säulen getragenen Holzbalkon, verleihen dem einfachen Gebäude eine gewisse Würde. Seine Mutter, Isabella von Portugal, erzog ihn streng und ganz im Sinne kastilischer Hofetikette. Hier an seinem Geburtsort sind wir dem Mann ganz nahe, der als tief gläubiger Katholik, dem Protestantismus Martin Luthers, u. a. durch die heilige Inquisition, den Kampf angesagt hatte und gleichzeitig sein spanisches Reich zu enormer Macht und zu einer großen kulturellen und künstlerischen Blüte führte, eine Zeit, die man noch heute das „Siglo de Oro“ (goldenes Zeitalter) nennt.

Eine der ersten Festungen, die man außerhalb der Stadt in süd-westlicher Richtung zu sehen bekommt, ist die Zitadelle von Simancas. Sie war am Beginn des 1. Jahrtausends der Ort von Kämpfen zwischen den christlichen und maurischen Heeren. 1563 hat Philip II. hier das Generalarchiv seines Königreiches untergebracht, dort findet man Dokumente über die Rechte und Pflichten des Monarchen sowie alles Mögliche zur Reichverwaltung. Philip II. war ein misstrauischer und penibler Bürokrat, der alles aufschreiben und sammeln ließ um ihm jederzeit die Kontrolle seiner Anordnungen zu ermöglichen. Den Gegensatz zum schlichten und demutsvollen Baustil der frühen Festungen, wie er sich in Simancas manifestiert hat, prahlt die Burg von Coca mit einer fast auf die Spitze getriebenen Ornamentierung des gesamten Backsteinbauwerkes. Manches erscheint mir etwas übertrieben manieristisch und trotzdem erzeugt es Erstaunen über die große handwerkliche Backstein-Kunst der Baumeister. Simancas und Coca sind die Eckpfeiler über denen sich der ästhetische und emotionale Bogen spannt, der meine Tiefe Bewunderung der Geschichte Kastiliens mit seinen wehrhaften Burgen verbindet.

Erwähnen muss ich noch das mystische Tordesillas, das Städchen am Duero, wo Johanna die Wahnsinnige (1479 – 1555), als vermeintlich psychisch Kranke in einem Kloster gefangen gehalten wurde bis sie sich auf den Weg nach Granada, zu ihrer letzten Ruhestätte, aufmachen durfte. Tordesillas wurde aber vielleicht noch bekannter durch den 1494 von den Königen Spaniens und Portugals unterzeichneten Vertrag, der die Teilung der Neuen Welt jenseits des Atlantik zwischen den beiden Ländern, – einschließlich aller damals noch nicht entdeckten Regionen – entlang einer imaginären Nord-Süd-Linie, besiegelte.  Deswegen spricht man heute u.a in Brasilien Portugiesisch und in den anderen Ländern Lateinamerikas Spanisch. Das Haus am Stadtrand, in dem die Vertragsunterzeichnung stattfand, hoch über dem Duero-Fluss mit Blick in die unendliche Weite der kastilischen Ebene,  erzeugt bei mir angesichts seiner Geschichte ein wenig Gänsehaut.

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