Der betonierte Wein

Beton-Ei im Versuchskeller der LWG (aus der im Text zitierten Publikation der LWG, Veitshöchheim)

Als langjähriger Beobachter der Szene habe ich im Laufe der Jahre bei Produktion und Vermarktung von Wein viele Trends kommen und wieder gehen sehen und darüber berichtet. Mein heutiges Thema, der Gebrauch von Beton-Eiern bei der Vinifikation, ist zwar nicht mehr brandneu, aber dennoch eine Nische geblieben, die von einigen wenigen Winzern enthusiastisch aufgegriffen wurde. Von was reden wir beim Beton-Ei? Es ist ein Behälter mit einem Fassungsvermögen von etwa 500-1.000 Litern aus einem besonderen Beton, der ohne Innenverkleidung in der Form eines großen Eies produziert wird und als Ersatz für das Barrique zur Reifung des Weins dienen soll. Die Porosität des Betons soll durch seine kontrollierte Durchlässigkeit für Luft, ähnlich dem Holz, für eine dosierte Oxydation des Weins sorgen, ohne den Holzgeschmack des Barriques zu vermitteln. Das Fehlen von Ecken innerhalb des Eis sollte dessen Reinigung erheblich vereinfachen. Beton ist ausserdem ein guter Thermosbehälter.

Unter Weinmachern findet man nicht selten Esoteriker, d.h. Personen, die einem gewissen Spiritualismus huldigen. Dies hat vermutlich etwas mit dem Produkt selbst zu tun: Biodynamischer und bioenergetischer Weinbau gehören nicht nur bei Anthroposophen zum Alltagsgeschäft sondern sind auch bei einigen weltanschaulich eher neutralen Winzern akzeptierte Routine im Rebbau. Beim Konsumenten war der Wein schon seit Urzeiten ein Medium für die Verbindung mit den Göttern, davon zeugen die Rituale mancher Religionen und viele Künstler, die dieses Thema bei ihren Werken aufgegriffen haben. Auch die Form des Eies hat einen metaphysischen Bezug, es zeigt die Proportionen des „Goldenen Schnitts“, also jene Gestaltungsregel, die als besonders harmonisch empfunden wird und die deswegen in der Kunst gelegentlich der „Atem Gottes“ genannt wird. In wie weit die geometrische Form des Gär- oder Reifungsbehälters beim Wein überhaupt organoleptische Spuren hinterlassen kann, ist bis heute wissenschaftlich noch eine völlig offene Frage in der Önologie.

Das Material Beton ist ein vom Menschen hergestellter Stein mit langer Geschichte. Bereits die Römer verwandten das „opus caementitium“ (auch „concretum“ genannt) als Baumaterial. Hergestellt wird der Stein aus Zement, sogenannter Gesteinskörnung (meist Sand oder Kies), Wasser und eventuell noch anderen Zusätzen. Die Masse ist also zunächst zähflüssig und kann in jede beliebige Form gegossen werden bevor sie sich verfestigt und zu einem Gegenstand mit sehr hoher Druckfestigkeit wird. Als Grundmaterial für große, kubische Aufbewahrungs- und Reifetanks in Kellereien ist Beton bereits seit dem frühen 20. Jahrhunderts in der Anwendung. Da es sich bei diesem Material um ein chemisch komplexes System handelt, welches von Säuren, insbesondere auch solchen, die im Wein vorkommen, angegriffen wird, wurden die alten Tanks innen mit schützenden Glasplatten, Emaille oder Epoxidharz ausgekleidet. Beton-Eier sind innen nicht beschichtet, was zu einer massiven Entsäuerung des Weines führen kann. Daher wird im Allgemeinen in der Kellerei vom Weinmacher erst eine Schutzschicht aufgebaut. Dies geschieht mit Hilfe einer Mischung von Weinsäure und Wasser, die die Innenfläche des Eies mit Calciumtartrat-Kristallen auskleidet und so die Betonoberfläche vor den Säuren des Weines schützt. Aber der chemische Austausch läuft auch in die andere Richtung: vom Beton zum Wein. So werden u. a. vermehrt Eisen-Ionen im Beton-Ei-ausgebauten Wein nachgewiesen. Diese können bei Sauerstoffkontakt Trubstoffe bilden und das Alterungsverhalten des Weins sehr negativ beeinflussen. Besondere Vorsicht scheint mir geboten, wenn in Kellereien der neueste Hype praktiziert wird: der Gebrauch von völlig unbehandelten Roh-Beton-Eiern. Da sind viele Fragen, der physiko-chemischen Interaktionen zwischen Wein und Beton, genau wie deren gesundheitliche Aspekte; noch ungeklärt.

Anders als beim Roh-Beton ist der Ton als steinernes Behältnis für Wein (Amphoren) seit Jahrtausenden in Gebrauch und seine Eigenschaften sind gut bekannt. In einer wissenschaftlichen Studie zu Beton-Eiern in der Kellertechnik ist die Bayerische Landesanstalt für Weinbau und Gartenbau im fränkischen Veitshöchheim zu einem ziemlich vernichtenden Urteil gekommen: Die eiförmigen Betonbehälter bringen erhebliche hygienische Probleme mit sich, zeigen weder die postulierte Mikrooxydation noch ein verbessertes Klärverhalten des Weins. Wein greift den Beton an wobei z.T. unerwünschte Fremdstoffe in den Wein gelangen können. Dazu kommen Probleme der Lebensmittelüberwachung, Schwachstellen bei den Herstellungsverfahren der Behälter sowie Unwegsamkeiten beim Arbeitsschutz. Schließlich urteilt die bayerische Behörde eindeutig: „Unter rationalen Gesichtspunkten kann auf Behälter aus ungeschütztem Beton sehr gut verzichtet werden“.

Als weiteres Argument gegen die Beton-Eier bei der Vinifikation kommt deren extrem schlechte Umweltbilanz hinzu. Ein 500 Liter-Ei wiegt ca. 900 Kg. Unter dem Aspekt der Nachhaltigkeit bzw. des CO₂-Fußabdruckes ist ein Beton-Ei erheblich schlechter als Edelstahl oder Holz. Es sind die Unmengen Zement, die für die Betonherstellung erforderlich sind, und deren Produktion wiederum für den Kohlenstoffdioxyd-Ausstoß verantwortlich ist. Man hat berechnet, dass die weltweite Zementproduktion viermal so viel CO2 in die Luft bläst wie der gesamte globale Flugverkehr. Da auch geschmacklich der Wein, außer vielleicht bei denen die daran glauben, keine besonderen Alleinstellungsmerkmale zeigt, kann man wohl aus all den hier aufgezeigten Gründen, die Geschichte mit den Beton-Eiern auf sich beruhen lassen.

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