Geschichte der Önologie: der Wein-Arzt von 1753.

Titelblatt des „Wein-Arztes“

Bis ins 19. Jahrhundert war erschreckend wenig über das tatsächliche Geschehen während des Weinmachens bekannt. Sowohl die Griechen als auch später die Römer haben ihre Weine immer jung getrunken, denn lange Lagerung war naturgemäß regelmäßig mit dem Auftreten von Weinfehlern verbunden. Erst als Louis Pasteur  ab ca 1850 Licht in den Vorgang der Gärung brachte und Fäulnis-Bakterien als Ursache für das Verderben des Weins erkannte, begann die Periode des wissenschaftlich orientierten Weinmachens. In den  vorangegangenen  Jahrhunderten versuchten viele Autoren immer wieder das Wissen um das Weinmachen systematisiert darzulegen. Einer von diesen war „der curieus- und offenhertzige Wein-Arzt, das ist: Sicher und unschädliche Mittel, wie man dem Wein von der Kelter an, sorgfältig warten, wann er zu Schaden gekommen, ihm wieder helffen, und den  Einheimischen in Fremde und andrere Weine verwandeln könne“ geschrieben und 1753 in „Franckfurt und Leipzig“ von einem „Liebhaber der Oeconomischen Wissenschafften“ publiziert. Die Identität des anonymen Verfassers war mir leider nicht möglich herauszufinden, obwohl die Vorrede immerhin mit den Anfangsbuchstaben E. L. W als Autor gekennzeichnet ist. Der in meinem Besitz befindliche Nachdruck der Originalausgabe wurde in der Reihe „Die bibliophilen Taschenbücher“ 1984 herausgebracht. Auf der Titelseite findet sich, neben dem obigen „Titel“, der einer Inhaltsbeschreibung gleichkommt, noch eine Art weitere Inhaltsangabe, nämlich: „Nebst einem anhand von etlich hundert bewährt und nützlich-öconomisch-physisch-magisch-und medicinischer Kunst-Stücke welche einem jeden sorgfältigen Hauß-Vatter zum Nutzen zusammen getragen und einem bequemen Register versehen worden“. Innerhalb der gleichen Buchdeckel befindet sich noch ein zweites Buch vom selben Autor und Publikationsjahr („der sich und die Seinigen geschickt zu curieren wissende Land- und Bauersmann“). In ihm sind über 300 medizinische und hauswirtschaftliche Anweisungen und Rezepte sowie jene erwähnten 100 „nützlich-curieuse Kunst-Stücke„, darunter auch 35 Seiten über den Umgang mit Bienen, enthalten. Dieser zweite Teil offenbart die Herkunft und Interessen des Autors. Wir dürfen nicht vergessen, dass wir uns mit diesem Buch mitten in der Epoche der Aufklärung befinden, in der die Frage nach dem „Warum“ zur starken Triebfeder der Naturwissenschaften geworden ist.

Ein wissenschaftliches Werk im heutigen Sinne ist der „Wein-Arzt“ allerdings in keiner Weise. Er wendet sich an die in seiner Zeit vermutlich große Zahl der Heimwinzer, die sich ihr allabendliches Getränk selbst herstellen bzw. in kleinen Quantitäten damit Handel betreiben. Entsprechend kurz geht der Autor auf die Kellertechnik (Cap. I.) ein („Wie das Gefässe und der Keller beschaffen seyn soll, ingleichem wie mit dem Most und dem neuen Wein zu verfahren.“) Im Cap. II. ist „vom Weine, wie solcher tractirt und probiret wird“ die Rede. Eine Kostprobe des geringen Wissensstandes um das Produkt Wein in jenen Tagen finden wir z. B. in dem Abschnitt „Das Wasser aus dem Wein zu ziehen“. Da liest man erstaunt „Wann in der Weinlese oder Herbst Regen-Wetter einfället, und der Most viel Wasser bekommet, kann es also geschieden werden: Thue den Wein nach der ersten Vergährung in ein ander Faß, so bleibet das Wässerichte, wegen seiner Schwere und Grobheit, am Boden liegen.“ Der Verfasser ging offenbar davon aus, dass Wasser und Wein zwei von einander unterschiedliche Flüssigkeiten waren, die verschiedene physikalische Eigenschaften haben mussten. Dass Wasser ein wesentlicher Bestandteil des Weins war und in ihm lediglich all die anderen wein-spezifischen Bestandteile gelöst waren, lag wohl jenseits der Vorstellungskraft der Weinfreunde im 18. Jahrhundert. Der Wein war rein! Dagegen war das kommerzielle Talent der potentiellen Weinverkäufer schon voll auf der Höhe auch unserer Zeit. In dem Abschnitt „Wie man die Weine probieren soll, ob sie beständig seyn oder nicht, wenn man sie kauffen will“ steht geschrieben „Wer Weine verkauffen will, der soll sich biefleißigen, daß er ein schön lauter Gläßlen habe, darinnen der Wein eine schöne Farbe zeiget, und das soll geschehen, wenn der Himmel klar ist, so ist der Wein an der Farbe und am Geschmack am allerbesten.“ So oder ähnlich verfährt ein guter Weinhändler noch heute!

Großen Raum nehmen die Verschiedenen Methoden zur Verbesserung und Wiederherstellung verdorbener Weine ein. Das Prinzip ist immer das gleiche: man nimmt Gewürze oder Kräuter, wie Hopfenblüten, Beifußsamen, Nessel-Kraut, Wacholder, Bittermandeln. Ingwer, Vermouth-Kraut oder andere und hängt sie in einem Stoffsäckchen in den Wein. Auch über den Gebrauch von Schwefel lässt sich der anonyme Autor in aller Breite aus.  Das Cap. III ist überschrieben „Andere und fremde Weine zu machen“. Hier erfahren wir nicht nur wie man aus Rot- Weißwein und umgekehrt aus Weiß- Rotwein macht sondern auch so kuriose Rezepte wie „Goldfarben Wein vor vornehme Herren zu machen“. Schliesslich, wie geht es „Spanischen Wein zu machen“? Ganz einfach: Indischer Pfeffer (Kubeben) wird in Branntwein mazeriert, dann gibt man zerstossenen  Weinstein (wozu?) und den Wein dazu, lässt das Ganze 14 Tage in der Wärme stehen und fertig ist der spanische Wein. Dies Rezept zeigt, wie Weinfreunde im 18. Jahrhundert den in Deutschland eher selten ausgeschenkten spanischen Wein empfunden haben mögen. Der „Wein-Arzt“! ist eine kulturhistorische Fundgrube für jeden, der Freude an der Geschichte des Weins hat!

Aus Gründen der leichteren Lesbarkeit meiner Texte wähle ich, traditionsgemäß, die männliche Form. Die Formulierungen beziehen sich in aller Regel jedoch auf Angehörige aller Geschlechter, die ich damit in keiner Weise diskriminieren möchte!

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