Die Liebe begann mit Jazz

Louis Armstrong (Pixabay)

Die raue, rauchige Stimme von Louis Armstrong und die ungezügelten Rhythmen mit den glasklaren Tönen seiner Trompete faszinierten mich als 13-jähriger Junge dermaßen, dass ich mir das damals gerade erschienene „Jazzbuch“ von Joachim-Ernst Berendt besorgte. Dieses Taschenbuch und ein kleiner Philips-Koffer-Plattenspieler waren für mich das Tor in eine faszinierende Welt der Töne, den Jazz. Gleichzeitig damit wurde der Wissensdurst für die Geschichte dieser Musik angeregt. Meine Begeisterung konnte selbst von der unerhörten Bemerkung meiner Mutter, dass dies ja „Negermusik“ sei, nicht geschmälert werden (welches rassistische Gedankengut dahinter steckte, ahnte ich damals natürlich noch nicht). Mein Musikempfinden wurde zunächst vom Jazz geprägt und das erzeugte in meiner Pubertät ein ganz besonderes Lebensgefühl. Ich empfand bei diesen Tönen Freiheit, Unabhängigkeit und eine gewisse Eigenständigkeit und spürte deutlich, dass ich ohne Musik nicht würde leben mögen. Ich wollte unbedingt Musiker werden!Zu einem Geburtstag, es mag der 15te gewesen sein, bekam ich von einem Onkel eine Schallplatte mit Mozarts „kleiner Nachtmusik“ geschenkt. Dies war der zaghafte Beginn einer bis zum heutigen Tag andauernden Liebe und Freundschaft zu Mozart und seiner göttlichen Musik. Die kleine „Symphonie“ sei eine Ikone der klassischen Musik habe ich später gelesen und der Musikwissenschaftler Ulrich Konrad schrieb noch vor kurzem (2013) in DIE ZEIT: „Wenn Intelligenz klingen könnte, dann so wie in der Kleinen Nachtmusik“. Es war also keine schlechte Wahl meines Onkels! Das Verlangen Musiker zu werden hielt bis in die Studentenzeit an, ich hatte Klavierunterricht und komponierte selbst eine kleine Melodie, die der Dirigent Hans Schmidt-Isserstedt, ein guter Freund meiner Eltern, als romantischen Jugendquatsch abkanzelte. Das war dann das abrupte Ende meiner aktiven Musikerkarriere.

Was mich schon bei meiner Beschäftigung mit dem Jazz interessierte, sollte sich bei meinem Interesse für klassische Musik fortsetzen: die Begeisterung für die Geschichte dieser Kunstform. Die Musik ist die emotionalste aller Künste und trotzdem steht sie der unemotionalsten aller Wissenschaften, der Mathematik, sehr nahe. Schon Pythagoras hatte erkannt, dass Töne, die zusammen als harmonisch wahrgenommen werden bestimmten mathematischen Regeln unterliegen. Johann Sebastian Bach war ein Meister dieser „Geheimbotschaften“ in seinen Partituren und animierte damit Generationen von Musikforschern. Da liegt es doch irgendwie nahe anzunehmen, dass die Musik auch die Mathematik emotionalisieren kann. Gefühl gewordene Mathematik – ist das etwa tatsächlich eines der großen Geheimnisse der Tonkunst? Zugegeben, ich selbst habe beim begeisterten Hören eines Musikstücks noch nie an Zahlen gedacht. Das musikalische Erlebnis, egal ob Jazz oder Klassik, war für mich frei von mathematischen Fesseln, die in meiner romantischen Sichtweise die Entfaltung von Geist und Emotion behinderten.

Wichtiger als die Form und die Technik ist mir der Zeitgeist aus dem heraus die Musik entstanden ist und da bin ich dann bei der Geschichte. In den Zigarettenrauch- und Whiskey-Duft geschwängerten Bars und Spelunken von New Orleans des ausgehenden 19. Jahrhunderts fanden die Premieren von „Basin Street Blues“ und „When The Saints Go Marching In“ statt und begeisterten das Publikum aus den Armenvierteln der Vorstädte. Im Grunde geschah nichts anderes in den Wiener Gesellschaftsssälen der Adligen am Ende des 18. Jahrhunderts wo die gepuderte und Perücke-tragende Hautevolee in ihren Rüschenbesetzten Kleidern der Premiere von Mozarts d-Moll Klavierkonzert beiwohnte. Die Seelen der Zuhörer in New Orleans und Wien erlebten, zeitlich durch ein Jahrhundert getrennt, die gleichen Schwingungen und die Menschen, hier wie dort, waren für Augenblicke glücklich. Die Geschichte war immer und überall mit der Musik verflochten und uns Nachfahren der Musikfreunde von damals erschließen sich gelegentlich die Gefühle längst vergangener Zeiten. Dies bringen historische Bilder, Architektur oder Literatur nur äußerst selten zustande. Braucht es zum Erzielen echter Gefühlsauthentizität auch historische Instrumente wenn Monteverdi, Bach oder Mozart gespielt werden? Ganz bestimmt nicht, denn die modernen Musikinstrumente klingen soviel reiner und klarer, dass jede Musik durch sie zusätzlichen Glanz erfährt.

Das Eingeständnis, dass man mit zeitgenössischer Musik eher wenig anfangen kann, wird vielen Musikfreunden relativ leicht von der Zunge gehen. Dabei müsste es doch eigentlich genau umgekehrt sein. Der Zeitgeist, der einen Hindemith, Bartók oder Schönberg beeinflusste, ist ja schließlich noch nicht so lange verschwunden, dass wir ihn nicht noch heute intensiv spüren würden. Das 20. Jahrhundert war eine Zeit massiver gesellschaftlicher und moralischer Umbrüche: extremer Nationalismus, Kommunismus, Rassismus und die physische Gewalt der Weltkriege haben die Gefühlswelt der Menschen völlig verwirrt und der künstlerische Ausdruck dieses Geistes im vergangenen Jahrhundert spiegelt dies wider. Künstler wollten sich lösen von der schwer zu ertragenden Realität und begannen sich mit abstrakten Formen zu beschäftigen, in denen sie das Wesen lebendiger Dinge sahen. Ähnlich ging es auch in der Musik: man begann die Musik auf einzelne Klänge und/oder Geräusche zu reduzieren. Ich denke dabei an Pierre Schaeffers hinreißende Geräusch Etüden (Etudes des bruits), die die sog. „Musique concrète“ begründet haben. Was aber dann kam und wofür u. v. a. Namen wie Varèse, Cage, Boulez, Nono, Ligeti oder Stockhausen stehen, entzieht sich weitgehend dem Musikempfinden vieler enthusiastischer Konzertgänger.   Warum das, wider alles Erwarten, so ist, darauf habe ich keine schlüssige Antwort.

Bleiben Sie stets neugierig… und durstig!

 

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