Thanatos und Eros in Musik und Wein

Thanatos und Eros auf dem Friedhof von Hamburg-Ohlsdorf. Foto: Christine Behrens in der Zeitschrift für Trauerkultur Ausgabe Nr. 85, II, 2004

Die geistige und emotionale Verzahnung von Musik mit dem Tod (dem mythologischen „Thanatos“) ist ein von fast allen Komponisten bearbeitetes Feld. Fast immer ist die Trauer das große Thema und damit steht nicht der Tod im Focus sondern die Hinterbliebenen des oder der Verstorbenen. Die Toten selbst trauern natürlich nicht mehr, es ist der Verlust ihrer Gegenwart der die „zurückgelassene“ Gemeinde schmerzt. Wir sprechen daher von „Trauermusik“, die dazu dienen soll die Trauer leichter zu verarbeiten. Eine gewisse Popularität haben in diesem Zusammenhang die sog. „Trauermärsche“ gewonnen, unter denen diejenigen von Richard Wagner, Frederic Chopin, Ludwig van Beethoven und Franz Schubert besonders hervorstechen und auch bei politisch motivierten Beerdigungsfeiern ge- bzw. miss-braucht werden und wurden. Der schier unendlich große Schatz von klassischen Trauerliedern wird von den verschiedenen komponierten „Ave Marias“ angeführt. Aber auch die Popmusik verfügt über ein großes Arsenal von Liedern mit der gleichen Intention. Das schönste ist, meiner Meinung nach, „Candle in the Wind“ von Elton John in der Version von 1997, das er der verstorbenen Prinzessin Diana gewidmet hatte.

Schließlich gibt es noch ein weiteres Genre von Musik, welches sich mit dem Tod befasst: Musik für alle Lebenden, die sich spirituell bzw. gefühlsmäßig mit dem Tod auseinandersetzen. In vorderster Front gehören dazu die großen Requiems, derer es seit der Renaissance (Orlando di Lasso und Palestrina) in jeder Musikepoche sehr viele gibt. Meine Favoriten gehören, außer dem Wolfgang Amadeus Mozarts, zur Spätromantik: Johannes Brahms und Giuseppe Verdi. Ein Werk in dem sich der Komponist auf eine ganz besondere und zugängliche Art mit dem Tod auseinandersetzt ist „Crisantemi“, eines der kleinsten und berührendsten Werke Giacomo Pucchinis, mal nicht für die Bühne sondern für ein Streichquartett geschrieben. Dieses kleine Meisterwerk wurde 1890, in der Nacht komponiert als Pucchini kurz vorher vom Tod seines 45-jährigen Freundes Amadeo von Savoyen, dem Herzog von Aosta und von 1871 bis 1873 als Amadeus I. König von Spanien., erfahren hatte. Er nannte es „Chrysanthemen“, die auch in Italien klassische Friedhofsblumen sind. Es ist nur ein etwa sechsminutiges, einsätziges Stück, ein mit einem groben Pinsel gemaltes, expressionistisches Tongemälde. Kein Aufschrei der Gefühle sondern ein Seufzer, erfüllt mit tiefer Trauer, der sich um zwei melancholische Themen rankt. Dieses voll aus sich selbst heraus lebende Musikstück bedarf keiner komplexen Analyse, es ist was es ist, nämlich eine intime Klage, nicht mehr aber auch nicht weniger.

Grundsätzlich hat die Musik selbst von ihrer Dynamik her viel Ähnlichkeit mit Leben und Tod: sie bewegt sich, langsam oder schnell, legt Pausen ein, wird laut und leise und steuert unaufhaltsam auf ihr Ende zu. Irgendwann ist das Musikstück unwiederbringlich vorbei und kann nicht mehr in genau gleicher Form zum Leben erweckt werden. Weil dies so ist, ist die Musik die Kunstrichtung in der häufiger als in anderen Künsten der Tod ein offen angesprochenes oder verstecktes Thema ist.  Ich bin mir sicher, dass beim Thema Tod in der Musik auch ein zweites Sujet mit hineinspielt, nämlich die Liebe, der mythologische „Eros“. Sie ist Teil der Trauer, denn der Trennungsschmerz beim Tod eines geliebten Menschen und das damit assoziierte Leid der Hinterbliebenen sind ohne die Liebe, oder zumindest ohne Bindung, kaum vorstellbar. Liebe und ihr Zerreißen durch den Tod ist ein weltweit erfahrbares Erlebnis im Leben der Menschen und kommt ganz universell auch in jeder Musikkultur vor.

In früheren Jahrhunderten war der Tod den Menschen ständig vor Augen. Aufgrund der geringen Möglichkeiten medizinischer Diagnostik und Therapie starb man häufig jung, lange bevor man alle Genüsse des Lebens ausgekostet hatte. Dies musste zwangsläufig zu einer ganz anderen Lebensauffassung führen als der, die wir heute kennen. Da jeder Tag der letzte sein konnte, versuchte man ihn zu genießen. Weil die äußeren Umstände dies aber aus materiellen oder sozialen Gründen meist nicht zuließen, verfiel man nur allzu gerne dem Weinrausch und den damit verbundenen, lebensbejahenden Illusionen. Wie er auf Gedeih und Verderb an den Menschen gebunden war, zeigen einige abergläubische Vorstellungen wie der Wein beim Tode eines Menschen reagiert. In manchen Regionen wurdee geglaubt, dass man bei einem Sterbefall im Hause das Weinfass im Keller beklopfen oder rütteln müsse um ein sofortiges Verderben seines Inhalts zu vermeiden, denn auch der Wein war lebendig und trauerte! Wein als Totenopfer war ebenso verbreitet. Es gab die Vorstellung, dass der Tote im Totenreich gut versorgt sein sollte. In Europa gab es vielerorts die Sitte entweder in das ausgehobene Grab Wein zu gießen oder das fertige Grab mit Wein zu besprenkeln. Aus Slowenien ist bekannt, dass man noch um 1820 einem Toten einen Laib Brot und eine Flasche Wein, gleichsam als Zehrung auf dem Weg ins Paradies, unter den Kopf legte. Beim Leichenschmaus gab es schließlich auch immer reichlich Wein und Musik für die Hinterbliebenen!

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