Mit Sinnsprüchen, die der Abwechslung im Leben huldigen, könnte man Bücher füllen. Sie alle gehen irgendwie zurück auf den antiken „Orestes“ des Euripides (ca. 480 – 406 v. Chr.), in dessen lateinischer Übertragung der schlichte Aphorismus „variatio delectat“ (Abwechslung erfreut) zu finden ist. Was damit gemeint sein könnte, das hat uns Hermann Hesse (1877 – 1962) später noch näher erläutert: „ich bin ein Verehrer der Untreue, des Wechsels, der Phantasie. Ich halte nichts davon, meine Liebe an irgendeinen Fleck der Erde festzunageln. Ich halte das, was wir lieben, immer nur für ein Gleichnis. Wo unsere Liebe hängenbleibt und zur Treue und Tugend wird, da wird sie mir verdächtig“ schrieb er um 1917 in „Die Wanderung“. Obwohl ich diese Einsicht seit meiner Jugend immer geteilt habe, sind mir ihre Schattenseiten auch öfter begegnet: unter „der Qual der Wahl“ habe ich bei vielen Gelegenheiten gelitten. Sich für eine unbekannte unter lauter unbekannten Alternativen entscheiden zu müssen, gehört oft genug zu den Stresssituationen des Lebens. Kriterien festlegen um die zur Verwirklichung des eigenen Ziels beste Option zu finden muss zwangsläufig am Beginn eines jeden Entscheidungsprozesses stehen. So ist es beim Einkauf von Kleidung, Lebensmitteln, Büchern und natürlich auch Wein.
Der Wunsch sich einen guten Wein zu leisten sollte zunächst, neben der Farbe, das Herkunftsland in Betracht ziehen. In Deutschland wurden im Jahr 2020 etwa 2 Milliarden Liter Wein, mit Schwerpunkt Weißwein, konsumiert aber im gleichen Zeitraum nur 900 Millionen Liter im Land hergestellt (www.deutschweine.de). Daraus ergibt sich rein rechnerisch, dass ein erheblicher Teil des Weinkonsums durch Importe gedeckt werden muss. Und tatsächlich werden im Jahr etwa 1,2 Milliarden Liter Wein, allerdings mit Schwerpunkt Rotwein, aus der ganzen Welt importiert. Dabei reicht das Spektrum der Herkunftsländer von den großen Produzenten Italien, Spanien und Frankreich bis zu den Öno-Winzlingen Israel, Libanon und Tschechische Rebublik. Es ist sicher korrekt zu behaupten, dass das Weinangebot in Deutschland die ganze Vielfalt der Weinkultur unserer Welt widerspiegelt. Da zu vielen Weinregionen und ihren „terroirs“ dem Durchschnitts-Weinfreund meist nur sehr spärliche bis gar keine Informationen verfügbar sind, hinkt der Absatz von „Exoten“-Weinen erheblich hinter dem „Mainstream“ her, bildet aber einen interessanten Genuss-Pool für Abenteuerlustige.
Neben der Herkunft und der Frage nach ökologischem Rebbau bzw. ökologischer Kellertechnik, spielt die Machart des Weines für die Kaufentscheidung eine wichtige Rolle. Ich möchte an dieser Stelle von sog. Likörweinen und von anderen Spezialitäten absehen und mich nur auf die klassische Vinifikation beziehen. Bei der Vergärung des Mostes kann der Winzer Reinzuchthefen oder die natürlichen Weinbergshefen in den unterschiedlichsten Gärbottichen verwenden und alles wird einen Einfluss auf den späteren Wein in der Flasche haben. Beim nachfolgenden Ausbau bzw. Reifungsprozess des Weins in der Kellerei spielen wieder die Gefäße in denen diese Prozesse ablaufen, eine ganz wichtige Rolle. Neue bzw. gebrauchte Barriques vermitteln, je nach Alter und Herkunft der Fassdauben, unterschiedliche Holznoten. In Glas-, Ton- oder Betonbehältern gereifter Wein verfügt über einen ganz anderen Charakter und schliesslich spielt auch die Dauer der Reifung vor der Abfüllung und letztlich auch in den Flaschen eine nicht unerhebliche Rolle. Alleine die wenigen, hier genannten Parameter, die die Persönlichkeit eines Weines mitbestimmen, können die Kaufentscheidung für eine bestimmte Flasche bedeuten und zeigen damit die ganze Komplexität dieses Vorgangs.
Angehende, junge Manager und Managerinnen lernen in ihren Seminaren zur Entscheidungsfindung eine sog. „Entscheidungsmatrix“ zu erstellen, in der alle Optionen und Kriterien gewichtet werden um dann mit einer einfachen Formel eine annähernd rationale Entscheidung zu „berechnen“. So kompliziert kann man beim Weineinkauf natürlich meist nicht vorgehen, sondern muss sich auf sein Bauchgefühl verlassen. Erstaunlicherweise ist die eigene Intuition immer noch einer der besten Ratgeber beim Weineinkauf. Das rationale Vorgehen birgt die Gefahr in sich, dass man die verschiedenen Kriterien so lange gegeneinander abwägt, bis jede Klarheit verloren gegangen und man zu keiner Entscheidung mehr fähig ist. Das Bauchgefühl hingegen ist schnell verfügbar und berücksichtigt die eigene Persönlichkeit und die spezifischen Erfahrungen mit Wein und weiss recht gut, was zu mir und meiner jeweiligen Situation passt. Auch beim Weinkauf muss man allerdings lernen, seinem Bauchgefühl zu vertrauen.
Das Bauchgefühl kann Unterstützung bekommen: einerseits von professionellen Weinkritikern und deren publizierten Ansichten und andererseits von Bekannten und befreundeten Weinenthusiasten. Wie ich zu den Weinkritikern und deren Meinungen in den Medien stehe, habe ich schon vor längerer Zeit deutlich gemacht. Heute verlasse ich mich viel mehr auf das Urteil von Menschen, deren Liebe zum Wein und Geschmack für seine sinnlichen Freuden mir persönlich bekannt sind. Dabei bin ich im Großen und Ganzen immer sehr gut gefahren und habe manchen aussergewöhnlichen Tropfen entdecken dürfen!