Wer und wie war Sir John Falstaff?

Ausschnitt aus Edward Grutzner: Falstaff at the Boars Head Tavern (Wicki Commons gemeinfrei)

 

Bereits im 16. Jahrhundert gab es offenbar ein, wohl noch sehr rudimentäres Bewusstsein für den Datenschutz. Ein später Verwandter des Sir John Oldcastle, einst Diener seiner Majestät, beschwerte sich bei Shakespeare, dass dieser in seinem Drama „Heinrich der IV, Teil 1“ einen seiner Protagonisten Sir John Oldcastle genannt hatte, ohne dass dieser irgend einen Bezug zum historischen Vorbild hatte. Der Familienname sei also missbraucht worden und Shakespeare nahm die Angelegenheit sehr ernst: er änderte den Namen in seinem Stück zu Sir John Falstaff. Dieser Falstaff wurde über die folgenden Jahrhunderte zu einem der beliebtesten Charaktere der englischsprachigen Literatur. Er war ein fragwürdiger Saufkumpan des Prinzen Heinrich (Prince Henry, oder einfach Prince Hal). Dieser ließ sich als vergnügungssüchtiger und verantwortungsloser Mensch gerne von Falstaff verführen. Erst im Historiendrama Heinrich V, in dem auch vom Tod Falstaffs berichtet wird, wird aus ihm ein weiser, fähiger und verantwortungsvoller König, der bei Agincourt einen überwältigen Sieg über die Franzosen feiern konnte.

Die Figur des Falstaff war vom Anbeginn seiner Schöpfung durch den genialen William Shakespeare so populär, dass sich Königin Elizabeth I. vom Autor ein weiteres Stück wünschte, in dem Falstaff es auch einmal mit einer Frau treiben sollte. Daraus entstand das Stück „Die lustigen Weiber von Windsor“  mit dem Auftritt Falstaffs als weitgehend erfolgloser Schürzenjäger und schwerfälliger Verführer. Später hat Guiseppe Verdi  diesen Stoff seiner Oper „Falstaff“ (1893) zugrunde gelegt. Davor hatte schon Mozarts Zeitgenosse Antonio Salieri die opera buffa „Falstaff, ossia Le tre burle“ geschrieben. Auch Otto Nicolai komponierte 1849 seine „Lustigen Weiber von Windsor“ und führte sie 1849 am Opernhaus in Berlin erstmalig auf. Ein Blick auf die Filmgeschichte zeigt, dass die Figur des Falstaffs auch bei Cineasten Anklang fand. Orson Wells hat in einer spanisch-schweizer-englischen Gemeinschaftproduktion unter dem Titel „Campanadas a Medianoche (Glocken um Mitternacht), einen bedeutenden Film zum Thema gemacht.

Der von Shakespeare gezeichnete Charakter des Sir John Falstaff ist ein Teil des weltweiten Erfolges dieser Theaterfigur. Man würde ihn wohl als „wankelmütig“, „lustbetont“, “zeitweise schwach und inkonsistent“, „schroff aber freundlich“, sowie „intellektuell anspruchslos aber schlau“  beschreiben. Falstaff repräsentiert ein zeitunabhängiges Genießer-Klischee, deshalb wird er auf der Bühne fast  immer als feister, übergewichtiger und bäuchiger, etwas heruntergekommener Lebemann dargestellt. Kein Wunder, dass sich sehr viele Menschen mit ihm identifizieren können und wollen. Seine negativen Eigenschaften, und davon gibt es genug, werden akzeptiert vielleicht weil sie als eine Art Müllhalde für die eigenen fragwürdigen Gefühle dienen. Ganz besonders in den „lustigen Weibern von Windsor“ ist Falstaff der ewige Verlierer und das macht ihn so sympathisch. Wer möchte nicht gerne die Schwachen unterstützen? Da verzeiht man dem Freund, dass er sich andauernd in der Londoner Kneipe namens „The Boars Head Tavern“ trinkend aufhält und mit Kleinkriminellen und Asozialen Kontakt pflegt. Als er König wird  muss sein ehemaliger Kumpane Prinz Henry aus Staatsraison den Kontakt mit Falstaff aufgeben und der verkümmert und stirbt letztendlich vereinsamt.

Shakespeare hat uns im zweiten Teil des „König Heinrich der Vierte“ in der 3. Szene des 4. Aktes ein Bekenntnis Falstaffs zu den Freuden des Weines hinterlassen, das zu lesen im großartigen Deutsch der Übersetzung von August Wilhelm Schlegel für jeden Önophilen ein Genuss sein wird. Prinz Johann von Lancaster lästert über Falstaff und wendet sich von ihm ab. Dieser antwortet ihm dann in seiner Abwesenheit:

„…dieser junge Knabe von nüchternem Geblüt liebt mich nicht, auch kann ihn kein Mensch zum Lachen bringen; aber das ist kein Wunder, er trinkt keinen Wein. Es wird niemals aus diesen bedächtigen Burschen etwas Rechtes, denn das dünne Getränk und die vielen Fischmahlzeiten kühlen ihr Blut so übermäßig, dass sie in eine Art von männlicher Bleichsucht verfallen, und wenn sie dann heiraten zeugen sie nichts wie Dirnen; sie sind gemeiniglich  Narren und feige Memmen – was einige von uns auch sein würden, wenn´s nicht die Erhitzung täte. Ein guter spanischer Sekt hat eine zwiefache Wirkung an sich. Er steigt euch in das Gehirn, zerteilt da alle die albernen und rohen Dünste, die es umgeben, macht es sinnig, schnell und erfinderisch, voll von behenden, feurigen und ergötzlichen Bildern; wenn diese dann der Stimme, der Zunge, überliefert werden, was ihre Geburt ist, so wird vortrefflicher Witz daraus. Die zweite Eigenschaft unseres vortrefflichen Sekts ist die Erwärmung des Blutes, welches zuvor kalt und ohne Bewegung, die Leber weiß und bleich lässt, was Kennzeichen der Kleinmütigkeit und Feigheit ist; aber der Sekt erwärmt es und bringt es von den innern bis zu den äußersten Teilen in Umlauf. Erleuchtet das Antlitz, welches wie ein Wachfeuer das ganze kleine Königreich, Mensch genannt, zu den Waffen ruft, und dann stellen sich alle Insassen des Leibes und die kleinen Lebensgeister aus den Provinzen ihrem Hauptmann, dem Herzen, welches, durch dies Gefolge groß und aufgeschwellt, jegliche Tat des Mutes verrichtet. Und diese Tapferkeit kommt von Sekt, so dass Geschicklichkeit in den Waffen nichts ist ohne Sekt: denn der setzt sie in Tätigkeit; und Gelahrtheit ist ein bloßer Haufe Goldes, von einem Teufel verwahrt, bis Sekt sie promoviert und in Gang und Gebrauch setzt. Daher kommt es, dass Prinz Heinrich tapfer ist: denn das kalte Blut, das er natürlicherweise von seinem Vater erben musste, hat er wie magres, unfruchtbares und dürres Land gedüngt, gepflügt und beackert, mit ungemeiner Bemühung wackren Trinkens und gutem Vorrat von fruchtbarem Sekt, so dass er sehr hitzig und tapfer geworden ist. Wenn ich tausend Söhne hätte, der erste menschliche Grundsatz, den ich ihnen lehren wollte, sollte sein, dünnes Getränk abzuschwören und sich dem Sekt zu ergeben.“

Auf die Verwechselung in Schlegels Text von Sekt mit Sherry (sack) habe ich in einem meiner früheren blogs hingewiesen. Der gesamte obige Monolog ist sowohl vom englischen Schauspieler Nigel Verney als auch vom großen Orson Wells auf  YouTube in zwei ganz unterschiedlichen Interpretationen aufgezeichnet worden und wer die wunderbare Sprache Shakespeares im Original genussvoll hören möchte, der möge hier klicken.

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