Ein kleiner Beitrag zur MeToo-Debatte

„Frauenrechte“: selbstbeschreibende Karikatur aus dem niederländischen „Uilenspiegel“, 1873

Bereits während der Französischen Revolution (1789 – 1793) wurden von den sog. „Frauenclubs“ volle Bürgerrechte für Frauen gefordert. Allerdings dauerte es bis ins 20. Jahrhundert, dass es zu einer gesetzlich garantierten Gleichstellung von Mann und Frau kam und die Frauen das Wahlrecht erhielten. Am 23. Mai 1949 trat das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland in Kraft. In Artikel 3 Absatz 2 Satz 1 der neuen deutschen Verfassung steht seitdem kurz und bündig geschrieben: „Männer und Frauen sind gleichberechtigt.“ Für genau jene fünf Worte hatten Generationen von Feministinnen gekämpft. Nun standen diese Buchstaben zwar auf dem Papier, aber in der Lebenswirklichkeit der Gesellschaft war ihr Inhalt deswegen noch längst nicht angekommen. Die Gesellschaft blieb, wie eh und je, patriarchalisch strukturiert. Die Dominanz der Männerwelt nahm weiterhin viele, z.T. auch sehr bizarre, Formen an und fast immer kam die gleichzeitige Herabsetzung der Frau in ihrer Beziehung zur Gefühls- und Geisteswelt des Mannes hinzu. Überhaupt, nichts schien sich in der Sichtweise des Mannes geändert zu haben, die die Frau weiterhin als frei verfügbares Erotik- oder Sexualsubjekt wahrnahm.

Die berüchtigten Namensregister des Leporello in Mozarts Oper „Don Giovanni“ hatten Eintritt in die Phantasiewelt der jungen Machos überall auf der Welt gehalten und das Selbstwertgefühl der Jungens war direkt proportional der Länge der eigenen Liste mit „vernaschten“ Frauen. Was von den meisten Frauen berechtigterweise als unziemliche Belästigung empfunden wurde, war in den Augen sehr vieler Männer ein harmloser Annäherungsversuch, mit dem sie glaubten die Frauen zu sexuellen Handlungen verführen zu können. Wenn dann noch das Gefälle in der Machtstruktur zwischen Mann und Frau bzw. die physische Übermacht als Handlungsantrieb von Seiten des Mannes hinzukam, wurde die Situation für die Frau  nicht selten mehr als unerträglich.

Mit der Geburt der MeToo-Bewegung bekamen die vermeintlichen Aggressoren dann Namen: Harvey Weinstein, Roman Polanski, Julian Assange, Dieter Wedel oder Plácido Domingo waren prominente Beispiele an denen sich die Diskussion immer wieder entzündete. Damit wurde das breite Thema „sexualisierte Gewalt gegen Frauen“ ins öffentliche Bewusstsein gerückt. Über strafbare Handlungen wie Vergewaltigung oder sexuelle Nötigung brauche ich hier nicht zu reden, sie gehören ohne Umschweife in die Gerichtssäle unseres Rechtsstaates. Viel wichtiger für den gesellschaftlichen Zusammenhalt der Geschlechter untereinander sind aber jene Grenzfälle, über die man eigentlich nicht unbedingt reden möchte, die als Kavaliersdelikte oder als erotische Annäherung im Sinne eines Flirts abgetan werden, deren Wurzeln aber letztendlich auch aus potentieller Gewaltanwendung und männlichem Überlegenheitsgefühl erwachsen können. Was davon kann und muß unsere Gesellschaft tolerieren?

Um diese Frage beantworten zu können, müssen wir, glaube ich, analytischer denken, um wirklich herauszufinden was die Opfer gewaltsam-sexueller Annährungsversuche empfunden und wie sie den Aggressor als menschliches Gegenüber erlebt haben.  Aus dem Verhalten Plácido Domingos kann man vielleicht gewisse Rückschlüsse ziehen und daraus lernen. Wie wir in den relevanten Aussagen der Opfer gehört haben bestanden seine Übergriffe aus „aufgezwungenen Küssen und unerlaubtem Streicheln und Begrapschen“. In manchen europäischen Kulturen sind genau solche Handlungen voll innerhalb einer soziologischen Gruppe sanktioniert: man denke an den, recht ekeligen, sozialistischen Bruderkuss oder das regelmäßige Anfassen stehend diskutierender Männer untereinander in Südeuropa. Geschlechterübergreifend darf das nicht sein? Domingo hat sich bei seinen Opfern entschuldigt: „Ich erkenne die volle Verantwortung für meine Taten an“ soll er sich geäußert haben. Wäre das nicht eine gute Voraussetzung für einen juristischen Täter-Opfer-Ausgleich, wie er im Strafrecht ja bekanntklich vorgesehen ist, vorausgesetzt die Opfer wären auch bereit dazu? Vielfach ist ja ebenso der Täter in gewissem Sinne ein Opfer, nämlich Opfer seiner eigenen Triebe oder vermeintlicher (weil längst nicht mehr zeitgemäßer) Macho-Konventionen. Ein Gedankenaustausch darüber könnte wahrscheinlich therapeutische Wirkung haben.

Das in der Tierwelt weit verbreitete „Balzverhalten“ gibt es ganz offensichtlich in der Psychologie unserer Spezies auch, allerdings in deutlich abgeänderter Form. Das maskuline Imponiergehabe mit schnellen Autos, verantwortlicher Stellung im Beruf und dickem Bankkonto entspricht in etwa der Balz des radschlagenden Pfaus, dessen ausgeschlagene Federkrone dem Weibchen zu sagen scheint: „Lass mich Dich jetzt nehmen!“. Demgegenüber „balzen“ die Frauen, wie im Tierreich die Männer, viel intensiver mit körperlichen Reizen als dies Männer je tun würden. Sie tragen teuren, auffälligen Schmuck, schminken sich aufwendig, lassen sich schöne, körperbetonende Kleider entwerfen und beträufeln sich mit wohlriechenden Parfüms. Was der Mann, der auf eine sich derartig äußernde Frau trifft, leider manchmal überhaupt nicht versteht, ist, dass unter human-soziologischen Bedingungen diese weibliche Balz nicht unmittelbar dem vordergründigen Zweck Nachkommen zu generieren dient, sondern meist nur eine narzisstische Äußerung der femininen Persönlichkeit ist und keine sexuelle Aufforderung bedeutet. Diesem gravierenden Kommunikationsfehler, dem bislang die Gesellschaften in der gesamten westlichen Welt erlegen waren, sind vermutlich viele der von der MeToo-Bewegung angeprangerten maskulinen Entgleisungen geschuldet. Kann hier eine Bewusstmachung Schritt für Schritt die längst fällige Zeitenwende einleiten? Zu hoffen wäre es!

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